Terminologie-Know-how Datebank zugänglich gemacht:

Computer Aided Translation im MBB-Sprachendienst

21.11.1986

Jochen Ewe ist freier Journalist in München.

Das "airfoil blade" eines Hubschraubers darf immer nur Rotorblatt heißen und nicht aufgrund der Festlegung eines Übersetzers auch mal zum "Drehflügel" oder einfach zum "BIatt" werden. Gefahren dieser und ähnlicher Art lauern in der Sprachendienst-Abteilung der Ottobrunner MBB-Hauptniederlassung nicht mehr, seitdem dort CAT-Technik Einzug gehalten hat (CAT: Computer Aided Translation). Hardwareseitig basiert die Lösung auf dem Eritron-Rechner 230 von Ericsson.

Vor der Computerisierung streckenweise mit Zeitverlusten und viel Aufwand verbunden war die Arbeit der Übersetzer im Service-Center "Sprachendienst" der MBB. Die Texte mußten in elektrische Schreibmaschinen eingetippt werden, was bei notwendig werdenden Änderungen Doppelarbeit nach sich zog. Kam es gelegentlich zu nachträglichen Terminologieänderungen, die einen bereits übersetzten Gesamttext betrafen, so wurde der Übersetzer geradewegs zur Schreibkraft. Weiterer Nachteil: Das Zusammentragen von Terminologie-Know-how war unausweichlich personenorientiert. Wenn ein Mitarbeiter ausschied, hinterließ er günstigstenfalls eine umfangreiche Stichwortsammlung in einem wohlgeordneten Karteikasten oder er nahm sein Wissen im Kopf mit nach Hause.

Ein stets aktuelles "Hauswörterbuch" gab es nicht, ebensowenig ließen sich für bestimmte Einzelanlässe (zum Beispiel Verhandlungen) Sammlungen relevanter Fach-Termini zusammenstellen. Der Rückgriff auf extern vorhandenes Wissen (unter anderem an anderen MBB-Standorten) war umständlich und unterblieb in aller Regel. Überstieg die Nachfrage nach den Serviceleistungen des Sprachendienstes das vorhandene Potential, so konnten diese "Spitzen" nicht konzernintern abgefangen werden, sondern lösten Fremdaufträge aus.

Vor etwa zwei Jahren erkannte die Leiterin des Sprachendienstes, daß die Summe dieser und einiger weiterer Nachteile unter ökonomischen Aspekten nicht mehr tragbar wäre, wenn man die Leistungsfähigkeit (und Kosten) moderner Computersysteme dagegenhielt - zumindest die des Ericsson-Systems Eritron 230 und der dazugehörigen CAT-Software. Nach Abschluß eines Auswahrverfahrens installierte MBB-Ottobrunn in der Sprachendienst-Abteilung eine 230er-Zentraleinheit mit zehn Bildschirmen, zwei Druckern und 2 mal 25 MB Plattenspeicher.

Um mit jedem Bildschirmarbeitsplatz in jeder Ottobrunner Abteilung, aber auch "nach draußen" über Datenfernverarbeitung korrespondieren zu können, wurde die Konfiguration an, die Teletex-Nebenstellenanlage angeschlossen. (Andere taugliche und wirklich sichere als diese von der Post definierten Schnittstellen gibt es ja nicht.) Mittlerweile sind auch die Sprachendienste in den MBB-Standorten Hamburg und (künftig) in Bremen und Nabern mit Eritron-Konfigurationen ausgerüstet und stehen über eine SELADX-Nebenstellenanlage mit Ottobrunn in Teletex-Verbindung. Außerdem wird Ottobrunn über 3780-Protokoll mit dem IBM-Großrechner am MBB-Standort Nabern korrespondieren und dies in absehbarer Zeit auch mit der französischen Aerospatiale-Fachdatenbank tun; zumindest ist dies die Zielsetzung für 1987.

Terminologiedatenbank vereinfacht die Arbeit

Was die MBB-Übersetzer praktizieren, geht über Textverarbeitung plus Terminologieverwaltung weit hinaus. Die Textverarbeitungs-Software nutzen sie für das Erfassen der von ihnen übersetzten Texte und ziehen sie auch für das Korrigieren und formatierte Ausgeben (auf Druckern) heran. Den "Pfiff" aber erhält die Sache dadurch, daß ein hochkomfortabler Zugriff auf die Terminologiedatenbank die Übersetzungsarbeit vereinfacht und beschleunigt.

Damit die Bedeutung dieser Systemfunktion anschaulich wird, ist auf den bei MBB gegebenen Hintergrund hinzuweisen. In diesem international agierenden Konzern wird eine außerordentlich breite Palette zumeist sehr komplizierter Produkte entwickelt, gefertigt, montiert und gewartet. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen, die der den Konzernabteilungen zur Verfügung stehende zentrale Sprachendienst zu erfüllen hat.

Es gilt, eine außerordentlich umfangreiche fachspezifische Terminologie zu erarbeiten und auf aktuellem Stand zu halten - und dies in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Produziert werden die unterschiedlichsten Dokumente technisch-kaufmännischer sowie wirtschaftlich-rechtlicher Inhalte: Geschäftsberichte, Handbücher, Publikationen, Angebote, Projektberichte und Anzeigentexte. Ihnen allen ist eigen, daß sie terminologieintensiv sind.

Übersetzungshilfe per Tastendruck

Die tägliche Übersetzungsarbeit am Terminal muß man sich folgendermaßen vorstellen: Der in die Zielsprache übersetzte Text wird per Tastatur in das System eingegeben. Irgendwann stößt der Übersetzer auf einen Begriff, den er nicht (genau genug) kennt. Dann drückt er eine Funktionstaste, aktiviert damit die Terminologiefunktion, und gibt den fraglichen Begriff in der Originalsprache ein.

Umgehend liefert die Terminologiedatenbank, sofern der gesuchte Begriff bereits abgespeichert ist, die präzise Übersetzung; der Benutzer braucht sie nur noch per Tastendruck zu akzeptieren, und schon erscheint sie im Zielsprachen-Text. Je nach Fachbereich bietet das System dem Bediener auch mehrere Übersetzungsvarianten an. Dann braucht er zur Übernahme in den laufenden Text nur die Ziffer des für diesen Fachbereich als zutreffend erkannten Terminus einzugeben.

In bestimmten Fällen beschleunigt der Übersetzer das Auffinden des richtigen Zielsprachenbegriffs noch dadurch, daß er dem System mitteilt, aus welchem Spezialbereich die gesuchten Begriffe nur kommen können. Oder er begnügt sich mit der Eingabe der Anfangsbuchstaben des abzufragenden Stichworts und kann dann aus einem zumeist breiteren vom System offerierten Übersetzungsangebot auswählen.

Automatisches Abspeichern

Neu auftauchende Begriffe, für die der Übersetzer einen neuen Terminus in der Zielsprache erarbeitet, werden ohne Zeitverlust aus dem laufenden Text in der Datenbank abgespeichert und stehen damit allen Übersetzer-Kollegen zur Verfügung. Solange diese Neueinträge aber nicht überprüft und "abgesegnet" sind, behalten sie die vom System automatisch vergebene Sonderkennzeichnung.

Unter den vielen weiteren Komfortmerkmalen, die das CAT-System bietet, seien hier noch hervorgehoben: das Vergleichen und (eventuelle) Eliminieren von Doppeleinträgen, das Hinweisen auf Synonyme sowohl in der Ausgangs- wie auch in der Zielsprache und die automatische Sprachumkehr für einmal erfaßte Einträge. Letzteres bedeutet: Für ein Sprachpaar werden nicht "zwei" Wörterbücher (beispielsweise Deutsch - Englisch, Englisch - Deutsch) angelegt.

Zufrieden ist der Sprachendienst mit dem Ericsson-System, nicht nur weil seine Leistungen unterstützt werden, sondern vor allem, weil es sich rentiert. Dieser Aussage legen die Verantwortlichen keine Phantasierechnung zugrunde, sondern den permanenten Vergleich der Leistungsfähigkeit vor und nach Einführung des Systems (im Wege eines Zeitreihenvergleichs der Übersetzungsleistung).

Die im Sprachendienst realisierte Leistungsverbesserung bewirkte, daß die steigende Nachfrage nach Übersetzungsservice inzwischen mit reduzierter Vergabe von Fremdaufträgen und ohne Personalausbau befriedigt werden kann. Zudem soll die Aufgabenteilung zwischen den MBB-Standorten Ottobrunn, Hamburg und Bremen Nachfrageschwankungen nach oben oder unten nivellieren und zu einem Kapazitätsausgleich sowie Wissenstransfer führen. Trotz der erforderlichen Eingewöhnung in die Arbeit mit der Textverarbeitungs- und Terminologiedatenbank-Software kam der Sprachendienst schon im ersten Jahr seiner DV-Zeitrechnung auf ein Produktivitätsplus - gemessen am zuvor statistisch errechneten Jahres-Mittelwert für die Übersetzungsdauer einer Zeile; ein Jahr später war es deutlich mehr. Langfristig sind weitere Verbesserungen und Steigerungen zu erwarten. Die Mehrleistung der Übersetzer zahlte sich für die Kunden schon jetzt in Form einer Preis-Leistungs-Verbesserung aus und stärkt die "Marktposition" des Sprachendienstes. (Hierbei schlägt nicht nur die höhere Produktivität, sondern zugleich auch die gestiegene Qualität und das vergrößerte Leistungsspektrum zu Buche.)

Anpassungs- oder Akzeptanzschwierigkeiten im Zuge der Umstellung auf EDV gab und gibt es für den MBB-Übersetzerstab nur in geringem Maße. Vielleicht liegt dies mit daran daß die Übersetzer frühzeitig wußten, was auf sie zukommen würde oder auch daran, daß sie intensiv geschult wurden. Sicherlich spielte auch ihre Mitwirkung an der Arbeitsplatzausstattung eine Rolle sowie ihre eigene Bereitschaft/ sich schnell und vorbehaltlos auf die neue Technik als neue Chance einzustellen.

Entscheidender aber ist - und dies unterstreicht die Übersetzercrew mit Nachdruck - die Benutzerfreundlichkeit des Ericsson-Hard-/Softwaresystems, die bei der Erlernbarkeit beginnt und mit der Befreiung von repetitiven Tätigkeiten (Nachschlagen; Neu-Eintippen und Ändungen vornehmen) endet. Entscheidender ist auch die Tatsache, daß CAT die kollegiale Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung fördert.

Da nämlich die Leistung der gesamten Sprachendienst-Abteilung als Maßstab dient, hat jedes Mitglied ein Interesse daran, daß jeder seine Arbeit optimal bewältigen kann. Sogar neue und positive Selbstwertgefühle dürften mit im Spiel sein, wenngleich dies nicht direkt, wohl aber mittelbar zu erkennen gegeben wird. Die Kundenakzeptanz jedenfalls ist gestiegen; sie schlägt sich in offen ausgesprochener Anerkennung für die Übersetzer nieder.

Respekt und Anerkennung

Mit Genugtuung wird darauf hingewiesen, daß die Leistungen des Sprachendienstes sich in immer mehr MBB-Abteilungen (die zumeist auch über eigene Sprachenspezialisten verfügen) herumsprechen und dort Aufträge veranlassen. Genugtuung stellt sich auch ein, wenn die dortigen Übersetzerkollegen dann anfragen, ob sie sich an die Terminologiedatenbank ankoppeln dürfen.

Zufriedene Mienen sieht man in der Abteilung, wenn von den Abnehmern die Kunde kommt, daß die Auftragsvergabe an den Sprachendienst sich nicht nur deshalb rentiert, weil in kurzer Zeit qualitativ hochwertiger Text angeliefert wird, sondern weil das gelieferte Produkt darüber hinaus weitere Spareffekte zeitigt. (Es wird beispielsweise ohne Neuerfassung auf elektronischem Wege direkt in die Lichtsatzanlage weitergeleitet, wo nur noch der Umbruch vorzunehmen ist; und es kann auf Wunsch gleich im gewünschten Handbuchformat an die bestellende Abteilung geliefert werden.) Schwierigkeiten bereiten momentan noch die Teletex-Anbindungen unterschiedlicher Textsysteme mit zu geringen Speichermedien und eingeschränktem Zeichensatz.

Für die Zukunft des CAT-Systems ist MBB optimistisch. Es werde sich erst noch so richtig zeigen, wie wertvoll es beispielsweise ist, wenn man bei der Änderung eines Handbuchdetails nur den auf einer Platte eingelagerten Text (und nach Bedarf die dazugehörige Terminologie) abzurufen braucht. Die Schnelligkeit, mit der diese Änderung dann ohne Neueingabe der gültig bleibenden Textteile vorgenommen werden könne, führe zu einer enormen Reaktionsgeschwindigkeit in Richtung Benutzer und Markt.