Thema der Woche

Compaq und Digital riskieren den Kulturkampf

30.01.1998

Die Hälfte des Kaufpreises will Compaq bar bezahlen, die andere Hälfte soll durch 150 Millionen neue Aktien gedeckt werden. Digital-Anteilseigner machen einen sehr guten Schnitt. Sie sollen für jede ihrer Aktien 30 Dollar in bar und 0,945 Compaq-Anteile bekommen. Basis der Berechnung ist der Compaq-Schlußkurs von Freitag, dem 23. Januar 1998, als die Aktie einen Wert von 31,75 Dollar hatte. Damit ergibt sich ein Übernahmekurs von 60 Dollar je Aktie - dabei hatte das Digital-Papier am Freitag lediglich bei 45,5 Dollar notiert.

Die Akquisitionsmeldung kommt nicht überraschend. Bereits im vergangenen Jahr hatte es Verhandlungen zwischen beiden Anbietern gegeben, die allerdings wegen "offener Management- und Strukturfragen" wieder abgebrochen wurden. Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer persönlich schilderte damals der COMPUTERWOCHE in allen Einzelheiten, warum ein Zusammengehen mit Digital unmöglich sei. Doch Meinungen können sich ändern - und außerdem hat sich bei Digital seit Mitte 1997 Entscheidendes getan.

Die Braut hat sich durch den Verkauf defizitärer Geschäftsbereiche wie der Netz-Division, die für 430 Millionen Dollar an Cabletron ging, für eine eventuelle Heirat weiter herausgeputzt. Wichtiger dürfte aus Compaq-Sicht jedoch Digitals Verkauf der Alpha-Fertigungsstätten an Intel gewesen sein. Das zumindest nimmt der deutsche DEC-Geschäftsführer Paul Santner an, der durch den Deal komplett überrascht wurde.

Mit der DEC-Übernahme unterstreicht Compaq seinen unbedingten Willen zur schnellen Expansion. Sein Ziel, bis zum Jahr 2000 einen Umsatz von 50 Milliarden Dollar zu erwirtschaften, ist schon jetzt so gut wie erreicht: Digital trägt mit Jahreseinnahmen von zuletzt 14,6 Milliarden Dollar zu einem Gesamtergebnis bei, das nun rechnerisch bei 37,5 Milliarden Dollar liegt.

Bereits im Sommer 1997 hatte Compaq seine Wachstumsambitionen mit der drei Milliarden Dollar teuren Übernahme des auf fehlertolerante Hochleistungsrechner spezialisierten Herstellers Tandem unterstrichen. Dieser Kauf war jedoch offensichtlich nur ein Warming-up für größere Ziele. Um im Großkundengeschäft durchzustarten, braucht Compaq ein Heer von Servicespezialisten, die in der Lage sind, Kunden von der NT-Einführung über SAP-Installationen bis hin zu Data-Warehouse-Lösungen mit professionellen Services zu beraten und zu unterstützen. Aus diesem Grund war DEC mit seinen weltweit rund

25000 anerkannt gut ausgebildeten Servicespezialisten, die nahezu die Hälfte der gesamten Belegschaft ausmachen, stets ein interessanter Übernahmekandidat. Rund 1600 Mitarbeiter sind als Microsoft Certified Service Professionals ausgebildet, weitere 3000 Beschäftigte konzentrieren sich auf Dienstleistungen für den von Compaq bisher nicht beachteten Unix-Markt.

"Compaq wird jetzt eine wesentlich stärkere Service-Organisation bekommen", urteilt Wolfgang Schwab, Analyst der Meta Group. Schon jetzt sei Digital für einen Großteil des PC-Kundenservice von Compaq verantwortlich, so daß die Fusion in diesem Segment zu keinen Reibungen führen werde. Positiv sei für Compaq, daß man nun seine bisher nur im indirekten Vertrieb betreuten Kunden besser kennenlernen und maßgeschneiderte Angebote erstellen könne. Auch im Bereich der Professional Services werde die PC-Schmiede nun eine Marke setzen - ein wichtiger Schritt, um im Kreis der weltweit größten IT-Anbieter eine Chance zu haben.

Digitals großer Kundenstamm sowie ein gut ausgebautes Händler- und Servicenetz waren für Compaq ebenfalls verlockend. Mit 40000 Lokationen weltweit nimmt Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer nun für sich in Anspruch, die größte Verkaufsorganisation weltweit zu besitzen.

Der Kundenstamm von DEC, besonders ausgeprägt in den Märkten Telecom, Finanzsektor, Fertigungsunternehmen und Behörden, birgt hingegen Gefahren für das Duo. Digital hat im Gegensatz zu den auf Microsoft- und Intel-Technologie festgelegten PC-Herstellern eine Geschichte, die bis in die für DEC sehr erfolgreiche Minicomputer-Ära der 60er Jahre zurückgeht. Infolgedessen gibt es große Altlastenprobleme, die jetzt eine - in dieser Beziehung völlig unerfahrene - PC-Schmiede zu meistern hat.

Noch immer sind jede Menge VMS- beziehungsweise Open-VMS-Rechner im Einsatz, die gepflegt und weiterentwickelt werden müssen. Otto Titze, erster Vorsitzender des Digital-Anwendervereins Decus, sieht die Fusion mit Compaq denn auch "keineswegs positiv". In den letzten Jahren sei die VMS-Gemeinde von Digital stark vernachlässigt worden. Seit einigen Wochen gebe es jedoch wieder positive Signale - vor allem durch den DEC-Topmanager Bruce Claflin. Er habe offenbar erkannt, daß Digitals eigentliches Kundenpotential in dieser Klientel liege. Nur wenn man diese pfleglich behandle, könne man auf weitere Geschäfte hoffen.

Jetzt stünden die Anwender wieder vor einer ungewissen Zukunft. "Es geht um den Schutz der Investitionen", erklärt Titze, der nun befürchtet, daß Compaq die große Digital-Kundenbasis zum Wechsel auf modernere Wintel- oder Alpha-Unix-Systeme drängen könnte. "Es muß sich herauskristallisieren, daß Digital eine eigenständige Compaq-Tochter bleibt", meint Titze, der sich davon einen geringeren Veränderungsdruck auf die Kundenbasis erhofft. "Wir wollen keine undefinierte Integration, weil dann keine Produktsicherheit mehr gegeben wäre."

Doch gerade die schnelle, nahtlose Integration gilt als ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Fusionen. Wolfgang Schwab von der Meta Group kritisiert, daß Compaq die Integration von Tandem noch immer nicht bewerkstelligt habe. "Die Verunsicherung bei den Tandem-Mitarbeitern war so groß, daß ein Gutteil einfach abgewandert ist", berichtet er. "Wenn das bei Digital auch passiert, entsteht ein sehr ernstes Problem: Was dann übrigbleibt, ist im Prinzip nichts mehr wert." Auch Schwab sieht die 25000 Servicemitarbeiter als den eigentlichen Aktivposten, auf den es Compaq abgesehen habe. Dieses Personal müsse so integriert werden, daß es hinterher nicht noch "Digital- oder Compaq-Leute" gebe - sonst seien große Schwierigkeiten zu erwarten.

Compaq muß also den Spagat bewältigen, das DEC-Personal schnell in den Konzern zu integrieren und dabei nicht die Kundenbasis zu verprellen. Das dürfte jedoch aufgrund der gravierenden kulturellen Unterschiede nicht einfach werden.

IDC-Analyst Terry Jones sieht diese Gefahr. Es werde schwierig für Compaq, ein Unternehmen in der Größenordnung von Digital zu integrieren, solange die Tandem-Übernahme kaum verdaut sei. Auf mögliche Friktionen hofft denn auch die Konkurrenz. Hubert Cospain, französischer HP-Manager, erklärte, Digital sei ein Traditionsunternehmen mit einer Vergangenheit, die klar von proprietären Systemen bestimmt sei. Compaq dagegen habe sich stets im "offenen" PC-Markt bewegt. "Es sind zwei verschiedene Unternehmen mit sehr unterschiedlichen Kulturen. Frustrierte Digital-Kunden fänden bei HP stets ein offenes Ohr.

Wie die Integration von Digital in den Compaq-Konzern verläuft, ist in der Tat unklar. In einer internen Erklärung der Digital-Geschäftsführung an die Mitarbeiter heißt es: "Digital wird eine eigenständig operierende Tochter von Compaq. Wir werden weiter unsere komplette Produktlinie unter dem Digital-Marken- und Unternehmensnamen anbieten." Wieviel Gewicht solche Worte haben, zeigt sich jedoch am Beispiel Tandem. Dort hat das Management um den Ex-Chef Roel Pieper längst die Segel gestrichen, allein Compaq entscheidet inzwischen, was aus Tandem wird.

DECs Deutschland-Chef Paul Santner erklärte gegenüber der CW: "In den nächsten Monaten bleibt Digital auf jeden Fall ein eigenständiges Unternehmen. Erst einmal müssen die Genehmigungen von den Aktionären, den amerikanischen Kartellbehörden und der EU-Kommission eingeholt werden. Das dürfte vier bis sechs Monate dauern."

Doch auch danach erwartet Santner, daß Digital - entsprechend der offiziellen Sprachregelung aus den USA - eine "eigenständige Tochter" bleibt, wenngleich es im Produktspektrum, vor allem im Bereich der Intel-Systeme, "Abstimmungen" geben müsse.

Santner erklärt, Compaq habe sich deutlich zu Open VMS, der 64-Bit-Unix-Implementierung für den Alpha- und den Intel-Chip (IA 64) sowie zur Alpha-Architektur selbst bekannt. Zusammen mit dem starken Dienstleistungsarm seien dies die Produkte, die Digitals Stellung im Markt für Enterprise-Computing ausmachten.

Bezüglich der Alpha-Architektur wagt er sogar ein Gedankenspiel: Digital und Compaq verfügten bereits über eine anerkanntermaßen starke 64-Bit-Chiparchitektur, während Intel zusammen mit dem - jetzt nur noch drittgrößten - IT-Anbieter Hewlett-Packard am IA-64-Chip arbeitet.

Möglicherweise, so Santner, eröffne sich Digital nun als Compaq-Tochter die Möglichkeit einer engeren Zusammenarbeit mit Intel auf Basis des Alpha-Chips.

Das sieht Meta-Analyst Schwab völlig anders. "Digital hat seine Alpha-Produktion verkauft und ist nun froh, daß man sie losgeworden ist." NT auf Alpha sei ein Flop, der Marktanteil so gering, daß sich das Geschäft wahrscheinlich noch nie gelohnt habe. DEC sei meilenweit davon entfernt, den Wintel-Anbietern auf dieser Ebene Konkurrenz zu machen. Für Schwab läuft alles darauf hinaus, daß Compaq und Digital den Alpha-Chip als Unix-Plattform für das High-end-Geschäft nutzen.

Dafür sei Digital-Unix ein ideales High-end-Betriebssystem, vor allem, weil gemeinsam mit Sequent die 64-Bit-Unix-Implementierung für den IA 64 geplant sei.

Andere Beobachter machen dagegen geltend, die 64-Bit-Alpha-Plattform sei durchaus noch ein guter Platzhalter für Compaq, solange der Merced-Chip noch nicht marktreif sei. Allerding sei nicht zu erwarten, daß Compaq in diese Technologie noch weitere Entwicklungsgelder fließen lassen werde, und auch der Support könne nicht so sein, wie ihn mancher Kunde gerne hätte.

Vor diesem Hintergrund dürfte das Wintel-Lager als einer der großen Gewinner aus diesem Merger hervorgehen: Der stärkste Anbieter von Intel-basierten Produkten kauft eine der größten NT-Service-Organisationen sowie jede Menge Know-how, um leistungsstarke PC-Cluster unter NT zu bauen. Damit bläst den Anbietern alternativer Systeme, allen voran Sun Microsystems, der Wind noch kräftiger ins Gesicht.

Christian Brunkhorst, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Digital Deutschland GmbH, weist jedoch auf Probleme hin: Mit der Fusion Compaqs und Digitals würden bezüglich der Mitarbeiter zwei verschiedene Welten aufeinanderstoßen. Digital sei der "gewerkschaftlich am besten organisierte Betrieb in der Branche", während Compaq nicht einmal einen Betriebsrat besitze. Doch größere Probleme sieht er nicht, da DEC wunderbar in das Portfolio von Compaq hineinpasse.

Compaq interessiere sich für das Systemintegrationsgeschäft für Großkunden sowie für den Servicebereich - beides seien sehr personalintensive Geschäftszweige, so daß Massenentlassungen kaum zu befürchten seien. Wolle Compaq jedoch wider Erwarten den seit Jahren andauernden Bereinigungsprozeß in der DEC-Angebotspalette weiter fortsetzen, werde sich der Betriebsrat "mit Händen und Füßen wehren".

DEC-Chef Robert Palmer hatte in einer Pressekonferenz ausweichend auf die Frage nach möglichen Entlassungen geantwortet. Er werde dafür Sorge tragen, daß aus der Akquisition für beide Seiten das Bestmögliche gemacht werde. Auch über die zu erwartende Ausdünnung der reichhaltigen Intel-Produktpalette, die sich an vielen Stellen mit Compaqs Angebot überschneidet, mochte Palmer nicht reden.

Ungeachtet aller Unwägbarkeiten wird die Fusion von Compaq und Digital überwiegend als sinnvoll bewertet.

Das Duett werde IBM und Hewlett-Packard vor allem im Services- und im Server-Geschäft zu schaffen machen. Bei der Hardware werden Compaq besonders im mittleren Marktsegment gute Chancen auf einen raschen Ausbau der Marktanteile eingeräumt. Was die Services angeht, glaubt Jane Doorly, Vice-President und Direktorin bei Dataquest in London, daß Compaq das Geschäft von DEC intakt lassen werde. Die Frage sei nun, ob es mit Tandems Service-Business verschmolzen werde.