Firmenzusammenschluß mit Haken

Compaq kauft mit Digital redundante Produktlinien

06.02.1998

Eines kann bereits heute ohne hellseherische Fähigkeiten für den Fall gesagt werden, daß der Deal mit Digital vor der US-Kartellbehörde Bestand hat und von den DEC-Aktionären gebilligt wird: Compaq steht vor der größten Herausforderung seiner Unternehmensgeschichte. Nicht nur müssen zwei sehr verschiedene Firmenkulturen zusammengeschweißt werden. Nicht nur sind die völlig unterschiedlichen Geschäftsbeziehungen von Compaq und Digital zum Distributionskanal, also zu den Partnern, zu harmonisieren.

Es gilt auch, den Angebotswirrwarr eines vereinten Unternehmens Compaq-DEC-Tandem zu bereinigen: Compaq zeichnet künftig verantwortlich für eine Anwenderbasis mit vier Hardware-Architekturen (proprietäre VAX-, Alpha- und Mips-Welten sowie bedingt kompatible 32- und 64-Bit-Intel-Prozessoren) und fünf Softwareplattformen (Tandem-Nonstopkernel, Digital Unix, Compaq SCO Unix, Open VMS und Windows 9x/NT).

Zudem überschneidet sich das Rechnerangebot von Compaq/ Tandem und Digital erheblich. Eckhard Pfeiffer, Compaqs Chief Executive Officer (CEO), wollte sich im Gespräch mit der CW allerdings noch nicht detailliert zu Produktbereinigungen äußern, die sicher auch Entlassungen nach sich ziehen würden. Hierzu sei es noch viel zu früh.

Compaq wie DEC können beide mit einer breiten Palette von Intel-basierten Systemen für unterschiedliche Anforderungen aufwarten: Neben Mobilrechnern bieten beide mehrere Tischrechner-Familien (Desktops) sowie Server an.

Führt man Digitals und Compaqs Offerten zusammen, entsteht ein Produkt-Pool von 13 Rechnerlinien allein im PC-Segment. Es liegt auf der Hand, daß Pfeiffer nach der Zusammenführung von Compaq und Digital sofort beginnen wird, die PC-Produktbereiche zu bereinigen. Dies wird unweigerlich auch zu Personalabbau führen.

Beide Firmen haben zudem relativ frühzeitig erkannt, welches Potential im Geschäft mit Workstations liegt, die unter Windows NT und mit Intel-Prozessoren arbeiten. Auch hier überschneiden sich die Produktangebote von DEC und Compaq.

Laut einer Untersuchung des Marktforschungsinstitutes International Data Corp. (IDC) für das Jahr 1997 liegt Compaq im NT-Workstation-Segment mit einem weltweiten Marktanteil von 15,5 Prozent hinter Hewlett-Packard (17,2 Prozent) und vor Dell (9,9 Prozent) auf Platz zwei, während DEC unter ferner liefen rangiert.

Im Unix-Workstation-Geschäft dominiert Sun Microsystems mit einem Marktanteil von 43 Prozent vor HP (13 Prozent). Alle anderen Anbieter von Unix-basierten Workstations wie die Silicon Graphics Inc. (SGI) oder IBM und eben auch DEC würden erheblich ins Straucheln geraten, sagte IDC-Analyst Tom Copeland. Compaq hätte also triftige Argumente, sich im Workstation-Segment auf Intel und NT zu konzentrieren.

Völlig unübersichtlich wird es bei dem vereinten Compaq/Tandem-Digital-Angebot im Server-Bereich. Compaq hat das PC-Server-Geschäft seit der erstmaligen Einführung der "Proliant"-Rechner Ende 1989 zur tragenden Säule seines gesamten Geschäfts ausgebaut. Aus guten Gründen: Nach Berechnungen von Kurt King, einem Analysten bei Montgomery Securities, finanzieren die Großen der DV-Szene wie eben Compaq oder HP mit lukrativen Bruttogewinnspannen von bis zu 45 Prozent aus dem PC-Server-Geschäft unter anderem den knallharten Verdrängungswettbewerb im PC-Desktop-Segment (Bruttomarge: zehn Prozent).

Heute umfaßt Compaqs PC-Server-Palette neben dem Einstiegsmodell "Prosignia 200" nicht weniger als zwölf "Proliant"-Systemreihen, mit denen die verschiedenen Aufgaben als File-, Netzwerk-, Druck- und Applikations-Server erledigt werden sollen. Im Gegensatz zu DECs heterogenem Plattformangebot verwettet die Pfeiffer-Company ihr Glück im Server-Segment im Prinzip ausschließlich auf die marktbeherrschenden Betriebssystem- und Prozessoranbieter Microsoft und Intel.

Klar zu beantworten dürfte die Frage nach der Zukunft des Teils des Digital-Server-Geschäfts sein, der auf Open VMS fußt. DEC-Pressesprecher Herbert Wenk bestätigte, daß die "VAX-4000"- und -"7000" sowie die "Microvax"-Linien auf Basis der proprietären VAX-Prozessoren nur noch auf Kundenanfragen angeboten werden. Ansonsten ist auch unter dem Open-VMS-Betriebssystem Alpha der Chip der Wahl.

Was aber wird aus der Alpha-Technologie? Deren Zukunft ist - trotz anderslautender Lippenbekenntnisse von DEC- und Compaq-Managern - durchaus nicht gesichert. Zwar haben die Experten des angesehenen US-Spezialistenblatts "Microprocessor Report" den Alpha-Prozessor in Sachen Rechenleistungsfähigkeit zum wiederholten Mal als besten Chip der Industrie ausgezeichnet. Zudem hat Samsung, Alpha-OEM-Produzent für Digital, für diesen Sommer eine Variante des Chips angekündigt, der mit einer Taktrate von 800 Megahertz rechnet. Darüber hinaus avisierte ein Samsung-Firmensprecher für Ende dieses Jahres eine absolute Novität: Erstmals werde ein Prozessor die 1-Gigahertz-Schallmauer erreichen.

Technologieargumente allein dürften aber nicht ausreichen, um Alpha auf lange Sicht zu retten. Digital selbst scheint sich des Erfolgs von Alpha trotz offizieller Verlautbarungen nicht mehr sicher: Die jüngste Ankündigung im NT-Server-Segment zeigt dies. Die unter einer einheitlichen Bezeichnung als "Digital Server" eingeführten vier Maschinenfamilien arbeiten sowohl mit Alpha- als auch Intel-Prozessoren. Hersteller sagen bei solch einer unklaren Positionierung gern, daß der Anwender beziehungsweise der Markt entscheiden werde, welches Produkt sich durchsetzen soll.

Argumente gegen Alpha finden sich auch aus anderen Gründen: Compaq hat erhebliche Forschungsgelder in seine PC-Server investiert. Hierzu gehört etwa die Entwicklung von Administrations- und Konfigurations-Software-Werkzeugen wie "Smartstart" und "Insight Manager". Auch hardwaretechnisch steckt - Beispiel: die Triflex-Bus-Architektur - gehöriges Gehirnschmalz aus den Compaq-Labors in den erfolgreichen Server-Produkten. Diese Investitionen wird Compaq nicht abschreiben wollen.

Auch die Top-Server der "Alphaserver"-Serie sind nicht unge- fährdet. DEC bietet sie unter den drei Betriebssystemen Digital Unix, Open VMS und Windows NT an. Auf bis zu 14 CPUs in einem System lassen sich die Spitzenmodelle der "Alphaserver 8400" ausbauen - Leistungskriterien, von denen Compaq-Maschinen unter NT noch weit entfernt sind.

Doch auch hier gibt es Fragezeichen: Bekanntlich schluckte Compaq im Sommer 1997 Tandem. Mit dem Kauf Tandems übernahm Compaq dessen Unix-Server-Geschäft, das nun mit dem DEC-Unix-Angebot konkurriert. Nicht von ungefähr rät das Marktforschungsinstitut Giga Information Group aus Cambridge, Massachusetts, deshalb auch Anwendern, bei neuen DV-Projekten nicht mehr in die Unix-Produktpalette von DEC zu investieren. Compaq könnte sich, allen offiziellen Verlautbarungen des Compaq-Managements zum Trotz, "mittelfristig von der DEC/Unix-Linie trennen". Begründung: Dieses Segment trage im zusammengeführten Compaq-DEC-Unternehmen mit 1,5 Milliarden Dollar nur mehr vier Prozent zum Gesamtumsatz bei. Deshalb habe es für Compaq keine strategische Bedeutung.

Mit Tandems ausfallsicheren "Himalaya"-Maschinen der "S"- und "K"-Klasse stehen den Texanern aber jetzt vor allem die Türen von Großkunden etwa aus dem Banken- und Versicherungsbereich offen. Der Wermutstropfen: Abgesehen vom proprietären Nonstop-Kernel-Betriebssystem basieren diese Rechner auf der RISC-Prozessor-Architektur aus dem Hause Mips Technologies (einer SGI-Tochter). Mit ihren Hochverfügbarkeitsmerkmalen bieten die Tandem-Compaq-Maschinen heute bereits, was Digital mit Eigenentwicklungen für die Open-VMS-Welt - Stichwort etwa: Galaxy - erst noch zur Marktreife bringen will.

Bezüglich der Mips-basierten Tandem-Systeme gibt es klare Signale von Compaq/Tandem, in den kommenden Jahren auf Intel-Chips zu wechseln. Dies dürfte spätestens dann der Fall sein, wenn Intel die gemeinsam mit HP entwickelte IA-64-Architektur Ende 1999 vorstellt. Der "Merced"-Chip ist in 64-Bit-Technologie ausgelegt. Experten glauben, daß diese nächste CPU-Generation die bislang gewohnte Rückwärtskompatibilität nicht mehr bieten wird. Anwender werden somit in der nahen Zukunft ohnehin größere Hard- und vor allem Software-Umstellungen zu gewärtigen haben.

Mit offenen Armen dürfte Compaq hingegen Digitals Massenspeicherangebot aufnehmen. DECs "Storageworks"-Raid-Plattensysteme ergänzen Compaqs Bandspeicherlösungen auf DAT- und DLT-Basis vortrefflich. Dank einer Zusammenarbeit mit Storage Technology wird DEC die Storageworks-Produkte zudem mit Fiber-Channel-Controllern ausstatten - eine wesentliche Voraussetzung für den Einsatz dieser Massenspeicher in DV-Zentren.

Workstations

Compaq verläßt sich bei ihren vier "Professional-Workstation"-Familien ausschließlich auf die Rechenleistung von Intel-Chips.

Digital hingegen offeriert mit dem "i"-Modell eine Intel-basierte "Personal-Workstation" sowie zwei Alpha-basierte Modellreihen, die entweder unter NT oder Digital Unix arbeiten. Mit der "Alphastation 500" läuft zudem eine Workstation unter Open VMS im Angebot mit.

Desktop-PCs

Digitals Desktop-PC-Angebot umfaßt fünf Produktlinien. Diese reichen vom "Digital PC 3010" bis zum "5510"-Modell. Bei den Windows-95- oder NT-Maschinen setzt DEC neben Intel-Prozessoren solche des Konkurrenten AMD ein ("K6").

Compaqs Desktop-Portfolio ist noch breiter aufgefächert als das von Digital. Heimanwendern und Privatbüros, also Anwendern aus dem Bereich Small Office, Home Office (Soho), sollen drei Presario-Desktop-Reihen sowie ein Notebook schmackhaft gemacht werden. In diesen kommen die "K6"-CPU von AMD ("Presario 2240", "4540") beziehungsweise der Cyrix-Prozessor "Media GX" (Presario-Notebook "1220") zum Einsatz.

An kommerzielle Geschäftskunden adressiert sind darüber hinaus fünf "Deskpro"-Rechnerlinien, zu denen auch ein Net-PC gehört (Deskpro 4000N). In diesen setzt Compaq ausschließlich Intel-Chips ein.

Notebooks

Gerade erst hat Compaq eine ganze Serie von "Armada"- Notebooks vorgestellt. Die aus vier Modellinien bestehende tragbare Rechnerflotte reicht vom preisgünstigen Einstiegssystem "1500" bis zum Topmodell "7700".

Dem stellt Digital seine beiden Systemreihen "Hinote Ultra" und "Hinote VP" entgegen. Insbesondere die sehr flachen und mit einem 14,1 Zoll großen TFT-Display ausgestatteten Ultra-Systeme machen im Vergleich zum Armada-Angebot eine sehr gute Figur.