"Mindestens so engagiert wie IBM"

Compaq geht auf Linux-Kurs

29.06.2001
MÜNCHEN (ls) - Mit einer Ankündigung mehrerer Produkte und Initiativen hat Compaq in bisher nicht erlebter Deutlichkeit ein Bekenntnis zu Linux und Open-Source-Software abgelegt.

Compaq-Mitarbeiter waren schon ziemlich überrascht, als sie eine E-Mail von Chief Executive Officer Michael Capellas erhielten, in der er Linux als ein bedeutendes Thema für die Zukunft des PC- und Server-Herstellers bezeichnete. Komplett war die Überraschung, als das Unternehmen am 18. Juni 2001 auf einer Konferenz in Houston darlegte, welches Ausmaß diese Orientierung in Sachen Produkt- und Serviceangebote hat.

Dort trat Mike Winkler, Executive Vice President Global Business Units bei Compaq, vor die Presse und kündigte ein Linux-Engagement an, das sich mit dem von IBM vergleichen lassen werde. Winkler mochte allerdings nicht ausführen, wie viel Geld Compaq für die Linux-Entwicklungen ausgeben wird, während IBM Investitionen von über einer Milliarde Dollar angekündigt hat.

Anders als IBM, HP oder Dell vermied es Winkler, Linux auf eine Ebene neben die Microsoft-Server-Betriebssysteme zu stellen. Für einen deutschen Compaq-Mitarbeiter war jedoch klar: "Wir sind auf der Linux-Schiene. Aber wir möchten die Allianz mit Microsoft weiter pflegen."

Dass es das Unternehmen ernst meint, zeigt sich auch darin, dass Shane Robison, Senior Vice President Technology und Chief Technology Officer (CTO) im Compaq-Vorstand, zum obersten Linux-Manager ernannt wurde. Die Berufung eines Technikers verrät zugleich, dass Compaq an Linux eher technisch als Marketing-orientiert herangeht. Dies zeigt sich auch in den Ankündigungen von Produkten und Services.

Compaq hat sich mit vier Unternehmen zusammengeschlossen, um Lösungen für Linux- Cluster auf Intel-basierten "Proliant"-Servern von Compaq zu entwickeln. Es handelt sich dabei um die "Beowulf"-Cluster-Spezialisten San Diego Supercomputer Center, Scientific Computing Associates, Scyld Computing Corp. und Turbogenomics Inc., die Betriebssystem-Entwicklungen, Middleware und Applikationen beisteuern werden. Das Ziel sind Linux-Cluster in der Größe von 16 bis 512 und möglicherweise mehr Server-Nodes.

Spezialist für Linux-ClusterDer erste Beitrag der Texaner besteht aus einer Linux-Version der Cluster-Administrationstechnik "Single System Image" (SSI), die es bisher für Alpha-Systeme mit "Tru-64"-Unix gibt. Sie gestattet es, ein Cluster so zu verwalten, als handle es sich um einen einzigen Server. Per SSI lassen sich unter anderem die Prozessorauslastung steuern, Server ab- oder zuschalten, Software installieren und upgraden sowie Zugangsberechtigungen erteilen. Compaq möchte zunächst die wichtigsten Teile der Softwareinfrastruktur portieren, wozu zum Beispiel das Subsystem für die Kernel-to-Kernel-Kommunikation gehört.

Des Weiteren wird Compaq sein "Linux and Tru-64 Affinity Program" erweitern. Dieses bestand bisher aus einem Toolset, das eine Portierung von Anwendungen von Alpha-Linux-Systemen auf Alpha-Tru-64-Rechner und umgekehrt erleichtert. Künftig wird das Affinity-Programm auch eine Portierung von und zu Intel-Linux-basierten Computern unterstützen. Das bringt nicht nur Vorteile für Applikationsentwickler, sondern erleichtert auch den Betrieb von gemischten IT-Umgebungen aus Proliant- und Alpha-Rechnern.

Compaq setzt noch ein Schmankerl drauf, das man durchaus als Angriff auf Sun interpretieren kann: Die im letzten Jahr eingeführten "Solaris Compatibility Libraries" (SCL) werden so erweitert, dass man künftig Solaris-Anwendungen nicht nur auf Alpha-Rechner mit Tru-64, sondern auch auf solche mit Linux portieren kann. Nimmt man dann die Affinity-Tools hinzu, wäre theoretisch auch eine Portierung von Solaris-Applikationen auf Intel-basierte Linux-Rechner drin.

Kernstück ist dabei eine Komponente von SCL, die neue Anwendungsprogrammier-Schnittstelle (API) "Solaris-compatible Threads Library" (STL). Sie übersetzt die vor allen Dingen von älteren Solaris-Anwendungen genutzten Sun-eigenen Solaris-Threads in Posix-Threads. Dieses Manöver befreit von einem sehr zeitaufwändigen Teil der Portierungsarbeiten. Allerdings bleiben noch einige Aufgaben, etwa die Ausnutzung von 64- statt 32-Bit-CPUs, Kommando-Unterschiede und Big- oder Little-Endian-Ordnung, bestehen, die eine Portierung erschweren.

Es ist noch nicht entschieden, in welcher Form Linux-Software von Compaq erscheinen wird. Festzustehen scheint, dass sie als Open Source, also mit Quellcode, geliefert werden soll. Allerdings konnten Compaq-Manager noch keine Angaben zum Lizenztyp machen. Bisher ist die Rede von einer "GPL-ähnlichen Lizenz". Eine Woche, nachdem Oracle demonstriert hat, dass "9i Real Application Cluster" auf Proliant-Servern mit Linux läuft, hat Compaq die Verbindung mit dem Datenbankanbieter vertieft. Compaq beteiligt sich am Linux-Lab von Oracle. Ziel ist dabei eine Verbesserung der Kernel-Entwicklung und -Leistung.

Bald ein Linux-Ipaq?Ab sofort wird der Server- und PC-Anbieter sein "Compaq Accredited Professionals Program" (Capp) zur Qualifizierung von Systemingenieuren ausweiten. Hinzu kommt der Zertifizierungslevel "Accredited Systems Engineer" (ASE) für Linux. Compaq ist in Gesprächen mit Red Hat und Sair, um die Zertifizierungsanforderungen denen des Linux Professional Institute (LPI) anzugleichen.

Schließlich zeichnet sich auch noch eine Änderung der Compaq-Politik hinsichtlich Embedded Systems in Sachen Handhelds ab. Bisher liefert Compaq den "Ipaq" ausschließlich mit Windows CE aus, auch wenn man die Entwicklung von Linux für Ipaq unterstützt hat. Jetzt hat Compaq einen Wettbewerb zur Entwicklung von Applikationen für Linux-Ipaqs ausgeschrieben. Der Gewinner soll auf der Konferenzmesse "Linuxworld" im August 2001 in San Francisco prämiert werden.

Durchwachsene ReaktionenGleichwohl mochte in Houston kein Compaq-Manager erklären, ob und wann Linux- statt Windows-Ipaqs auf den Markt kommen. Man denke über diese Option nach, hieß es. Wenn ein Kunde Linux-Ipaqs in größerer Zahl bestellen möchte, werde man diesem Wunsch möglicherweise nachkommen.

Diese Unbestimmtheit hat dazu beigetragen, dass Compaqs Linux-Orientierung in der Open-Source-Community auf durchwachsene Reaktionen stieß. So hieß es, das Unternehmen sei nicht glaubwürdig, solange es den Ipaq nicht mit Linux ausliefere, sondern Käufer zwinge, die "Microsoft-Steuer" Windows CE zu zahlen. Ferner müssten die Texaner alle Server und PCs mit vorinstalliertem Linux anbieten.

Compaq hat in den letzten Jahren nicht viel Aufhebens um seine Linux-Aktivitäten gemacht, zumal der einstige PC-Hersteller aus seiner Geschichte eine sehr enge Verbindung mit Microsoft hat. Eine Durchsicht von Compaq-Websites (siehe Kasten) zeigt allerdings, dass das Unternehmen sich spätestens seit 1999 stark um Linux-Entwicklungen gekümmert hat. Die jetzt vollzogene neue Ausrichtung ist gut vorbereitet.

Compaqs Linux-LinksLinux-Strategie:

http://www.Tru64unix.compaq.com/linux/background.htm

http://www.Tru 64unix.compaq.com/linux/documentation.htm

Whitepaper "Compaq and the Open Source Software Story" (verschweigt leider die Rolle von DEC) unter:

http://opensource.compaq.com

Compaqs Linux-Produkte:

www.compaq.com/products/software/linux/index.html

Compaqs Open-Source-Projekte:

http://opensource.compaq.com

Das Affinity-Programm:

www.Tru64unix.compaq.com/affinity

SCL-Portierungs-Tools:

www.Tru64unix.compaq.com/complibs/overview.htm

Solaris-Portierung (STL):

http://compaq.com/the_source/linux_papers/scl_solaris.htm