Compaq: Clone ohne Original

08.11.1991

Boris Becker wird von Gewissensbissen geplagt, ob er das horrende Preisgeld beim "Compaq Grand Slam Cup" nehmen soll oder nicht. Mittlerweile hat sich BB für eine Teilnahme entschieden. Die Organisatoren des Tennis-Spektakels hätten den Leimener allerdings noch mehr verunsichern können, falls ihnen nämlich aufgefallen sein sollte, daß der Hauptsponsor in Schwierigkeiten geraten ist. Was immer in ihnen vorgeht - sie lassen sich nichts anmerken. Hier zeigt sich ein Problem, das Außenstehende mit der DV-Industrie, insbesondere mit der PC-Branche, haben: Nirgends sonst ist die Empfindlichkeit gegenüber Rückschlägen so gering ausgeprägt. Zwei Symptome lassen sich ausmachen: Das Marketing-Geschwätz der Hersteller wird geglaubt, und - schlimmer noch - die Marketiers glauben an ihr eigenes Geschwätz.

Dabei kündigte sich etwa das Compaq-Tief an. Vorwarnung gab die CW am 12. April 1991: "Aus den Hochrechnungen für Compaq und Apple läßt sich auch keine Erfolgsgarantie ableiten - noch sind die PC-Highflyer den Beweis schuldig geblieben, das Geschäft mit 'Corporate America' zu beherrschen." Und doch verblüfft es viele, daß sich Compaq von Rod Canion getrennt hat.

Bei der Canion-Affäre sind die Begleitumstände interessanter als die Sachen, um die es eigentlich ging - als da sind: Verlust von Marktanteilen, Umsatzrückgang, zuletzt rote Zahlen. Der Compaq-Boß mußte gehen, weil der Aufsichtsrat ein Zeichen setzen wollte. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Mit der Ablösung Canions entsprach das oberste Gremium des PC-Herstellers unter dem Vorsitz von Ben Rosen wohl auch der Forderung einiger Compaq-Großaktionäre, die ihre Couponscheren einrosten sahen. Venture-Kapitalist Rosen, der Compaq 1982 finanziell angeschoben hatte, ist kein Mann, der gerne Geld verliert. Er ist aber auch kein Mann, der einem DV-Anbieter eine Pause oder gar eine Krise gönnt.

Damit wären wir - Stichwort: Marketing-Geschwätz - auf vertrautem Gebiet. Compaq gilt als besonders innovativ - eine unverdiente Anerkennung. Was soll am PC-Clonen innovativ sein? Das Clone-Modell funktionierte solange, wie es ein starkes, marktbeherrschendes Original gab. Sollten Rosen und Canion nicht gemerkt haben, daß die IBM-PC-Bastion wackelt?

Wirtschaftlich erfolgreich war Compaq - hier begegnen wir dem zweiten Bumerang -, weil das Clone-Geschäft über indirekte Kanäle lief, der Vertriebsapparat also klein gehalten werden konnte. Im Client-Server-Markt funktioniert das nicht mehr. Eine erfolgversprechende Erneuerungsstrategie setzt voraus, daß die Ursachen für die Fehlentwicklung erkannt werden. Eine starke IBM wird auch der Canion-Nachfolger Eckhard Pfeiffer, der als starker Mann gilt, nicht herbeizaubern können.