IT in Banken/Neue Infrastruktur für geschäftskritische Applikationen

Commerzbank erweitert strategisches Geschäftsfeld Investmentbanking

07.05.1999
Einen neuen Stellenwert sollte das Investmentbanking bei der Commerzbank AG, Frankfurt, erhalten. Dazu waren umfangreiche Investitionen und damit gravierende Veränderungen in der DV-Landschaft der Großbank notwendig. Für dieses Projekt wurden Amdahl und Sun Microsystems gewonnen, die gemeinsam ein komplettes Unix-Rechenzentrum auf die Beine stellten. Nicole Winkler* berichtet über das Vorhaben und dessen Realisierung.

Wer künftig bei institutionellen Kunden und Firmenkunden bestehen will, muß weltweit präsent sein. Überall restrukturieren, repositionieren und fokussieren sich Unternehmen. Dieser Wandel wird sich weiter beschleunigen. Unternehmensportfolios werden neu sortiert, Teile verkauft, andere dazugekauft. Boomende Börsen bescheren der Investmentbranche fette Jahre. Im weltweiten Handel mit Aktien, Derivaten, Rentenpapieren, Optionsscheinen etc. wird viel Geld verdient.

Die Commerzbank, eine der größten privaten Geschäftsbanken Deutschlands mit Sitz in Frankfurt (mehr als 600 Milliarden Mark Bilanzsumme, rund 30000 Konzernmitarbeiter) hatte das Investmentgeschäft bis dato den Branchengrößen überlassen und war selbst nur mit wenigen Investmentprodukten auf internationalem Parkett vertreten.

Auf dem Weg zum Global Player mußte nun die Frankfur-ter Händlergarde neu strukturiert und die eigenständige Derivate-Tochter Commerz Financial Products GmbH (CFP) mit Sitz in Frankfurt nach dem Abschluß ihrer Aufbauphase in das Mutterunternehmen zurückgeholt werden. Die Commerzbank verspricht sich davon einerseits Synergieeffekte, andererseits will sie ihren Kunden noch qualifiziertere, maßgeschneiderte Finanzlösungen aus einer Hand anbieten.

Parallel dazu standen eine ganze Reihe von Themen an, die das Investmentgeschäft in Deutschland nachhaltig bestimmen und neue Strategien in der Informationstechnologie fordern, darunter Auflagen, die gesetzlichen Charakter haben und für die Investmentbranche verbindlich sind. Weiter mußten Lösungen für die Einführung des Euro sowie zur Umstellung auf das Jahr 2000 und die damit verbundene Problematik gefunden werden.

Ein starker Anbieter, der als Partner die Wettbewerbsfähigkeit der Commerzbank und ihren Erfolg im weltweiten Marktgeschehen unterstützt und begleitet, war gefragt. Dabei stand zunächst die Integration des bisherigen Systems in die neu geschaffene Abteilung "Zentraler Servicebereich Datenverarbeitung - Betrieb Investmentbanking" (ZDV) an. Ziel war der Aufbau einer neuen, auf die geschäftskritischen Applikationen des Investmentgeschäfts ausgelegten Infrastruktur.

Bislang liefen alle Handelsapplikationen auf dezentralen Systemen. Rund 400 Workstation- und Server-Systeme von Sun waren mit dem gesamten Equipment als Thick Clients an verteilten Standorten im Einsatz - ein Riesenaufwand für die Administration. Sie mußte dafür sorgen, daß alle Daten rechtzeitig und konsistent zur Abwicklung in die Zentrale kamen, ohne daß irgendwelche Verluste und Fehler auftraten. Nicht ganz einfach, denn durch das weltweite Handelsgeschehen hatten sich zum Beispiel die Fenster für Wartung und Synchronisation verkleinert. Schwierig war auch, ein zeitnahes Risiko-Controlling zu garantieren, mit dem es nun möglich ist, jederzeit das sogenannte Gesamtbankrisiko zu bewerten und sicherzustellen, daß sich die jeweilige Bank in dem ihr zugestandenen Kreditlimit befindet. Eine Forderung, die bei verteilten Systemen aufgrund der Verteilung und des "Time lag" einiger Anstrengung bedarf.

Neues Geschäftsfeld optimal strukturiert

Erste Gespräche mit Amdahl wurden in Hannover auf der CeBIT ''98 geführt. Die Commerzbank suchte vor allem einen Lösungsanbieter, der als unvoreingenommener Berater genau die Konzepte und Produkte beurteilen konnte, die für die Bank geeignet waren. Amdahl bot sich als ein solcher Partner an, da das Haus zusätzlich über einen Schatz an Erfahrungen über Planung und Implementierung des Umfelds für die Betriebsführung in Rechenzentren verfügt.

In der Folge kam es zu einem ersten kleineren (Probe-)Auftrag. 1998 fiel dann die Entscheidung zugunsten von Amdahl als Gesamtkoordinator des Projekts "Server-Konsolidierung/MaH", gemeinsam mit Sun Microsystems die technischen Voraussetzungen für ein neues Rechenzentrum zu schaffen. Die Überführung der Altsysteme von CFP in die Commerzbank AG mußte mit den "Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften der Kreditinstitute" (MaH) vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BaKred) kombiniert werden. Ein Vorgehen, das der Commerzbank dazu diente, ihr neues strategisches Geschäftsfeld optimal zu strukturieren, um für die steigenden Anforderungen des Marktes entsprechend gerüstet zu sein.

Im einzelnen hat das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in seinen MaH mehrere Bereiche formuliert. Zunächst regeln diese die Zuständigkeiten. Hier werden Benutzerrechte nach bestimmten Auflagen vergeben, und damit wird festgelegt, wer wann was in welchem System handeln darf (Funktionstrennung). Jeder Vorgang wird penibel dokumentiert. Es ist ein ausgefeiltes Regelwerk, das dafür sorgt, daß jeder Mitarbeiter nur im Rahmen seiner definierten Kompetenz handelt.

Ausfallkosten pro Minute im sechsstelligen Bereich

Weiter greifen die MaH das Thema der ständigen Betriebsbereitschaft auf, also wie geschäftskritische Anwendungen unter dem Aspekt der größtmöglichen Verfügbarkeit geführt werden müssen. Laut Gesetz darf keine Anwendung länger als vier Stunden ausfallen. Eine Forderung, für die in der Praxis größte Anstrengungen unternommen werden. Im Hintergrund stehen hierbei die hohen Handelsaufkommen, die jeden Tag viele Milliarden umfassen. Für die Anwender heißt das aber auch: Jede Sekunde zählt in diesem Geschäft, wo sich nach Analysen des Marktforschungsinstituts Dataquest die Kosten für den Ausfall eines IT-Systems pro Minute im sechsstelligen Bereich bewegen können. Klar, daß kein Investmentbanker auch nur eine Minute offline sein will.

Eng verbunden mit der Frage der Betriebsführung ist die Datensicherheit. Das ist der dritte Themenbereich, den die MaH aufgreifen. Sie fordern neben dem Vorhalten einer Leistungsreserve in den Rechenzentren ein ganzes Bündel an abgestimmten Maßnahmen zur automatischen Sicherstellung der Datenintegrität. Diese reichen vom Einsatz neuester Server, Speicher und Software über die räumlich optimale Verteilung der Systeme bis zur Zuordnung der einzelnen strategischen Anwendungen in Ausfallsicherheitsklassen.

Quality-of-Service-Parameter festlegen

Solche Klassifizierungen werden vorgenommen, um Prioritäten abzuleiten und entsprechende Quality-of-Service-Parameter wie "Wiederanlaufzeit" und "maximal zulässiger Datenrückstand" festzulegen. Bei Anwendungen mit höchster Priorität müssen die Daten im normalen Betrieb laufend zum Ausweichsystem transportiert werden, da sie zur sofortigen Fortsetzung der Anwendungsläufe auf einem anderen, eventuell räumlich weit entfernten System benötigt werden.

Selbstverständlich sollte auch zur Durchführung von Handelsgeschäften die jeweils beste Applikation verwendet werden. In der Folge gilt es, sie - den unternehmensspezifischen Vorgaben entsprechend - an den konkreten Anwendungsfall anzupassen, zu "parametrisieren". Denn beim Aktienkauf zum Beispiel zählen nicht nur die aktuellen Kurswerte in Frankfurt oder London. Auch das Kreditlimit der Bank, Wechselkursschwankungen (Markt- risiko) oder Optionen mit ihren vielen Spielarten sind von Be- deutung. Dies alles setzt höhere Finanzmathematik voraus, also Hochleistungsmaschinen. Je schneller und genauer gerechnet wird, desto sicherer läuft das Geschäft. Dennoch: Das eigentliche Problem im Investmentbanking liegt in der Komplexität des Handels. Fakten aus unterschiedlichsten Bereichen fließen zusammen und bilden die Grundlage für erfolgreiche Geschäfte. Hier liegt das Know-how der Investmentbanker.

In einem ersten Schritt haben die Projektpartner Amdahl und Sun Microsystems Professional Services das neue Rechenzentrum entsprechend den Anforderungen der Commerzbank geplant und das gesamte technische Umfeld geschaffen.

Auf das MaH-Niveau gebracht

Im Anschluß daran wurden die Applikationen auf Sun-Enter- prise-10000-Hochleistungsdomänen in einen geregelten Rechenzentrumsbetrieb konsolidiert und hinsichtlich der gesetzlichen Anforderungen aus den MaH auf ein entsprechendes Niveau gebracht. Verfügbarkeit und Stabilität haben sich im Vergleich zur früheren Lösung entscheidend erhöht. Inzwischen sind mehrere Sun- Enterprise-10000-Systeme installiert und nach Qualitätssicherungs- und Produktionsaufgaben geteilt. Die Entwicklung neuer Applikationen wurde strikt separiert und erfolgt auf kleineren Sun-Solaris-Systemen. Die Trennung der Systeme schafft die Unabhängigkeit der Testdaten vom laufenden Betrieb. Damit ist sichergestellt, daß - auch bei absolut realitätsnahen Testläufen - in keinem Fall Schein- oder Fehlkäufe auftreten können.

Bereits heute laufen mehr als 400 Prozessoren im parallelen Betrieb. Nach Angaben von Sun Microsystems ist im Investmentbereich der Commerzbank AG damit eines der größten, wenn nicht das größte Unix-Rechenzentrum Europas installiert. Die Systemumgebung basiert auf Sun Solaris und einem Datenbanksystem von Sybase.

Transaktionen effizienter und günstiger abwickeln

Insgesamt umfaßt das Auftragsvolumen dieser Projektstufe eine Summe in zweistelliger Millionenhöhe - hauptsächlich für Dienstleistungen. So waren allein von Amdahl und Sun bis zu 74 Spezialisten mehr als 30 Wochen vor Ort, um die Auflagen des Bundesaufsichtsamts zeitgerecht zu erfüllen und die Server-Konsolidierung durchzuführen. Pünktlich zum 30. September 1998 lief der produktive Betrieb an.

Die neue IT-Infrastruktur ist für die Commerzbank neben ihrem Fach-Know-how die entscheidende Basis, im Markt der großen Anbieter nun auch im Investmentbanking Akzente zu setzen.

Mit dem neuen System lassen sich die weltweiten Handelstransaktionen jetzt sicher und effizient abwickeln.

Für die nächste Zukunft ist die Konsolidierung der verbliebenen Systeme geplant. Verfolgt wird weiterhin das Ziel, zusätzliche Lösungen im Bereich hochverfügbarer Systeme zu entwickeln - eine Vorgabe, die sich inzwischen zum eigenen Projekt entwickelt hat.

Außerdem ist eine "Desaster- Recovery"-Lösung in Ausarbeitung, die über bereits Installiertes hinaus kritische Unternehmensdaten besser vor Katastrophen schützen soll.

Angeklickt

Der Vorstand der Commerzbank AG beschloß 1997 neben dem klassischen Bankgeschäft das Investmentbanking als strategisches Geschäftsfeld neu zu positionieren. Ziel sollte sein, eine der führenden Investmentbanken Europas zu werden und die Stammkunden im Mittelstand fester zu binden. Ferner sollten künftig die Wertpapierhändler, Analysten und Kundenbetreuer der Commerzbank unter eigenem Namen auf den fünf wichtigsten Handelsplätzen der Welt - New York, Tokio, Frankfurt, London und Singapur - vertreten sein. Das bislang dezentral organisierte Handelssystem wurde umgestellt. Heute arbeiten die Banker mit einem der wohl größten Unix-Rechenzentren Europas.

*Nicole Winkler ist freie Journalistin in München.