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Röslers IT-Pläne im Wahlkampf

Comeback für den Neuen Markt?

19.08.2013
Kluge Köpfe, keine Kohle: Wirtschaftsminister Rösler will ein eigenes Börsen-Spielfeld für junge Internetfirmen. Der Crash vom Neuen Markt aber sitzt in Deutschland noch tief.

Anfang des Monats setzten sich in Frankfurt zwei Männer zusammen und diskutierten eine spannende Idee: kann man den 2003 beerdigten Neuen Markt von den Toten auferstehen lassen?

Wirtschaftsminister Philipp Rösler wäre sofort dabei. Er will der hoffnungsvollen deutschen Internetszene dabei helfen, über Börsengänge an dringend benötigtes Kapital zu kommen. Sein Gesprächspartner Reto Francioni, Vorstandschef der Deutschen Börse, signalisierte dem Vernehmen nach, das Vorhaben "ergebnisoffen" zu begutachten. Im Wirtschaftsleben heißt das meistens, von einer Umsetzung bis zum schnellen Scheitern ist alles möglich.

Rösler setzt sich seit langem für junge IT-Firmengründer ein. Zweimal reiste er in diesem Jahr mit Startups ins Silicon Valley nach Kalifornien, wo Investoren für gute Ideen Milliarden lockermachen. Davon träumt auch Berlin. Kreative Köpfe aus aller Welt haben sich in der Hauptstadt in Lofts oder Wohngemeinschaften eingemietet, um das nächste große Internet-Ding zu programmieren.

Für den langfristigen Markterfolg braucht man aber Geld, was eher konservativ veranlagte deutsche Banken für riskante IT-Projekte nur selten herausrücken. Börsengänge könnten ein Weg sein, diese Finanzierungslücke zu schließen. In den "Entry Standard" der Deutschen Börse wagten sich 2012 aber nur drei Firmen an den Kapitalmarkt, obwohl die Anforderungen vergleichsweise niedrig sind.

"Grundsätzlich ist es positiv, wenn verstärkt darüber nachgedacht wird, innovativen Unternehmen den Weg an den Kapitalmarkt zu ebnen", meint Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). "Ein eigenes Segment wäre hilfreich, sonst gehen Börsengänge kleiner Unternehmen leicht unter."

Auch Norbert Kuhn vom Deutschen Aktieninstitut (DAI) hält die Zahl der Börsengänge für ausbaufähig: "Allerdings muss man da auch an anderen Stellschrauben drehen, nicht nur an einem bestimmten Segment." Auch sollten Aktie als Anlage für Privatanleger steuerlich attraktiver und Hürden für die Aktienberatung abgebaut werden.

Auf Privatanleger soll ein neues Börsensegment für junge Hightech-Firmen aber gar nicht abzielen. Florian Nöll vom Deutschen Startup-Verband erklärt, die Branche habe aus den Fehlern des Neuen Marktes gelernt. "Wir haben institutionelle Anleger im Blick."

Das Bundesfinanzministerium erlaubt sich den Hinweis, dass nach dem Crash vor zehn Jahren niemand glauben sollte, dass die Regulierung gelockert werden könnten, nur um Internetfirmen mehr Geld zu beschaffen. "Da haben wir alle unsere Lektion mehr als reichlich gelernt", sagt Ministeriumssprecher Martin Kotthaus. Die Börse könne jederzeit neue Segmente eröffnen. Die Interessen von Startups und die regulatorischen Anforderungen müssten aber sauber abgewogen werden.

Die Skepsis ist berechtigt. Allen Beteiligten sitzt das Drama vom Neuen Markt noch in den Knochen. Zum Start am 10. März 1997 war die Euphorie groß. Die Aktie des Mobilfunkanbieters Mobilcom kletterte im ersten Börsenjahr um 2800 Prozent.

Verlockt von der Aussicht auf schnellen Reichtum legten auch Privatleute viel Geld in Aktien an. Doch Kursrallys brachten den Neuen Markt als "Zockermarkt" in Verruf, aufgeblasene Bilanzen, Kursbetrug und Insiderhandel gaben der "New Economy" den Rest. Seit dem 5. Juni 2003 ist der Neue Markt Geschichte.

Milliarden wurden verbrannt, viele Anleger machen seither einen großen Bogen um die Börse. Die Aktienkultur in Deutschland litt dauerhaft unter dem Platzen der Dotcom-Blase: Die Zahl der Aktionäre erreichte den Höchststand des Jahres 2001 (fast 13 Millionen, Aktionärsquote 20 Prozent) nie mehr.

Wer "Internet" richtig schreiben konnte und ein ".de" im Firmennamen unterbrachte, war schon so gut wie ein Börsenstar. "Manche Unternehmen, die nur aus ein paar Leuten, Computern und Büros bestanden, hatten auf einmal eine Bewertung wie Daimler", erinnert sich Börsen-Urgestein Fidel Helmer von Hauck & Aufhäuser.

Auf jeden Fall sollte ein "Neuer Markt 2.0" anders heißen als sein unrühmlicher Vorgänger, meinen Börsenkenner - sonst könnte der Schuss nach hinten losgehen. Überhaupt glauben Insider, dass es mit dem Comeback eher nichts werden dürfte. In Berlin heißt es, "das Ding" sei langfristig angelegt und müsse einen anderen Namen kriegen. Rösler würde die Markteröffnung sicher gerne als Minister erleben. Das zumindest entscheidet sich schon in vier Wochen bei der Wahl. (dpa/tc)