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Thema des Tages

Comdex: Carly Fiorina will HP neu erfinden

16.11.1999
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LAS VEGAS (ciw) - Die neue HP-Chefin Carly Fiorina gab sich in ihrer ersten großen Rede auf der Comdex ganz als Visionärin, die das Unternehmen mit radikalen Produkt- und Service-Ideen aus der Krise führen will. Viel Konkretes hatte sie aber nicht nach Las Vegas mitgebracht.

Zweite(r) zu sein ist immer ein Problem - besonders dann, wenn man nach Bill Gates (CW Infonet berichtete) eine Rede halten soll. Deshalb, und weil der Begriff "E-Services" so dermaßen von IBMs "E-Business" abgeschaut ist, hätte die neue HP-Chefin eigentlich große Schwierigkeiten haben müssen, originell zu erscheinen. Zumal sie sich vor Beginn ihrer Rede noch einer weiteren "Adaption" bediente: "What do you want the net to do for you today?", lautete - frei nach Microsoft - die rhetorische Frage an das Publikum und gleichzeitig das Motto ihrer Rede.

Doch Fiorina focht das nicht an. Was sie sagte und zeigte, war weitaus programmatischer und auch mutiger als die Aussagen und halbneuen Ankündigungen, die Bill Gates sich am Vorabend abgerungen hatte. Ihrer Ansicht nach steht das Internet am Scheideweg. "Noch hat das Web die gemachten Versprechungen bei weitem nicht erfüllt. Jetzt stellt sich die Frage, ob es weiterhin von Eliten benutzt wird, also Cyberspace, nur wenigen bekannt und kalt bleibt, oder ob es Gemeingut, bekannt und freundlich für jedermann wird."

Diese Entwicklung hin zur Allgegenwärtigkeit des Netzes hängt allerdings nicht in erster Linie von der weiteren technologischen Entwicklung ab, sondern zunächst einmal von einer veränderten Unternehmenskultur, als deren wichtigste Bestandteile Fiorina die Fähigkeit zur Entwicklung radikaler Ideen bezeichnet, gepaart mit dem Vermögen, diese schnell und richtig in Geschäftsprozesse und Technologien umzumünzen. Als dritte Ingredienz der neuen E-Kultur nannte sie Balance und Synthese. "Noch vor ein, zwei Jahren lebten wir in einer Entweder-oder-Welt." Internet-Company oder traditionelles Unternehmen, oder wie die Amerikaner sagen, entweder eine "Click-Company" oder eine "Brick-and-Mortar"-Company zu sein. Heute gehe es aber darum, das beste aus beiden Welten miteinander zu verbinden, erklärte Fiorina. Ohne diese Fähigkeiten würden Unternehmen auch mit der besten Technologie nichts erreichen.

"Wir stehen am Ende der Produkt-Ära. Heute gelten Produkte als viel brauchbarer und wertvoller, wenn sie von entsprechenden Services umgeben sind." Als Beispiel nannte Fiorina das Auto, das sich zunehmend zu einer Ausgangsplattform für alle möglichen Dienstleistungen wie Reisen oder mobile Kommunikation entwickle. Ähnlich verhalte es sich mit Tankstellen. Die Zapfsäulen seien ein Kristallisationspunkt für Services, die mit dem Tanken nichts mehr zu tun haben - wie Getränke-, Zeitschriften-, und Zubehörverkauf - um nur die zu nennen, die bereits existieren. "Services sind deshalb so wichtig, weil der Kunde zum einen die Erfahrungen mit den Services einer Firma mit der Qualität des Unternehmens gleichsetzt. Zum anderen aber lassen sich in der Post-Produkt-Ära nur mit Dienstleistungen Umsatz und Gewinn erwirtschaften. Der Service wird zum wichtigsten Differenziator." Und deshalb laute die für Unternehmen alles entscheidende Frage: Welche Dienstleistungen, sollen wann, wie und für wen erbracht werden?

Um das zu leisten, müßten drei "Vektoren" beachtet werden.

Services sind E-Services. Sie müssen kreiert und über das Internet an Geräte wie Handies oder PDAs (Personal Digital Assistants) geliefert werden können. "Da unsere ´E-Speak´-Software [HPs Middleware für E-Commerce-Anwendungen] ein Garant für die Lieferung aller denkbaren Services übers Netz ist, es also mit seinen universellen Übersetzungsfähigkeiten eine wichtige Infrastruktur darstellt, werden wir am 8. Dezember den Quellcode der Software freigeben."

Den zweiten Vektor im E-Services-Geschäft bilden die verschiedensten Endgeräte (Appliances). Sie werden in alle Lebensbereiche eindringen. Alles was mit einem Microchip ausgerüstet ist, kann ein I-Appliance sein. Dabei variiert die Größe vom Kühlschrank bis zum mikroskopisch kleinen Gerät mit Internet-Anschluß.

Nicht weniger wichtig in Fiorinas Internet-Service-Welt ist der dritte Vektor, die Infrastruktur, die zum einen jederzeit Milliarden von Endgeräten und zum anderen Billionen von Transaktionen unterstützen können muß.

Um aber mit E-Services Umsatz und Gewinne erwirtschaften zu können, darf man nicht nur einen dieser Vektoren beachten, sondern muß alle drei gleichzeitig im Auge behalten. Wer an den Kreuzungspunkten dieser Vektoren Stellung bezieht, hat allerbeste Chancen, für seine Company hohe Gewinne zu erwirtschaften. Daß Fiorina ihr Unternehmen genau an einer solchen Kreuzung sieht, verwundert nicht. "Wir sind im Hardware- und Software-Business genauso zuhause wie im Business-to-Business- und im Endkundengeschäft. Wir verkaufen Server, Workstations genauso wie Devices und Appliances. Ich werde Hewlett-Packard dazu bringen, diese Position auszunutzen," versprach die Managerin.

Fiorina will HP neu definieren, indem sie das Unternehmen an die Innovationskraft und Radikalität seiner Gründer Bill Hewlett und Dave Packard gemahnt, denen es um Produkte und nicht um Börsenwerte gegangen sei. "HP ist immer noch eine innovative Company, in den Labors existieren genügend Ideen für Produkte und Services, - nur irgendwann haben wir aufgehört, über Innovationen zu reden. Das wird sich ändern." Anwender könnten damit rechnen, mit einer Firma zusammenzuarbeiten, die sich neu erfunden habe, die "anders aussieht, anders redet, und vor allem anders handelt" als bisher, versprach die Topmanagerin. Sie beendete ihre Rede mit der Präsentation eines neuen Logos, das unter den Buchstaben HP nur ein Wort führt: "invent" [Erfinde!].

Bis auf E-Speak und den bereits eine Woche vor der Comdex vorgestellten Zwitter zwischen PC und Internet-Appliance namens "IPC "erwähnte die Managerin allerdings keine Produkte, die ihre Visionen in absehbarer Zukunft Realität werden lassen könnten. Lediglich eine Kooperation mit Swatch kündigte sie an. Der Schweizer Uhrenhersteller soll mit HPs Hilfe eine Internet-Uhr auf den Markt bringen, mit der ihr Träger kabellos eine Verbindung zum Web herstellen und dann auf die vielbeschworenen E-Services zugreifen kann.