Dünne Personaldecke bringt Unternehmen in die Bredouille

Cobol-Kenntnisse sind mittlerweile Gold wert

29.05.1998

"Ist Cobol wirklich tot?" - mit dieser Frage befaßte sich in München eine Gesprächsrunde mit Vertretern aus Industrie und Anwenderunternehmen. Daß dieses Thema nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal diskutiert wird, steht für Udo Bauermann, Mitglied der Direktion Zentralbereich Informatik bei der Münchener Rückversicherung, fest: "Die Berechtigung von Cobol wurde vor zehn genauso wie vor fünfzehn Jahren in Frage gestellt - dabei lebt Cobol immer noch."

Der Versicherungsexperte ist überzeugt, daß die Cobol-Anwendungen in seinem Unternehmen im Gegensatz zu ihren Entwicklern noch nicht so bald in Rente gehen werden: "Cobol wird es bei der Münchener Rückversicherung noch rund 20 Jahre geben - wesentlich länger als mich." Die Teilnehmer der von der Micro Focus GmbH organisierten Veranstaltung waren sich einig darin, daß das Ende von Cobol zwar nicht abzusehen, die Sprache aber insgesamt an Bedeutung verlieren werde.

Frank Sempert, Geschäftsführer der SEC Euro-Consulting und Sprecher der "Initiative 2000", zog folgendes Fazit: "Solange in den Unternehmen noch derart viele Cobol-Anwendungen existieren, verliert diese Sprache auch nicht ihre Berechtigung. Allerdings ist zu erwarten, daß diejenigen Unternehmen, die die IT zunehmend strategisch einsetzen, sich nicht länger für Cobol entscheiden werden."

Einigkeit herrschte ebenfalls darüber, daß sowohl Cobol als auch Assembler in den letzten zwei Jahren eine immense Aufwertung erfahren haben. Schließlich würden sowohl für die Jahreszahlen-Umstellung als auch für die Einführung des Euro vor allem die Hilfe von Cobol- und Assembler-Programmierern benötigt. "In Deutschland werden derzeit, und das wird im nächsten Jahr noch zunehmen, DV-Profis mit diesen Kenntnissen dringend gesucht", erläuterte Sempert.

"Leute, die früher entlassen wurden oder freiwillig gegangen sind, werden heute gefragt, ob sie wieder für die alte Firma arbeiten möchten." Doch mit dieser "Rückrufaktion" könne der Bedarf bei weitem nicht befriedigt werden. Selbst Dienstleistungsunternehmen wie EDS, Ploenzke oder Debis würden über den eklatanten Mangel an Programmierern klagen.

Sempert ist überzeugt, daß diese Nachfrage nicht - wie von vielen erwartet - im Jahr 2000 schlagartig zurückgehen wird. Die Umstellungsproblematik werde die Unternehmen noch viel länger beschäftigen. Um das Personaldilemma in den Griff zu bekommen, sind laut Sempert Initiativen erforderlich, die die entsprechenden Leute auf eigenes Risiko qualifizieren und vermitteln.

So habe die von Sempert geleitete "Initiative 2000", ein Zusammenschluß von 14 Anbietern der IT-Branche, im vergangenen Jahr eine Jobbörse für Assembler- und Cobol-Programmierer eingerichtet.

Ob Initiativen dieser Art mehr als nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein können, bleibt indes abzuwarten. Die Teilnehmer der Diskussionsrunde warnten jedenfalls davor, daß diejenigen Unternehmen, die in puncto Euro und Jahr 2000 nicht vorgesorgt hätten, ihr blaues Wunder erleben könnten.

Die Münchener Rückversicherung zählt indes zu den vorausschauenden Unternehmen, die externe Hilfe rechtzeitig gebucht haben. IT-Experte Bauermann: "Unser Haus gehört wohl zu den wenigen, die derzeit nicht nach Cobol-Leuten suchen. Für die Euro-Einführung und die Jahreszahlenumstellung setzen wir Externe ein. Und wenn wir zusätzlich noch jemanden für eine Cobol-Anwendung benötigen, stellen wir einen neuen Mitarbeiter ein und qualifizieren ihn entsprechend." Allerdings bliebe dem Unternehmen auch gar nichts anderes übrig, denn kein Hochschulabsolvent könne heute noch Cobol-Kenntnisse vorweisen.

Der Münchener Versicherungs-Manager resigniert: "Viel schlimmer ist jedoch, daß wir nicht einmal einen Informatiker finden. Auf unsere Anzeigen bewerben sich Lehrer, Geologen und Biologen. Ein Informatiker ist fast nie dabei." Um überhaupt neue Leute zu bekommen, würden ebendiese Quereinsteiger eingestellt und mit DV-Know-how ausgestattet. Darüber hinaus bildet die Münchener Rückversicherung Auszubildende als DV-Kaufleute aus. Die ganz großen Probleme sieht Bauermann erst dann auf die Unternehmen zukommen, wenn die erste Programmierergeneration in den Ruhestand gegangen ist: "Hochschulwissen allein reicht nicht aus, um die Macken alter Programme in den Griff zu bekommen. Wenn die DV-Oldies darüber hinaus die Dokumentation vernachlässigt haben, wird es eng."

Sempert hält es für die nächsten Jahre für einen großen Wettbewerbsvorteil, wenn Informatikabsolventen zusätzlich noch Cobol-Wissen vorweisen können.

Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.