Schon oft abgeschrieben, aber nie von der Bildfläche verschwunden:

Cobol behauptet weiter unangefochten seine Führungsrolle

18.07.1986

"Cobol ist tot." Dieses Gerücht geisterte schon vor über zehn Jahren durch die DV-Welt. Trotzdem sind immer noch etwa 80 Prozent aller kommerziellen Applikationen in der als "antiquiert" angeprangerten Programmiersprache geschrieben. Seit einiger Zeit zeichnet sich sogar eine Cobol-Renaissance ab.

Unter programmiertechnischen Aspekten war die letzte Dekade geprägt von einer fast schon babylonischen Sprachvielfalt und -verwirrung: Im Mainframe-Bereich erlebte PL/1 einen Boom. Mit Einführung der Mikrocomputer kam Basic in Mode, und Cobol schien vergleichsweise keine Chance zu haben. Durch Basic und später Pascal glaubten die DV-Experten, alte Standards und überflüssige Formalismen über Bord werfen zu können.

Die verschiedensten Basic- und Pascal-Compiler und

-Interpreter schossen wie Pilze aus dem Boden. Lediglich eine kleine Gruppe von Herstellern brachte auch Cobol-Compiler für Mikrocomputer auf den Markt. Und hier deutete sich bereits 1982 eine Wende an. Getragen von der Erkenntnis, daß die Programmiersprache allein nahezu unbedeutend ist, entstanden im Umfeld der Cobol-Compiler Softwareentwicklungs-Tools, die es bis heute für kaum eine andere Programmiersprache gibt.

Integrierte Editor-Programme mit einem aufgabenorientierten Funktionsumfang, die perfekte Programmtests ermöglichen, Bibliotheks- und Dateiverwaltungssysteme, wie man sie bisher nur von Großanlagen kannte, führten zu einer immer stärkeren Verbreitung von Cobol auf Mikrocomputern.

Ein weiteres Hess für die Verbreitung der Programmiersprache stellte der Preis der Compiler und Runtime-Systeme dar. Während Basic-Interpreter vielfach kostenlos zusammen mit dem Betriebssystem geliefert wurden, Pascal-Compiler bereits für Schüler erschwinglich wurden, sind Cobol-Compiler nach wir vor sehr teuer, zumindest was die Anschaffungskosten betrifft.

Gemessen an der Gesamtinvestition für ein Softwarepaket ist der Kaufpreis jedoch im professionellen Softwareentwicklungsbereich vergleichsweise unbedeutend. Da der für die Erstellung von qualifizierter Software benötigte Zeitaufwand in Mann-Jahren gemessen wird, tritt dieser Kostenaspekt in den Hintergrund; er stellt lediglich ein Anfangshemmnis dar.

Viel wichtiger ist es für den Programmierer, mit geeigneten Werkzeugen die Zeit der Softwareentwicklung zu verkürzen und vor allem seine Softwareinvestitionen für die Zukunft zu sichern. Beide Anforderungen kann Cobol erfüllen: Die Sprache ist genormt; der Quellcode läßt sich somit ohne fundamentale Probleme auf andere Computersysteme - bis hin zum Mainframe - portieren. Cobol bietet ferner den Zugriff auf ausgereifte Entwicklungs-Tools, Dateiverwaltungssysteme und Betriebssystemfunktionen. Und all dies unter Verwendung von Formalismen, die ebenfalls auf andere Rechnertypen übertragen werden können.

Mikro-lntegration fördert Portabilitätsgedanken

Die Bedeutung dieser Portabilität wächst in dem gleichen Maße, wie Mikrocomputer und Großrechner integriert werden, also auf die gleichen Ressourcen zugreifen wollen und müssen.

Seit Verabschiedung des neuen Cobol-Standards im Herbst 1985 können auch all die Argumente gegen die Sprache nicht mehr ins Feld geführt werden, die sich auf die bisher fehlende Strukturierungsmöglichkeit stützten. Mit der überarbeiteten Norm wurde eine Vielzahl neuer Sprachelemente integriert, die echte strukturierte Programmierung ermöglichen.

Befehle wie "IF... END IF, PERFORM ... END PERFORM, EVALUATE ermöglichen nun eine blockorientierte Programmierung ohne GOTO-Befehle. Verfechter dieser Programmiermethode können diese nun nicht nur in Pascal realisieren, sondern auch in Cobol und dabei auf das erheblich größere Leistungsumfeld dieser Programmiersprache zugreifen.

Neue Cobol-Compiler beseitigen mittlerweile auch die alten 64-KB-Grenzen im PC-Bereich und bieten durch eine Sprach- und Funktionsangleichung an den Großrechner neue Einsatzgebiete für den PC und die in Cobol entwickelte Software.

Wie stark dieser Trend ist, zeigt auch die Tatsache, daß die verbreitetsten Entwicklungswerkzeuge, die auf Großrechnern zur Verfügung stehen, auf die PC-Ebene gebracht werden (ISPF, CICS, IDMS), um eine möglichst identische Arbeitsumgebung auf PC und Mainframe zu schaffen.

All diese Tools beziehen sich aber in der Hauptsache auf den Einsatz im Zusammenspiel mit Cobol. Dies darf nicht verwundern, wenn man bedenkt, daß weltweit rund 80 Prozent aller kommerziellen Anwendungsprogramme in Cobol geschrieben sind.

Beurteilt man also Entwicklungen und Erweiterungen der "antiquierten" Programmiersprache Cobol unter diesem Blickwinkel, kommt man schnell zu der Erkenntnis, daß sie gute Chancen hat, sich langfristig auch im PC-Bereich durchzusetzen.

* Michael Rölke ist Geschäftsführer der GFU Cyrus + Rölke mbH Computerservice, Köln.