Client-Server-Anwendungen/Teknekron Information Bus als Verteilsystem Die DG Bank richtet eine neue Handelsraum-Umgebung ein

03.03.1995

Auf der Basis einer verteilten IT-Architektur realisiert die DG Bank ein Handelssystem, das seinesgleichen sucht. 240 Unix-Rechner und der "Teknekron Information Bus", so berichtet Robert Harnischmacher*, bilden bei den Frankfurtern das Rueckgrat fuer ein unternehmensweites Management von Produkten, Positionen und Risiken.

Die DG Bank hat sowohl die Begrenzungen als auch die Moeglichkeiten informationstechnischer Standards bei der Integration ihres unternehmensweiten Informations-Managements analysiert. Waehrend in transaktionsorientierten, durchgaengig strukturierten Bereichen wie dem Kreditgeschaeft und dem Zahlungsverkehr auf Standardprotokolle wie Swift und Edifact gebaut werden kann, sind derartige Schnittstellen-Definitionen im Wertpapier-, Geld- und Devisenhandel kaum vorhanden. "Hier wird es auch in den naechsten Jahren keine Standardisierung geben, denn die Welt der Produkte und Maerkte ist zu bunt", prognostiziert Volker Willgosch, Hauptabteilungsleiter fuer den Geschaeftsprozess "Handel und Anlage" der DG Bank.

Festgelegt wird die Vielfalt von Programmen, Plattformen und Schnittstellen im Handelssegment letztlich durch die Kunden selbst und ihre verschiedenartigen Anforderungen an die Bank. Der Kundentypus - ob Volksbanken und Raiffeisenbanken, Fondsgesellschaften oder Firmenkunden -, seine individuelle Portfoliostruktur sowie seine Anlagestrategie lassen die Komplexitaet des Handels steigen.

Hinzu kommt, dass die Maerkte durch die Elektronisierung globaler werden; wachsende Teilnehmerzahlen und derivative Produkte erhoehen drastisch die Anforderungen und Entwicklungsmoeglichkeiten. Die Steuerung der damit steigenden Risiken erfordert einen verstaerkten Einsatz von Portfolio- und Risiko-Management-Instrumenten.

Als Spitzeninstitut der Volks- und Raiffeisenbanken uebt die DG Bank eine besondere Funktion aus, indem sie im Handelssektor der wichtigste Kontrahent der Kreditgenossenschaften ist. Sie nimmt zahlreiche Serviceaufgaben fuer diese Banken wahr, von der Information ueber die Beratung bis hin zum Handel und der Abwicklung. Auch zentrale Funktionen wie das Meldewesen, die Finanzbuchhaltung und das Controlling muessen von der DG Bank DV- technisch abgebildet werden.

Angesichts der Kundenvielfalt und des Spektrums an Produkten im Handelssektor ist es kaum verwunderlich, dass die DG Bank mit rund zehn Handelsapplikationen bislang ueber einen "Zoo von Anwendungen" verfuegte, der datentechnisch kaum miteinander verbunden war. Eine Datenintegration erfolgte lediglich produktspezifisch, so dass zwischen Front- und Back-Office eine Vielzahl von Schnittstellen existierte.

Um die Minimierung der Schnittstellen-Zahl und die dazu notwendige Standardisierung der Applikations- und Plattformlandschaft dauerhaft planbar zu machen, entwarfen die Planer der Bank ein sogenanntes Zwiebel-Modell: In der aeusseren Schicht finden sich die eigentlichen Kundendienstleistungen - im Handelsbereich sind dies vor allem die Verarbeitung von Markt- und Wirtschaftsinformationen sowie der An-und Verkauf von Wertpapieren, Geld und Devisen. Die dahinterliegende Schicht symbolisiert das Middle-Office. Es uebt unterstuetzende Funktionen aus, beispielsweise das Portfolio- und Risk-Management.

Das innerste Segment der Zwiebel repraesentiert schliesslich zentrale Geschaeftsaufgaben vom Controlling ueber die Finanzbuchhaltung bis hin zum Meldewesen. Die Standardisierung der Systeme sollte nach diesem Modell schichtweise erfolgen, so dass die Informations- und Handelssysteme im Front-Office in gleicher Weise miteinander integriert werden wie die Instrumente des Middle- und Back-Office.

Da eine Standardisierung auf Programmebene aufgrund der Vielfalt der Anwendungen nicht moeglich war, entschieden sich die Planer der DG Bank fuer den Aufbau einer vereinheitlichenden Rahmenarchitektur. "Uns war klar, dass wir mit der Systemintegration erst dann beginnen koennen, wenn wir entsprechende Netzwerke, eine durchgaengige Hardwareplattform und eine Informationsverteil-Plattform implementieren, auf der wir Marktinformationen und juristische Daten per Realtime-Broadcast verteilen koennen", erinnert sich Willgosch.

Insbesondere die Bereitstellung der Informationsdienste von "Reuters", "Telerate" und "VWD" auf einer einheitlichen Plattform sollte es den Haendlern ermoeglichen, ihre Preismodelle "realtime" rechnen zu koennen.

Nach einer umfangreichen Ausschreibung entschied sich die DG Bank fuer eine Hardwareplattform von Sun Microsystems sowie fuer Teknekron als Informationsverteilsystem. Bei der Auswahl von Teknekron erwies sich vor allem die Funktionalitaet der Programmier-Schnittstelle (API) als ausschlaggebend. Es bestand die Moeglichkeit, transparente Anbindungen an das API zu schaffen und Applikationen performant auf dem Teknekron Information Bus (TIB) zu entwickeln. Nicht zuletzt spielte auch die WAN-Faehigkeit eine Rolle: Ueber die GIS GmbH (Genossenschaftlicher Informationsservice) sollen bundesweit acht genossenschaftliche Grossrechenzentren versorgt und rund 1500 Volks- und Raiffeisenbanken ueber Satellit angebunden werden.

Der Nutzen des TIB in Verbindung mit einer durchgaengigen Hardwareplattform liegt fuer die DG Bank im ersten Schritt darin, die Vielfalt der Systeme reduzieren zu koennen und damit die Informationskosten in den Griff zu bekommen. Ueber den TIB werden jetzt nur noch solche Daten von den Informationsdienstleistern eingekauft, die wirklich gebraucht werden - die Mischung selektiv benoetigter Informationen verschiedener Anbieter auf einem Bildschirm macht das moeglich. Frueher musste die DG Bank die proprietaeren, nicht vernetzten Services gleichsam als Komplettpaket abnehmen.

"Jetzt nehmen wir alles zusammen und speisen es in Teknekron ein, unabhaengig davon, ob es Daten fuer Beratung, Research oder Asset- Management sind", charakterisiert Jens Wirsching, verantwortlich fuer den Geschaeftsprozess "Wertpapierhandel", die neue Informationsarchitektur. Vom TIB aus kann sich jeder Haendler aus dem gesamten Datenpool seine individuellen Informationssichten selektieren.

Zugleich dient der TIB dazu, auch in den Handelssystemen generierte Daten bankweit bereitzustellen. Dazu laufen diese zukuenftig in einer Geschaeftsdatenbank zusammen, in der sie beispielsweise fuer Global-Risk-Berechnungen zur Verfuegung stehen. Umgekehrt werden auch Daten an das einzelne Handelssystem zurueckgespielt.

Das geschieht beispielsweise, um den Haendler zu informieren, ob er im Markt liegt oder ob die beabsichtigten Risiken von der Bank eingegangen werden koennen.

"Wir wollen beides in einem Zuge machen: Risiko-Management und Systemintegration", erlaeutert Wirsching. Die Systemintegration ist jedoch nicht nur Voraussetzung fuer eine Realtime-Berechnung individueller und bankenweiter Risiken, sondern sorgt auch fuer einheitliche Schnittstellen zum Back-Office. "Der Datenpool, den wir da aufbauen, ist einfach von unschaetzbarem Wert", so Wirsching.

Katalysator der Integrationsbemuehungen ist vor allem das Middle- Office, dem im Bereich der Performance-Messung und der Risikosteuerung eine neue Bedeutung zukommt. Verantwortlich hierfuer sind neue gesetzliche Anforderungen wie das zweite Finanzmarktfoerderungs-Gesetz und die Kapitaladaequanz-Richtlinie, die neue Anforderungen nach einer "Realtime"-Bewertung von Risiken mit sich bringen. Risikokosten muessen zukuenftig direkt in die Entscheidungen des Haendlers mit einfliessen; es genuegt nicht mehr, sie per Batch-Verarbeitung zeitversetzt zu ermitteln.

Zur Bewertung der Risiken reicht es wiederum nicht aus, den Einstandskurs und den aktuellen Marktwert sowie den vorgeblichen Trend zu kennen. Vielmehr muessen die Risiken ueber komplexere Varianz- und Kovarianzmethoden, Kennzahlen und Algorithmen berechnet werden, so dass die Entscheidungen des Haendlers transparenter werden. Um die Risikoberechnungen bankweit durchfuehren zu koennen und verfuegbar zu machen, entwickelt die DG Bank derzeit eine Risiko-Management-Anwendung, die die Marktdaten in einer Rate-Shell fuehrt und die Risikomessung des DG-Bank- Portefeuilles an 416 flexibel definierbaren Indikatoren durchfuehrt. Fuer das Global-Risk-Management ueber Kurs-, Zins- und Waehrungsrisiken haelt das zentrale Marktrisiko-Controlling eine fuenfjaehrige Datenhistorie vor.

Neue Perspektiven eroeffnet die maechtige "Risk Engine" der DG Bank auch fuer eine Verbreiterung des Serviceangebots. Versteht sich die Bank bereits heute als Risk- und Asset-Management-Berater fuer institutionelle Anleger, so ist schon bald eine elektronische Unterstuetzung solcher Services vorstellbar. Der Kunde kann dann beispielsweise sein Depot in die Risk-Engine-Datenbank einstellen, um es auf Basis individueller Parameter berechnen und in eine Risikomatrix giessen zu lassen.

Weniger Komplexitaet als zentrale Herausforderung

Die fuer einen solchen Service notwendigen Connectivity-Loesungen hat die DG Bank bereits in ihrer Funktion als Spitzeninstitut fuer den genossenschaftlichen Sektor etabliert. Ueber eine Anbindung an das OS/2-LAN der Kreditgenossenschaften sowie ueber eine satellitengestuetzte Uebertragung der GIS GmbH kann der DG-Bank- Handel seine Bildschirme bis in die einzelnen Filialen der Volks- und Raiffeisenbanken verteilen. In einigen Bereichen wie dem Devisenhandel will die DG Bank ihren Kunden demnaechst sogar die Angebote realtime auf den Bildschirm stellen. Die Kreditgenossenschaften koennen dann auf Knopfdruck ueber X.25- Verbindungen Geschaefte ueber das Handelssystem der DG Bank abwickeln.

Fuer Willgosch markieren die vielschichtigen Entwicklungen im Einsatz von Handelsraumtechnologien eine "kopernikanische Wende in den Koepfen: Das Zentrum ist nicht mehr der Grossrechner, sondern eine verteilte Architektur", meint der DG-Bank-Manager. Die zentrale technologische Herausforderung, um bei der Dynamik des Handelsgeschaefts an der Spitze mitzuspielen, sieht er in der "Reduktion von Komplexitaet".

Die Basis hierfuer liegt fuer Willgosch sowohl in den 240 Sparc- Stations und -Server, die das Hardwarefundament der neuen Handelsraumumgebung bilden, als auch in der Versorgung der Haendler mit qualitativ hochwertigen Informationen und Applikationen. Die Engpaesse sieht er heute nicht mehr in den verfuegbaren Technologien, sondern in dem Wissen um ihren produktiven Einsatz: "Die Technologien zu denken, die Opportunitaeten der Technik auch umzusetzen und Anwendungen zu entwickeln, die funktional das Beste herausholen und Mehrwert bringen - das ist die eigentliche Herausforderung", lautet das Credo des Handelsexperten.

* Robert Harnischmacher ist freier Journalist in Frankfurt.