Nach Einbruch des Aktienkurses

Citrix möchte Image des NT-Anhängsels loswerden

04.08.2000
MÜNCHEN (ws) - Im Geschäft mit Zusatzdiensten für den Windows Terminal Server traut die Börse Citrix offenbar kein großes Wachstum zu. Die Company will daher ihr Angebot an Thin-Client-Lösungen auf mehrere Server-Plattformen ausweiten. Im Herbst sollen zudem neue Entwicklungswerkzeuge angekündigt werden.

Die Citrix-Aktie büßte im Mai dieses Jahres, als Technologiewerte generell unter Druck gerieten, rund zwei Drittel ihres Wertes ein. Sie fiel von ihrem Vorjahreshoch von 120 Dollar auf rund 40 Dollar. Die am 12. Juni ausgesprochene Gewinnwarnung und der darauf folgende Rücktritt des Firmengründers Ed Iacobucci als CEO ließen den Wert auf 20 Dollar absacken. Nach der kürzlichen Bekanntgabe der aktuellen Quartalszahlen (siehe Kasten) sank das Papier nochmals um rund fünf Dollar und ist damit auf einem Kurs von etwa 15 Dollar angelangt. Innerhalb eines Jahres reduzierte sich somit der Wert des einstigen Börsenlieblings auf ein Achtel.

Dieser Absturz reflektiert nicht bloß die Enttäuschung der Analysten über das aktuelle Geschäftsergebnis - immerhin konnte Citrix ja den Umsatz steigern und weiterhin schwarze Zahlen schreiben. Vielmehr kommt darin die Unsicherheit zum Ausdruck, die mit den Geschäftsaussichten und der Positionierung von Citrix insgesamt verbunden sind.

Karl-Heinz Warum, Managing Director Central Europe, erklärt gegenüber der COMPUTERWOCHE den momentanen Durchhänger mit einer doppelt motivierten Übergangsphase. Zum einen gingen Kunden dazu über, das Terminalmodell nach ersten positiven Erfahrungen mit taktischen Implementierungen nun strategisch einzusetzen. Projekte mit großen Nutzerzahlen und mehreren Applikationen benötigen indes längere Einführungszeiten, was sich zuletzt in der Umsatzentwicklung niedergeschlagen habe. Zum anderen leide das Geschäft an Windows 2000, weil viele Kunden für neue Projekte nicht mehr auf NT 4.0 zurückgreifen wollen, gleichzeitig aber die Bewertungsphase für Windows 2000 noch nicht abgeschlossen hätten.

Diese Einschätzung freilich gäbe Anlass zu Optimismus, weil nach Abschluss der Umstellungsphase Geschäfte mit großen Anwendern winken würden - und die Evaluierung von Windows 2000 wird irgendwann auch ein Ende finden. Dass Anleger diese Sicht nicht teilen wollen, begründet Warum mit einem Kommunikationsproblem. Citrix habe es nicht geschafft, die Lage überzeugend darzustellen.

Ausgeblendet bleiben dabei aber grundsätzliche Probleme in der Positionierung von Citrix. Nach der Lizenzierung der NT-Multiuser-Erweiterungen an Microsoft konzentrierte sich das Unternehmen auf Zusatzfunktionen für die nun ins System integrierten Terminaldienste. Dabei gerät es aber von zwei Seiten unter Druck:

Wie auch in anderen Bereichen weitet Microsoft den Funktionsumfang seiner Plattform beständig aus und bringt damit Anbieter von systemnaher Software in Bedrängnis. Gleichzeitig unterlaufen kleinere Anbieter durch inkrementelle Verbesserung der Terminaldienste den Ansatz von Citrix, eine komplette und einigermaßen kostspielige Thin-Client-Architektur auf das Basissystem zu satteln.

Die größere Bedrohung kommt jedoch von Microsoft. Windows 2000 könnte nämlich die Geschäfte von Citrix nicht nur vorübergehend schädigen, weil Anwender noch mit dessen Evaluierung beschäftigt sind, sondern wesentliche Zusatz-Features von "Metaframe" überhaupt in Frage stellen. So gehörte bisher zu den Verkaufsargumenten von Citrix, dass die hauseigene Software die Lastenverteilung zwischen Servern einer Farm bewerkstelligen könne und zudem die Verteilung von Anwendungen über eine Vielzahl von NT-Rechnern vereinfache. Der "Advanced Server" von Windows 2000 beherrscht nun selbst Network Load Balancing zwischen bis zu 32 Maschinen. Die Data Center Edition leistet zudem ein Vier-Knoten-Clustering, auf einem solchen Rechnerverbund werden Applikationen nur einmal eingerichtet.

Karl-Heinz Warum reklamiert zwar, dass die eigene Technik zur Lastenverteilung ausgefeilter sei als jene von Microsoft, in vielen Fällen werden sich Anwender aber mit den Basisfunktionen zufrieden geben. Im Übrigen bietet der Terminalhersteller mit "Thin Path" die Möglichkeit, derartige Features gezielt nachzurüsten. Insgesamt sieht der deutsche Citrix-Manager in Windows 2000 dennoch weniger eine Bedrohung als vielmehr eine Chance. Sein Argument: Da die Terminaldienste nun Bestandteil eines jeden Windows-2000-Servers sind und nicht mehr wie unter NT über ein separates Produkt erworben werden müssen, verbreitere sich der Markt für die Zusatzdienste von Citrix.

Auch heterogene Client-Umgebungen und die Beschränkungen des von Microsoft genutzten Remote Desktop Protocol (RDP) kamen in der Vergangenheit Citrix zugute. Microsoft beseitigte aber mittlerweile einige Defizite des RDP und erlaubt beispielsweise die Nutzung lokaler Drucker auch für Server-basierte Anwendungen. Bei heterogenen Clients verliert Citrix ebenfalls seine priviligierte Position. Microsoft verpflichtete sich zwar anlässlich des Lizenzvertrags, drei Jahre lang nur Client-Software für Windows anzubieten. Dafür kommen Frontends für RDP von Herstellern auf den Markt, die auch andere Zielsysteme bedienen. So läuft "Hoblink JWT" des Zirndorfer Anbieters HOB unter Java.

Als Reaktion auf diese zunehmende Verengung der Windows-Nische versucht Citrix schon länger, sich als Anbieter von Thin-Client-Lösungen schlechthin zu etablieren und das Image des Microsoft-Anhängsels loszuwerden. Einen wichtigen Schritt unternimmt der in Florida ansässige Hersteller durch die Unterstützung von Unix als Server-Plattform. Darin eifert Citrix Santa Cruz Operation (SCO) nach, das mit "Tarantella" einen solchen übergreifenden Ansatz verfolgt. Dieses Konkurrenzprodukt beruht zwar auf einer anderen Architektur, kann aber zusätzlich 3270- und 5250-Anwendungen zu beliebigen Clients bringen. "Metaframe for Unix" liegt aktuell in einer Ausführung für Solaris vor, solche für AIX und HP-UX sollen folgen. Unter Unix freilich kann Citrix nicht mehr die Pionierleistungen erbringen wie unter Windows: Diese Systeme sind von Haus aus Multiuser-fähig und X-Window-Anwendungen ohnehin darauf ausgelegt, dass die Logik und die Darstellung von Anwendungen auf getrennten Rechnern ablaufen. Einen Mehrwert kann Citrix in erster Linie über das ICA-Protokoll hinzufügen, das weniger Bandbreite beansprucht als X.11 und sich daher besser für Wählverbindungen im Internet eignet.

Die größte Herausforderung dürfte mittelfristig die Anwendungsarchitektur des Internet präsentieren. Das "Server-based Computing" à la Citrix beruht darauf, die Bildschirmausgabe von Desktop-Anwendungen auch an leistungsschwache Clients über schmalbandige Netze bringen zu können. Mehrstufige Web-Anwendungen separieren ohnehin die Anwendungs- von der Darstellungslogik und etablieren einen Thin Client. Interessanterweise sehen Citrix-Verantwortliche aber gerade im Internet Wachstumschancen für ihre Firma, da ASPs mit Hilfe ihrer Technologie Anwendungen für alle möglichen Clients bereitstellen könnten. Dafür mag aktuell Bedarf bestehen, weil ein großer Fundus von Windows-Anwendungen auf diesem Weg zugänglich gemacht werden soll.

Hoffnungen ruhen auf VertigoAllerdings erhebt sich die Frage, ob Anwendungen für dieses Nutzungsmodell zukünftig für den Windows-Desktop geschrieben werden, um sie dann auf Terminal-Servern ablaufen zu lassen, wo ihre Bildschirmausgabe abgetrennt und an die Frontends verschickt wird. Hinzu kommt, dass Citrix wie derzeit viele Softwarehäuser auf den bevorstehenden Boom von Kleingeräten hofft. Es darf aber schon aufgrund ihrer Benutzerführung bezweifelt werden, ob sich herkömmliche Desktop-Anwendungen für solche Plattformen eignen.

Der Verengung ihres Geschäftsfeldes versuchen die Firmenverantwortlichen zu begegnen, indem sie ihr Produktportfolio ausweiten. Diese Bemühungen schlagen sich in den Ausgaben für Forschung und Entwicklung nieder, die laut Warum in diesem Jahr auf 24 Millionen Dollar gestiegen seien und deshalb zum Gewinnrückgang beigetragen hätten. Große Hoffnungen ruhen dabei auf dem Projekt "Vertigo" (http://press.citrix.com/news/releases/20000711_vertigo.htm), über das der Hersteller keine Einzelheiten verlauten lässt. Klaus Scheibe, Director Marketing Central Europe, beruft sich dabei auf die Schweigepflicht, die dem Unternehmen in den USA aus börsenrechtlichen Gründen für drei Monate auferlegt worden ist. Bis dahin setzt das Management auf das gut ausgebaute Vertriebs- und Partnernetz. Anstatt preiswertere Optionen und technische Alternativen zu erwägen, werden Anwender auf Komplettlösungen aus dem Hause Citrix bauen - so zumindest die Hoffnung.

Citrix-Zahlen zweites QuartalDer Umsatz stieg, gemessen am Vergleichszeitraum des Vorjahres, um zwölf Prozent von 94,4 auf 106,1 Millionen Dollar. Der Nettoerlös belief sich auf 20,8 Millionen Dollar (zehn Cent pro Aktie) und fiel damit um rund zehn Millionen niedriger aus als im Vorjahr (30,2 Millionen bei 16 Cent pro Aktie). Der Reinerlös sank von 27,8 (15 Cent pro Aktie) auf 15 Millionen Dollar (sieben Cent pro Aktie). Der Umsatz im ersten Halbjahr 2000 beträgt 233,6 Millionen Dollar und stieg damit gegenüber dem Vorjahreswert von 179,5 um 30 Prozent.

Abb: Zu den Add-on-Diensten für den Terminal-Server zählt auch eine bessere Web-Integration von Windows-Programmen. Quelle: Citrix