Der Einäugige unter den Blinden

Ciscos Stärke ist die Schwäche der Konkurrenz

16.11.2001
MÜNCHEN (CW) - Der Netzausrüster Cisco hat sich nach dem Abschwung im vergangenen Quartal wieder stabilisiert. Das Ergebnis sieht jedoch nur deswegen so gut aus, weil es der Konkurrenz noch viel schlechter geht.

Die Erwartungen der Analysten übertroffen, den Umsatz gegenüber dem Vorquartal ausgebaut, Marktanteile gesteigert: Ciscos Kennzahlen des letzten Berichtszeitraums haben wieder einmal für eine positive Grundstimmung gesorgt. Sofort schraubte die Wallstreet ihre Prognosen und Kaufempfehlungen für den Konzern hoch, Cisco gilt wieder als verlässlicher Kandidat für eine sichere Investition. Dies liegt jedoch weniger an der vermeintlichen Stärke des Konzerns als vielmehr an den schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Einerseits hatten die Konkurrenten der Netzwerker dem Abschwung nur wenig entgegenzusetzen und stecken in gravierenden Schwierigkeiten. Zum anderen konnte Cisco im vergangenen Quartal indirekt von den Auswirkungen der Terroranschläge in den USA profitieren: Die Bundesbehörden verlängerten ihr Budgetjahr um zwei Wochen bis zum 15. Oktober und deckten sich noch einmal kräftig ein. Da Cisco im Gegensatz zu vielen anderen IT-Anbietern erst Ende Oktober und nicht schon im September sein Geschäftsquartal abschloss, flossen die öffentlichen Aufträge in dessen Bilanz noch ein. So konnten die Erwartungen der Analysten übertroffen werden, was für die gute Stimmung sorgte.

Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die Spendierlaune der US-Regierung in den nächsten Monaten anhält. Das Ergebnis von Cisco steht und fällt mit der Investitionsbereitschaft der TK-Carrier und Service-Provider, aber vor allem auch der Anwenderunternehmen. Daher warnte Firmenchef John Chambers davor, Prognosen abzugeben, die über den kommenden Winter hinausreichen. Die wirtschaftliche Situation erlaube dies nicht, argumentierte er. Selbst im laufenden Berichtszeitraum, der im Januar endet, sei man nicht vor Überraschungen gefeit. Chambers rechnet offiziell mit einer Stagnation oder einem niedrigen Umsatzanstieg im aktuellen Fiskalquartal.

Zudem ist fraglich, ob die Rechnung des Konzernchefs mit den gestiegenen Marktanteilen aufgeht. Bei der Verkündung des Ergebnisses berief sich Chambers lediglich auf interne Zahlen, unabhängige Untersuchungen von Marktforschungsfirmen wurden nicht vorgelegt. Die Kalkulation des CEO: Alle wichtigen Konkurrenten haben gegenüber dem Vorquartal an Einnahmen eingebüßt, Cisco konnte hingegen um drei Prozent auf 4,4 Milliarden Dollar zulegen. Verglichen mit dem ersten Fiskalquartal des Geschäftsjahres 2000 stürzte der Umsatz mit Produkten jedoch von 5,9 Milliarden um 38 Prozent auf 3,65 Milliarden Dollar ab.

Ungeachtet aller Spekulationen ist klar, dass sich Cisco wegen seiner finanziellen Reserven nur bedingt als Gradmesser für die gesamte Netzbranche eignet. Ende des vergangenen Quartals hatte der Konzern eigenen Angaben zufolge rund 19 Milliarden Dollar in schnell verfügbaren Mitteln auf der hohen Kante. Zudem greifen die Sparmaßnahmen des Unternehmens, das in diesem Jahr etwa 8500 Mitarbeiter entlassen hat.

Die Rezession nutzenSelbst wenn der ökonomische Abschwung noch einige Quartale anhält, dürfte dies Cisco eher nutzen als schaden. Kurzfristige Erwartungen der Investoren werden vielleicht enttäuscht, langfristig kann Cisco jedoch kaum etwas Besseres widerfahren als eine überschaubare Rezession. "Die Starken werden stärker", wiederholt Chambers gebetsmühlenartig. Bislang hat noch kein Konkurrent bewiesen, dass auch die Schwachen während eines Abschwungs zulegen können. (ajf)