Cisco: Zum Wachstum verdammt

31.01.2006
Seit John Chambers 1995 bei den Netzspezialisten das Ruder übernahm, ist der Anbieter eines der erfolgreichsten IT-Unternehmen der Geschichte.

Das Geschäftsjahr 2005 hat Cisco, das im Jahr 2000 das Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung war und damit IT-Größen wie IBM oder Microsoft überrundete, mit einem Umsatz von rund 25 Milliarden Dollar abgeschlossen. Doch das ist Chambers nicht genug. Er gab die Losung aus, dass die Company, die einst in einem Wohnzimmer gegründet wurde (siehe Kasten "Vom Wohnzimmer zum Weltkonzern"), jährlich um zehn bis 15 Prozent wachsen müsse.

Hier lesen Sie …

• wie Cisco zum globalen Player aufstieg;

• wo die Company Wachstumsmärkte der Zukunft sieht;

• wie das Unternehmen neue Märkte erschließt;

• welche Rolle die Unterhaltungselektronik für die Cisco von morgen spielt.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/go/

570930: Cisco plant fetten Storage-Switch;

570518: Grünes Licht für Cisco-Kauf von Scientific Atlanta;

570032: Linksys bietet Aufstiegsmöglichkeit zu Cisco;

569728: Cisco bringt Application-Management-Suite;

569000: Cisco kauft VoIP-Management-Hersteller.

Ciscos Visionen der Netzwelt von morgen

Um Ciscos Unternehmenspolitik und Akquisitionsstrategie besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Vision der Company. Hierbei unterscheidet das Unternehmen den Heim- und den Corporate-Markt. Im Heimbereich, so ist man bei Cisco überzeugt, geht der Trend zum IP-basierenden Home-Entertainment. Dabei dienen IP-Netze, egal ob drahtlos oder kabelgebunden, als Transportmedium für Video, Voice und Audio. In fünf Jahren soll dann bereits IP-basierendes Video wie selbstverständlich zu unserem persönlichen Kommunikationsverhalten gehören. Erste Eindrücke, wohin die Reise gehen könnte, vermitteln Produkte wie Skype Video oder ein DVD-Player der Cisco-Tochter Kiss, der nicht nur Web-Radio empfängt, sondern auch die Wettervorschau oder Aktienkurse aus dem Internet zieht. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, das Thema Home-Networking auf Entertainment zu reduzieren. Mit dem Einzug der IP-Netze erlebt das "intelligente Haus", oder wie die Amerikaner formulieren, die "Home Automatisation", ihr Comeback. Hier investierte Cisco erst im Dezember in die Firma Zensys, die Zwave, einen mit Zigbee konkurrierenden Funkstandard, entwickelt hat.

Im Enterprise-Umfeld erwartet Cisco eine grundlegende Veränderung der Business-Prozesse. Anstelle der heute üblichen transaktionsorientierten Geschäftsabläufe - etwa bei der Kreditkarte - prägen Interaktionen die Business-Welt von morgen. Ein Paradigmenwechsel, der dazu führen wird, dass Unternehmen wesentlich schneller agieren müssen. Für die IT hätte dies zur Konsequenz, dass immer mehr Intelligenz ins Netz wandert, damit der Anwender sofort mit einer Applikation "sprechen" kann. So ist für Cisco vorstellbar, dass SAP-Dienste künftig direkt auf einem Router laufen und über die erforderlichen Schnittstellen verfügen, um Informationen aus einer Datenbank zu holen, ohne sich - übertrieben formuliert - vorher bei 20 Servern zu authentifizieren.

Alles begann im Wohnzimmer

Die Geschichte von Cisco Systems begann 1984 im Wohnzimmer von Leonard Bosack und Sandy Lerner. Das Wissenschaftler-Ehepaar suchte eine Möglichkeit, die Computernetze seiner Institute auf dem Campus der Stanford University in Kalifornien zu verbinden. Hierzu entwickelten die beiden den ersten Router der Welt. Das Bahnbrechende ihrer Idee: Daten konnten sich ihren Weg durch ein Netzwerk selbst suchen. Für das Internet, das damals noch in den Kinderschuhen steckte, war dieses Funktionsprinzip ein entscheidender Meilenstein. Denn auch ohne direkte Leitungsverbindung konnten sich von nun an lokale Computernetze zu Netzwerken höherer Ordnung zusammenschließen.

Vom Potenzial der Router-Technologie überzeugt, gründet das Ehepaar noch im selben Jahr Cisco Systems. Der Name bezieht sich auf die letzten beiden Silben von San Francisco, wo das Unternehmen angemeldet wurde. Passend dazu zeigt das Firmenlogo ein stilisiertes Bild der Golden Gate Bridge.

Die frühen Jahre von Cisco waren von Heimarbeit geprägt. Bis 1986 blieb das Wohnhaus in Atherton das Firmendomizil, dann bezog das Unternehmen die ersten eigenen Büros in Menlo Park, Kalifornien.

Bis in die 90er Jahre hinein erarbeitete sich die Company einen Ruf als Hersteller von Routern und Hochgeschwindigkeitskomponenten für Netze. Mit John Chambers, der 1991 zu Cisco kam und seit 1995 als CEO und President die Geschicke des Unternehmens lenkt, begann die strategische Neuorientierung der Company. Statt auf Produkte zielte die Strategie des Unternehmens fortan verstärkt auf in sich abgestimmte Netzwerklösungen. Unter Chambers’ Ägide stieg das Unternehmen zum milliardenschweren Global Player auf. In Deutschland ist die Firma, die 2005 einen Konzernumsatz von 24,8 Milliarden Dollar erzielte, seit 1993 aktiv.

Ein Ziel, das viele US-amerikanische Analysten und Journalisten für erreichbar halten, denn sie glauben, dass Cisco nie besser aufgestellt war als heute. Auf der anderen Seite gibt es die Zweifler, die sich fragen, wann das wirtschaftliche Theorem des "Law of big numbers" bei Cisco zuschlägt. Oder sollte der Company etwas gelingen, was vor ihr keine andere IT-Firma geschafft hat: immerwährendes Wachstum?

Michael Ganser, Vice President und Deutschland-Geschäftsführer von Cisco Systems, ist davon überzeugt, dass dies dem Unternehmen möglich sein wird. Mit einem zielgerichteten Vorgehen positioniere sich die Networking-Company etwa in neuen geografischen Märkten. Der Fokus der Expansion liegt dabei auf den "Emerging Countries" wie Südamerika, dem Nahen Osten, Afrika, Osteuropa und Russland. Hier sieht Cisco große Wachstumschancen, da die Breitbandpenetration in diesen Ländern häufig nur bei einem bis fünf Prozent liegt. In diesen Regionen wächst das Unternehmen pro Jahr mit 30 Prozent und mehr, so dass die Emerging Countries heute zehn Prozent des Konzernumsatzes einbringen. "Wenn wir das auf zwei bis drei Jahre hochrechnen, können sich hier interessante Wachstumszahlen ergeben", blickt Ganser in die Zukunft.

Erschließung neuer Märkte

Doch auch in den angestammten Märkten, sowohl in geografischer als auch technischer Hinsicht, stehen die Zeichen für Cisco vorerst auf Wachstum. So zieht etwa das Thema Voice over IP (VoIP) - hier erkämpfte sich Cisco binnen fünf Jahren die Marktführerschaft - Folgeinvestitionen wie Multimedia-ready LANs nach sich. Und selbst mit der klassischen Netztechnik dürften demnächst wieder gute Geschäfte zu machen sein. Nachdem die Unternehmen ihre Netze angesichts der Jahr-2000-Problematik auf Vordermann gebracht hatten und dann erst einmal nicht mehr investierten, steht jetzt wohl ein Upgrade-Zyklus bevor. Glaubt man Gartner, so werden rund 60 Prozent aller Großkunden im Jahr 2006 oder 2007 ihre Netze erneuern und damit bei Cisco die Kassen klingeln lassen. Andere Erfolgsbausteine sind für das Unternehmen, das heute noch zwei Drittel seines Umsatzes mit Routern und Switches erzielt, etwa der millionenschwere Metro-Ethernet-Ausbau in Polen oder das Thema Mobilkommunikation, beispielsweise in Form von Funklösungen für Afrika.

Doch die Erschließung neuer geografischer Märkte ist nur ein Erfolgsbaustein. Schon früh erhob Chambers Investitionen in neue Technologien zum strategischen Prinzip. Bei den zahlreichen Übernahmen der Vergangenheit stand stets das Bestreben im Vordergrund, Produkte mit großem Potenzial auf Zukunftsmärkten zu erwerben. Cisco kaufte fast ausschließlich Technologieschmieden.

Den Vorwurf, dass Cisco Innovationen nur durch Zukäufe anbieten könne, mag Ganser nicht auf sich sitzen lassen: "Als der Markt vor fünf Jahren in den Downturn kam und nahezu alle großen Firmen ihre Entwicklungs- und Engineering-Kapazitäten reduzierten, haben wir weiter investiert." Gleichzeitig beschloss das Unternehmen, sich von einer produktgetriebenen Company, die Router und Switches baut, hin zu einem Lösungs- und Architekturanbieter zu entwickeln. Ferner fiel die Entscheidung, sich als Global Player zu positionieren. Die Ernte, so Ganser, könne die Company jetzt einfahren, indem sie in der Lage sei, neue Themen schneller zu besetzen als andere.

Das Tempo, das Chambers dabei vorgibt, ist gewaltig. Alle drei Monate hat das Unternehmen, so die Vorgabe des Chefs, eine neue Advanced Technology zu erschließen. Im Selbstverständnis des Unternehmens sind das neue Technologien, mit denen gleichzeitig neue Märkte erschlossen werden. Chambers’ Erwartungen sind hoch gesteckt. "Eine Advanced Technology soll binnen fünf Jahren ein Umsatzziel von einer Milliarde Dollar erreichen und einen Marktanteil von 40 Prozent erobern", konkretisiert Ganser.

Zu den Advanced Technologies zählen bei Cisco beispielsweise IP-Telefonie, Security, Storage, Optical Networking, Hosted-Lösungen mit Linksys One oder Home Networking und Video. Gerade Letzteres ist ein Paradebeispiel dafür, wie Cisco mit Vehemenz versucht, neue Märkte zu besetzen. Was einst mit der Übernahme von Linksys, einem Hersteller von Networking-Equipment für den Heimbereich begann, könnte bald zum zweiten Standbein des Unternehmens werden.

Fit für das IP-TV-Zeitalter

So kaufte man mit Kiss Technology eine dänische DVD-Player-Schmiede. Für 6,9 Milliarden Dollar übernahm Cisco Scientific Atlanta, einen Settop-Boxen-Hersteller für das Kabelfernsehen. Damit, sowie mit der Akquisition der kanadischen Digital Fairway, einem Spezialisten für IP-Provisioning, mausert sich das Unternehmen zu einem ernst zu nehmenden Akteur der Unterhaltungselektronik.

Zwar trifft Cisco hier auf etablierte Konkurrenten wie etwa Sony. Doch gegenüber diesen hat der US-Anbieter den Vorteil, im nahenden Zeitalter des IP-Fernsehens alles aus einer Hand anbieten zu können: etwa in den Fernsehstudios die Netzinfrastruktur sowie die erforderlichen Storage-Lösungen für Video on Demand. Die entsprechenden Verteilnetze, also das Internet, sind seit langem sowieso schon mit Cisco-Equipment aufgebaut. Und den Heimbereich erschließt das Unternehmen durch seine jüngsten Zukäufe und Beteiligungen. In den USA ist dies bereits ein lukrativer Markt.

Mit Scientific Atlanta ist Cisco etwa in der Lage, das Frontend für IP-TV zu liefern, während die dänische Tochter Kiss mit ihren DVD-Playern die Entertainment-Steuerzentrale bereitstellt. Deren Geräte entwickeln sich bereits weg von reinen Abspielgeräten hin zu Multimedia-Plattformen, die Web-Radio empfan- gen, Börsenkurse oder das Wetter aus dem Internet anzeigen und nebenbei noch als digitale Videorecorder dienen. Verbunden sind die einzelnen Geräte durch Linksys-Komponenten, die gleichzeitig das Gateway zum Internet bilden. Noch ist dieses Szenario auf den Entertainment-Bereich beschränkt, doch bereits in naher Zukunft dürfte hier das Thema Home Control hinzukommen. Erst kürzlich tätigte Cisco ein strategisches Investment in die Firma Zensys. Diese baut Funkchips nach der Zwave-Norm. Insidern zufolge arbeitet Linksys bereits daran, in seine Router ein Zwave-Web-Frontend zu integrieren, so dass der Benutzer beispielsweise von unterwegs aus via Internet seine Heizung ein- und ausschalten kann.

Diversifizierung

Und damit diese vernetzte Heimwelt auch für die Content-Anbieter und Netzbetreiber wirtschaftlich interessant ist, adressiert Cisco das Thema IP-Billing und -Provisioning mit Digital Fairway. Die Software des Unternehmens soll nicht nur das Management der IP-Multimedia-Netze vereinfachen, sondern auch eine Tarifierung von IP-Diensten ermöglichen.

Noch ist allerdings für Außenstehende wenig vom Unterhaltungselektronik-Konzern Cisco zu sehen, da die Endkunden nur die einzelnen Marken wahrnehmen. Unternehmensnahe Kreise schließen deshalb nicht aus, dass Marken wie Kiss oder Scientific Atlanta bald verschwinden und die Produkte unter dem Dach von Linksys als der Consumer-Marke von Cisco zusammengeführt werden. Gleichzeitig würde dieser Schritt die Diversifizierung des Unternehmens in einen Unternehmenskunden- und einen Konsumentenbereich untermauern.

Bei allem Bemühen, in dem milliardenschweren Privatkundensegment Fuß zu fassen, setzt Cisco nach wie vor auch auf die professionelle Klientel. So adressiert beispielsweise die jüngste Advanced Technology "Application Networking Services" (ANS) laut Cisco den User-Wunsch nach einer besseren Interaktion von Anwendungen mit dem Unternehmensnetz. Die ANS positioniert Cisco als Teil seiner Service-oriented Network Architecture (SONA). Damit sollen die Kommunikation der Anwendungen untereinander verbessert und Infrastrukturfunktionen wie Logging, Security oder Messaging in das Netzwerk verlagert werden.

Neue Herausforderer

Ciscos starke Betonung des Servicegeschäfts kommt nicht von ungefähr. Sie ist die Antwort auf die Herausforderer wie Huawei, die mit bis zu 30 Prozent günstigeren Switches und Routern in Ciscos angestammten Märkten wildern wollen. Um sich auf diesen Preiskampf nicht einlassen zu müssen, baut das Unternehmen auf die Architekturidee, die nicht nur die Anwendungsintegration vereinfachen, sondern gleichzeitig die Betriebskosten der Netze senken soll. "Die Innovation hin zu Service-orientierten Architekturen ist für uns ein Baustein, der im künftigen Wettbewerb absolut relevant ist", unterstreicht Cisco-Geschäftsführer Ganser.