Kolumne

"Cisco jagt die Telco-Zulieferer"

29.05.1998

Als Cisco-Chef John Chambers auf der CeBIT 1998 in einem CW-Interview nach der Konkurrenz gefragt wurde, nannte er drei Namen: Lucent, Northern Telecom und Siemens. Erst unter ferner liefen folgten die klassischen Kontrahenten 3Com, Cabletron und Bay Networks. Chambers wußte, wovon er sprach, und seine Geringschätzung spielte keineswegs auf die derzeitige wirtschaftliche Schwäche der drei Letztgenannten an.

Im weltweiten Konzert des Kommunikationsmarktes pfeifen künftig alle dieselbe Melodie: das Lied von der Daten- und Sprachintegration. Die Verschmelzung der beiden Kommunikationsformen, in vielen Unternehmensnetzen schon gang und gäbe, schlägt auf den Anbietermarkt durch - und dort ist Cisco die Schlüsselfigur. Chambers, mit prallgefülltem Geldbeutel stets auf Einkaufstour, bläst nach der weitgehenden Okkupation des Geschäfts mit der Datenkommunikation nun zum Halali auf den Sprachmarkt. Anbieter aus diesem Segment, die lange Jahre verschont von dem Ehrgeiz der US-Netz- werker gute Geschäfte mit den Carriern dieser Welt machten, kann jedoch selbst Cisco nicht kaufen. Doch der umtriebige CEO wird Konzerne wie Siemens, Alcatel, Nortel und Lucent vor sich hertreiben.

Erste Indizien sind schon heute zu erkennen. Northern Telecom, so war vor zwei Wochen zu lesen, ist an der Übernahme von Bay Networks interessiert. Das Akquisitionsangebot lehnte Bay lediglich mit dem Hinweis ab, der Kaufpreis von knapp acht Milliarden Dollar sei zu niedrig. Prinzipiell sind die Verantwortlichen aus der Chefetage der Netzwerker demnach einer Übernahme oder Fusion keineswegs abgeneigt.

Die Nortel-Attacke auf Bay wird nicht der letzte Angriff eines mächtigen Telco-Zulieferers auf die Datennetzwerker bleiben. Beide Parteien müssen handeln, weil Cisco sie herausfordert und weil der Anwenderwunsch nach Zusammenführung der Kommunikationsformen nicht länger ignoriert werden kann. Im Zugzwang sind jeweils die Großen der Branche, die den Anspruch haben, durchgängige Lösungen aus einer Hand anzubieten. Im Zeitalter der Sprach-Daten-Integration können sie diesem Ziel nur gerecht werden, indem sie investieren, kooperieren, fusionieren oder akquirieren.