CIOs bangen um ihre Existenz

15.11.2005
Um ihre Position langfristig zu sichern, müssen die leitenden IT-Experten die Rolle ihrer Technik neu definieren und schneller Ergebnisse liefern, fordert das Marktforschungs- und Beratungshaus Gartner.

Rapid Results - faster ROI". Unter dieses Motto stellte Gartner sein jährliches Symposium ITxpo in Cannes. Damit trage man den gewandelten Anforderungen der IT-Verantwortlichen Rechnung, erklärte CEO Gene Hall: "Die meisten CIOs fordern für IT-Projekte eine Amortisation in weniger als 18 Monaten." Das habe eine aktuelle Umfrage ergeben. Der rasante technische Wandel zwinge IT-Manager, ihre Vorhaben schneller durchzusetzen. Hinter der Zielvorgabe steckten aber auch Existenzängste: 67 Prozent der Befragten sahen ihren Job als gefährdet an.

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• warum viele IT-Organisationen nicht effizient genug arbeiten;

• welche strategischen Fragen CIOs heute beantworten müssen;

• mit welchen Schlüsseltechniken sich die Probleme bewältigen lassen.

Legacy-Software bremst IT

Eines der größten Hindernisse liege in den noch immer weit verbreiteten Legacy-Anwendungen, so Hall. Die zum Teil mehr als 20 Jahre alten Systeme komplett auszutauschen gilt als teuer und zeitaufwändig. Die meisten Organisationen schreckten vor dieser Aufgabe zurück. Gartner-Analyst Tom Bittman nannte weitere Hürden: "Viele Unternehmen haben eine IT-Bürokratie aufgebaut, die alles andere als effizient ist." Innerhalb großer IT-Abteilungen seien Mauern entstanden, die eine Zusammenarbeit behinderten. Gleiches gelte für das Verhältnis von Fachabteilungen zur IT-Organisation.

Defizite der Hersteller

Mehr Agilität und Flexibilität forderte sein Kollege Brian Gammage auch von den Herstellern. Die starren Softwarelizenzmodelle zeigten, dass sich die Industrie noch nicht ausreichend auf neue Techniken wie Multicore-CPUs oder Virtualisierung eingestellt habe.

Die ökonomischen Rahmenbedingungen für IT-Investitionen stimmen, führte Gartners Forschungschef Peter Sondergaard aus. Mit dem wachsenden Bruttosozialprodukt stiegen auch die Ausgaben für Informationstechnik. Für das laufende Jahr sei weltweit mit einem 2,5-prozentigen Wachstum der IT-Budgets zu rechnen, 2006 mit einem Plus von drei Prozent (siehe Interview Seite 13). Ähnlich hoch lägen die Zahlen für Europa. Unternehmen in Deutschland, Spanien und Portugal wollen ihre Ausgaben laut Gartner-Erhebungen im nächsten Jahr um bis zu sechs Prozent erhöhen.

Die neue Rolle der IT

Um sich für die Zukunft zu rüsten, müssen CIOs eine Reihe strategischer Fragen beantworten, erläuterte Gartner-Analyst Andy Kyte. Zuvörderst gelte es, die Rolle der IT-Organisation klar zu definieren. Soll sie lediglich als "Enabler" dienen oder direkt zum Unternehmenserfolg beitragen? Ersteres entspräche der traditionellen Auffassung, wonach die IT benötigte Systeme zu möglichst niedrigen Kosten zur Verfügung stellt. "Neun von zehn IT-Organisationen spielen heute eine Enabling-Rolle", so Kyte. Die bessere Alternative ist aus seiner Sicht eine Organisation, die Innovationen vorantreibt und so den Geschäftserfolg steigert. Sie setze sich zusätzliche Ziele wie zufriedenere Kunden oder die Reduzierung des Lagerbestands.

Damit verbunden sind laut Gartner auch veränderte Anforderungen an IT-Verantwortliche. Technisches Fachwissen reiche künftig nicht mehr aus. Angesichts der verbreiteten Skepsis gegenüber der Effektivität der IT, zunehmender Automatisierung und der diversen Outsourcing-Möglichkeiten werde ein vielseitigerer Typ des IT-Profis entstehen: Er verbinde technisches Know-how mit betriebswirtschaftlichem Wissen (siehe Seite 50: "Im Fokus..."). Die Marktforscher erwarten zudem, dass in den nächsten zehn Jahren immer mehr Techniken zuerst im Endverbrauchermarkt eingeführt werden. CIOs müssten sich auf eine "Consumerization" der IT einstellen.

Als strategisch stufen die Berater auch die Frage ein, wann unternehmensfremde Client-Systeme auf das eigene Netz zugreifen dürfen. Eine strikte Blockadepolitik, wie sie das Management in den vergangenen Jahren verfolgte, ist heute nicht mehr sinnvoll, argumentierte Kyte. Effizienz und Motivation der Nutzer könnten darunter leiden. Die mit einer Öffnung einhergehenden Sicherheitsrisiken sollten Unternehmen in Kauf nehmen und entsprechende Schutzmaßnahmen entwickeln. Neue Möglichkeiten der Virtualisierung erleichterten die Einbindung externer Rechner. So ließen sich beispielsweise private und geschäftliche Partitionen auf einem Mitarbeiter-PC einrichten und sicher voneinander abschotten.

Eine effizientere IT setzt flexiblere Enterprise-Anwendungen voraus. Einmal mehr propagierten die Gartner-Experten in diesem Kontext eine komponenten-basierende Business Process Platform. Langfristig soll sie existierende ERP- und sonstige Anwendungspakete ersetzen.

Hoffen auf SOA

Unternehmen würden damit in die Lage versetzt, rascher auf veränderte Geschäftsanforderungen zu reagieren. Service-orientierte Architekturen (SOA) und Web-Services bilden die technische Basis für diesen Ansatz. CIOs müssten sich entscheiden, ob sie diesen Weg aggressiv, selektiv oder konservativ beschreiten wollen, empfahl Kyte. Die Unterstützung von SOA hat sich zu der am meisten nachgefragten Anforderung an Softwareplattformen entwickelt, ergänzte Gartner-Analyst Massimo Pezzini. Bis zum Jahr 2008 würden Plattformanbieter 60 Prozent ihrer Forschungs- und Entwicklungsetats darauf verwenden.

Immer mehr Geschäftsprozessdefinitionen und -regeln finden sich künftig nicht im eigentlichen Programmcode, sondern in Metadaten, prognostizierte Kyte. Letztere ließen sich außerhalb der klassischen Programmierumgebungen verwalten und anpassen. Was an hartem Code übrig bleibe, bezögen Unternehmen zunehmend als Service oder in Form von fertigen Softwarepaketen. Diese Faktoren führten dazu, dass die Zahl der beschäftigten Anwendungsentwickler in Unternehmen außerhalb der Softwareindustrie bis zum Jahr 2009 um 30 Prozent abnehmen werde.

Kommunikation via IP

In puncto Infrastruktur sollten IT-Verantwortliche prüfen, wie Mitarbeiter künftig miteinander kommunizieren, lautet eine weitere Empfehlung. Gartner rät dazu, Sprach-, Messaging- und andere Kommunikationsdienste in einer gemeinsamen Architektur zusammenzuführen. Die Möglichkeiten der IP-Telefonie böten einen guten Einstiegspunkt.

Erfolgsentscheidend werde schließlich auch sein, inwieweit CIOs IT als einen Mix aus Services begreifen, die auch extern bezogen werden könnten. Dabei gelte es insbesondere, das IT-Personal in Sachen Sourcing-Management zu qualifizieren. Kyte: "Diese Fähigkeiten gehören zum Herzstück jeder IT-Organisation." Mit einer plakativen Aussage dämpfte Linda Cohen, Sourcing-Expertin bei Gartner, die Euphorie der vergangenen Jahre: "Stop Outsourcing now!", lautete ihr Credo. In den vergangenen Jahren habe es eine "Überdosis an Outsourcing" gegeben, die heute zu Problemen führe. Allzu oft hätten Unternehmen ohne hinreichende Vorbereitung ausgelagert, nicht selten nur deshalb, weil Konkurrenten es auch taten. Statt strategisch zu planen, sei es zu Ad-hoc-Entscheidungen gekommen.

Sourcing-Kenntnisse gefragt

Die vielfältigen Zuliefererbeziehungen ließen sich kaum noch beherrschen (siehe dazu auch Seite 41). Kaum überraschend empfahl die Analystin denn auch eine Gartner-eigene Methode, um die Probleme wieder in den Griff zu bekommen. Sie trägt den Namen "Disciplined Multisourcing" und ist in einem Buch beschrieben, dass Cohen gemeinsam mit ihrer Kollegin Allie Young verfasst hat.