Der Vertrieb und das Marketing sollen ausgebaut werden

Cincom-Chef denkt laut über den Gang an die Börse nach

18.05.1990

MÜNCHEN (qua) - Eines der letzten großen Privatunternehmen in der Softwarebranche, die Cincom Systems Inc. aus Cincinnati/Kentucky, sieht sich nach fremdem Kapital um. In einem CW-Interview erklärte Firmengründer und Präsident Thomas Nies seine Bereitschaft, im kommenden Jahr an die Börse zu gehen.

Zwar brachte der Verkauf der Rechte an dem Netzwerk-Manangement-System "Netmaster" (siehe CW Nr. 16 vom 20. April 1990, Seite 6: "Cincoms Netmaster ist jetzt bei Systems Center aufgehängt) dem Softwarehaus unlängst erst runde 50 Millionen Dollar ein. Möglicherweise reicht diese Summe jedoch nicht aus, um den Kapitalbedarf des 1968 gegründeten Unternehmens langfristig zu decken. Jedenfalls ist der Gang an die Börse, laut Nies bereits vor Jahresfrist ein Diskussionsthema im Hause Cincom, keineswegs vom Tisch.

"Going public" wäre nach Ansicht des Firmenchefs jedoch die schlechtere von zwei Möglichkeiten. Eigenen Aussagen zufolge würde Nies lieber einem seiner Marketing-Partner aus dem Hardwarelager eine finanzielle Beteiligung einräumen. Dafür käme neben Digital Equipment, Hewlett-Packard und Unisys auch die IBM in Frage. -

Wie schon den Erlös aus dem Netmaster-Verkauf will Nies auch das eventuell benötigte Fremdkapital vor allem für den Ausbau des Vertriebsnetzes und der Marketing-Kapazität ausgeben. Cincom habe in den vergangenen zehn Jahren bereits 250 Millionen Mark in die Produktentwicklung gesteckt. Jetzt sei es an der Zeit, in Bereiche zu investieren, die eine unmittelbare Steigerung der Profitabilität ermöglichten.

Im vergangenen Jahr hatte Cincom Systems mit Einnahmen in Höhe von rund 268 Millionen Dollar den Vorjahresumsatz von etwa 268 Millionen Dollar nur geringfügig übertroffen - nachdem das Unternehmen sich selbst die Latte auf die 295-Millionen-Dollar-Marke gelegt hatte. Als Begründung für die unerwartet niedrigen Einnahmen führte Nies Umstrukturierungen innerhalb des Unternehmens an.

Unter anderem war die Belegschaft im vergangenen Jahr merklich reduziert worden. 150 der vormals 1675 Mitarbeiter fielen Sparmaßnahmen zum Opfer; 125 wechselten mit dem "Netmaster" zum neuen Eigner Systems Center.

Der Verlust des Netzwerk-Management-Systems, mit dem Cincom in Deutschland immerhin zwei Fünftel seiner Einnahmen erzielt hatte, fiel weltweit angeblich kaum ins Gewicht. Nies schrieb dem Produkt lediglich einen Umsatzanteil von 16 bis 17 Prozent zu.

Das am 30. September endende Geschäftsjahr hofft der Software-Unternehmer aus dem Mittelwesten mit einem Umsatz von mehr als 300 Millionen Dollar abschließen zu können. Künftig rechne er mit jährlichen Steigerungsraten von 25 bis 30 Prozent. Im Vergleich dazu soll der Zuwachs an Personal mit etwa 20 Prozent im Jahr deutlich geringer ausfallen.

Der Schwerpunkt des Produktangebots liegt noch im Bereich Datenbank-Management-Systeme (DBMS); derzeit verdient Cincom jeweils 40 von 100 Dollar in diesem Marktsegment. Für das laufenden Jahr hat Nies die Verfügbarkeit des bislang unter MVS, DOS-VSE und VMS lauffähigen DBMS-Produkts "Supra" unter Unix, MS-DOS und OS/2 angekündigt.

Als strategisches Ziel seines Unternehmens gibt Nies schließlich an, Supra auf möglichst vielen Hardwareplattformen anbieten zu können.

Damit verfolgt der Cincom-Chef eine ähnliche Strategie wie Oracle-Präsident Larry Ellison. Nach Ansicht von Marktbeobachtern könnte beiden Unternehmen die doppelte Konkurrenz durch die DBMS-Produkte der IBM und das Datenbank-Angebot des Softwaregiganten Computer Associates künftig schwer zu schaffen machen. (Den Wortlaut des Interviews mit Tom Nies veröffentlicht die COMPUTERWOCHE in der folgenden Ausgabe.)