Das Management muß noch die Learning-curve durchlaufen:

CIM: Mit-Verantwortlichkeit als Philosophie

14.03.1986

Mit Ulrich Briefs vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Düsseldorf sprach CW-Redakteur Wolf-Dietrich Lorenz

- Trotz aller Unsicherheiten, die noch mit dem Blick auf die Fabrik der Zukunft verbunden sind, ist der Weg zu ihr bereits vorgezeichnet. Um ein integriertes System aus Menschen, Betriebsmitteln, Informationen, Material und Energie zu erreichen, bietet vor allem die Informationstechnik Chancen. Ein Modell ist das derzeit diskutierte CIM. Verstärktes Umdenken der Mitarbeiter aller Hierarchiestufen in den Unternehmen ist dafür nötig, vor allem aber die Anpassung ihrer Qualifikationen. Bedingt CIM also neue Ausbildungsgänge?

Nicht neue, spezifische Ausbildungsgänge, sondern eher in den bestehenden Ausbildungsgängen zum Teil erhebliche Veränderungen und Zusatzqualifikationen. Denn dieses übergreifende, umfassende System CIM ist im Grunde die Fortsetzung einer uralten Geschichte.

Der integrative Grundzug der DV bestand von Anfang an, zumindest seit die Rechner der dritten Generation Mitte der sechziger Jahre aufkamen. Ende der sechziger Jahre gab es dann mit PICS - Production, Information and Control System - das erste größere und umfassende, modular aufgebaute System für die IBM-Rechner der /360-Serie: zur integrierten Planung der Fertigung und Kapazitätsauslastung, weiterhin von Material wie auch Terminen. CIM ist nun eine weitere Stufe in dieser Entwicklung.

Betrachtet man diesen Zusammenhang, läßt sich sagen, daß - beispielsweise im Bereich der DV-Entwickler - eine gewisse Spezialisierung hin auf Teile dieses Gesamt stems stattfinden wird.

Gegenüber früheren integrativ DV-Ansätzen besitzt CIM allerdings eine Besonderheit: Es setzt vorab daß auch realtechnische - also ni informationstechnische - Entwicklungen hinzukommen, wie Transporteinrichtungen und natürlich Werkstoffe, be- und verarbeiten Geräte, beispielsweise DNC-Maschinen.

- In diesen realtechnischen Felde wie auch in der Zulieferindustrie e stehen dann doch Arbeitsplätze?

Ich sage es nicht gern: Nein. Bisherige Erfahrungen zeigen zunächst daß der Einsatz dieser neuen Technik mehr Arbeitsplätze vernichte als schafft. Ein schlagendes Beispiel ist etwa der Robotersektor, auf der Untersuchungen ein Verhältnis vor eins zu fünf beobachten lassen. Dabei steckt diese Entwicklung erst den Anfängen. Das Management muß also zunächst seine Learning-curve noch durchlaufen. Und d heißt: Lehrgeld zahlen.

- Was könnte man also den Unternehmen raten?

Nicht die technischen Entwicklungen der anderen, besonders der großen Konzerne, durch Pilotprojekt auf eigene Kosten vorzufinanziere Weiterhin: Der Unternehmer sollt sich bereits frühzeitig über den a stehenden Veränderungsprozeß Ausschlüsse verschaffen. Dazu gehe etwa, mit dem Betriebsrat verstärk zu kommunizieren; vor allem ab bleiben Qualifizierungsmaßnahme der springende Punkt. Komplex technische Entwicklungen wie CT werden an die Mitarbeiter vor a über einen langen Zeitraum sel hohe Qualifikationsanforderunge stellen. Deshalb sollten sie an Gestaltungs- und Planungsprozessen mitarbeiten, etwa als Vertreter der Fachabteilungen in Projektgruppen. Allerdings: So notwendig Anwendungswissen ist - hinzu komme müssen Kenntnisse über die Veränderungsprozesse an den Arbeitsplätzen.

Hier ist aber derzeit ein falsche Verhalten der Unternehmen zu beobachten. Man spart nämlich an de falschen Stelle. Weiterbildung wir noch vielzu klein geschrieben und häufig nur als "Bonbon" verteilt.

Dem Unternehmer ist zu rate sich langfristig über notwendig Qualifizierungsmaßnahmen für seine Mitarbeiter klarzuwerden, ohne sich allzuviel von "außen", also va den DV-Herstellern und auch -Beratern, bevormunden zu lassen.

- Mit diesen Vorkehrungen lasse sich dann breitgestreute Arbeitsplatz verluste vermeiden. . .

Betrachtet man die geschaffene Arbeitsplätze etwa im Reparatur und Instandhaltungsbereich oder EDV-Sektor, stellen sie nur einen und verhältnismäßig kleinen Teil gegen über den vernichteten dar. Zweifellos gilt: Diese neue Technik gibt an einigen Punkten, etwa Maschinenbau, Auftrieb. Aber frappierend dabei ist: Diese weit vorangetriebenen Be- und Verarbeitungstechniken sind von ihrer Produktionsstruktur sowie den Bedingungen, die notwendig sind, um sie zu produzieren, tendenziell überdurchschnittlich kapitalintensiv. Bei den eingesetzten Präzisionsmaschinen müssen nämlich weit vorangetriebene Toleranzen eingehalten werden - und das ist eben nur mit numerisch gesteuerten Geräten, Werkzeugen und Bearbeitungszentren möglich.

- Also produzieren Maschinen künftig die Maschinen und nicht mehr die Menschen?

Wenn ich es hart formulieren soll: Spitzentechnologien machen tendenziell den Einsatz von anderen Spitzentechnologien notwendig. So entsteht ein sich wechselseitig produzierender Produktionskomplex. Deshalb ist es auch eine Illusion, große Beschäftigungseffekte auf den vorgelagerten Stufen zu erwarten. Bei den DV-Herstellern wie etwa Nixdorf, Siemens und IBM hat es ja mit 300 Prozent Produktionswachstum in den vergangenen zwölf Jahren geboomt. Dagegen stehen nur 70 Prozent mehr Arbeitsplätze, in Zahlen: 30 000 neue Stellen. Arbeitslose aber haben wir über zwei Millionen.

Auf der anderen Seite - den nachgelagerten Bereichen wie Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen - wird es zweifelsohne Zuwächse geben. Institute schätzen von einem Vierte] bis zu einem Drittel mehr an Arbeitsstellen. In Zahlen: Bei Werbung und Beratung plus 46 Prozent, Medien und Kunst plus 32 Punkte, Bildung und Wissenschaft plus 13 von Hundert. Allerdings: Bei dem Marktsegment Handel mit 1,6 Millionen Arbeitsplätzen, so wird geschätzt, fallen zehn Prozent, bei Energie und Bergbau zwölf Prozent an Arbeitsplätzen fort. Für die Industrie heißt es minus 16 Prozent, im Baugewerbe minus 24 Prozent. Diese Verlorenen Stellen werden Zuwächse in Werbung und Beratung längst nicht auffüllen können. Die EDV, die nur für einen Teil des Arbeitsplatzabbaus verantwortlich ist, ist eben eine universelle Technik zum Abbau gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit.

- Gilt dieser negative Beschäftigungseffekt für alle Marktbereiche beispielsweise auch das Büro?

Im Angestelltenbereich bedeutet Computereinsatz in der Konsequenz vor allem eine Veränderung der Kostenstruktur. Gab es bisher minimale Fixkosten, erhöhen sich diese Anteile nun durch Hard- und Software sowie Folgeaufwendungen. Bei stagnierender Gesamtentwicklung und scharfen Rationalisierungsbemühungen kann diese Last nur auf die Personalkosten drücken.

- So wirkt sich CIM hauptsächlich auf untere Beschäftigungsebenen aus?

CIM in Reinkultur bedeutet einen Umbruch nicht nur für Produktionsarbeiter, auch der sogenannte "Overhead", und hier gerade die Leitungsfunktion, ist betroffen. Je stärker der Datenfluß in der vollautomatischen Fabrik geschlossen sein wird, um so mehr werden Teil-Systeme, wie das PPS etwa, wichtige Mitarbeiter mit dispositiven und analytischen Funktionen ersetzen.

- Wir müssen aber in der internationalen technischen Entwicklung mithalten, so zumindest der allgemeine Tenor, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Oder?

Das ist richtig und falsch zugleich. Die Wahrheit ist viel schwieriger. Auf einen Nenner gebracht ließe sich sagen: Forcieren wir diese neuen Technologien, schaffen wir dadurch zusätzliche ökonomische Strukturprobleme, weil Arbeitsplätze abgebaut werden und die Nachfrage ausfällt. Forcieren wir sie nicht, heißt das möglicherweise: auf mittlere Sicht ein Viertel bis ein Drittel jener Arbeitsplätze zu verlieren, die für den Export produzieren. Nur muß man eben klar sagen: Auf beiden Wegen verlieren wir Arbeitsplätze .

- Wie würden Sie denn mögliche Konsequenzen daraus beschreiben?

Beim derzeitigen Stand der Diskussion kann man das eigentlich nur sehr verhalten aussprechen: Wir müßten eine ganz andere Art, mit Technik umzugehen, praktizieren. Ein Weg dazu etwa wäre, technische Entwicklungsprozesse mitbestimmungspflichtig zu machen. Ein weiterer Weg ist der, sich bedarfsorientiert zu verhalten und sich nicht von dem Glamour der DV-Entwicklungen wegtreiben zu lassen. Noch ist der Zug ja nicht abgefahren. Aber es wird unerläßlich, Vorstellungen zu entwickeln vom "Abkoppeln", vom "Ausstieg" aus dem Produzieren - durchaus mit "sozial beherrschten" modernen Produktionsmitteln - für einen vernünftigen Bedarf.

Dr. Ulrich Briefs, Lehrbeauftragter im Fachbereich Informatik an der Universität Bremen, arbeitet als Referent am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) Deutschen Gewerkschaftsbundes in Düsseldorf.