IG Metall: Technologiekritik steht auf tönernen Füßen, denn

CIM kann Militarbeitern Perestroika bringen

20.05.1988

FRANKFURT (ih) - "Nicht jede technische Entwicklung bedeutet Fortschritt", mahnte IG-Metall-Vorsitzender Franz Steinkühler auf dem vierten Zukunftsforum der Arbeitnehmervereinigung in Frankfurt. Doch technische Integration kann Arbeitsabläufe transparenter machen. Dadurch erhalten Mitarbeiter die Chance, an der Organisation der Produktionsprozesse gestalterisch mitzuwirken.

Dem einseitig wirtschaftsbezogenen Denken, dem beispielsweise auch Programme zur Humanisierung des Arbeitslebens geopfert werden sollen, will die IG Metall nicht nur einen neuen Fortschrittsbegriff entgegensetzen, sondern auch ein Konzept zur Gestaltung von Technik. Schließlich seien neue Techniken keine alleinige Therapie, um die Probleme in den Betrieben und der Gesellschaft zu lösen. Siegfried Bleicher, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, fügte hinzu: "Nicht die Technik darf die Arbeit bestimmen, sondern der Mensch muß die Organisation dazu entwickeln." Trotz diverser Zukunftsentwürfe mußte sich die Gewerkschaft auf ihrer Tagung "Perspektiven der sozialen Gestaltung von Arbeit und Technik" den Vorwurf anhören, sich in den vergangenen Jahren zwar um Tarifpolitik, nicht aber ausreichend um den Arbeitsprozeß in den Betrieben gekümmert zu haben.

So erklärte Volker Volkholz von der Gesellschaft für Arbeitsschutz- und Humanisierungsforschung mbH in Dortmund, die Arbeitnehmervereinigung habe versäumt, ein modernes Arbeitsmodernisierungsprogramm vorzulegen. Schließlich sei es

das Recht eines jeden Mitarbeiters, so der Experte, seine Tätigkeit mit einem modernen Arbeitsmittel auszuführen. Dieses müsse produktiv, gesundheits- und qualifikationsförderlich sein und dem Datenschutz Rechnung tragen.

Tatsache sei aber vielmehr, daß heute noch zahlreiche Mitarbeiter an technisch veralteten Arbeitsplätzen tätig sind. Volkholz: "Zur Zeit steht die gewerkschaftliche Technologiepolitik noch auf tönernen Füßen. Die IG Metall konnte bisher nicht sagen, welchen Entwicklungsbedarf der Arbeitnehmer tatsächlich hat." Für Volkholz schafft gerade die Mikroelektronik wieder gemeinsame Arbeitserfahrungen für die Mitarbeiter. Durch die technische wie organisatorische Integration seien übergreifende Aufgabenstellungen deutlich geworden. Allerdings warnte Volkholz die innovativen Branchen vor allzugroßer Euphorie. Ähnlich wie im Stahlbau und in der Automobilindustrie sei ihre Infrastruktur nicht genügend auf den Wandel vorbereitet: "Die innovativen Branchen der Gegenwart sind die Verlierer der Zukunft."

Für Günther Seliger vom Produktionstechnischen Zentrum Berlin bietet die Informationstechnik ebenfalls eine Chance für die Mitarbeiter. Mit ihrer Hilfe könnten neue Fabrikstrukturen geplant, gestaltet und gesteuert werden. Dabei erweisen sich seiner Meinung nach die traditionellen arbeitsteiligen Organisationsstrukturen eher als Hindernis. Vor allem der Bereich Computer Integrated Manufacturing, so Seliger, ermögliche den Betroffenen die Mitgestaltung. Der Wissenschaftler: "CIM kann zu Perestroika werden."

Allerdings seien für diese Aufgabe dringend qualifizierte Arbeitnehmer erforderlich. Deshalb hält Seliger die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter für die wichtigste Aufgabe der Zukunft. Neben der Qualifizierung der Arbeitnehmer sei auch entscheidend, künftig keine Systeme mehr zu erstellen, die in der Anwendung überhaupt nicht benötigt würden. Seliger: "Technische Potentiale dürfen nicht ungebremst entwickelt, sondern müssen an ihren Anwendungsmöglichkeiten und -risiken gemessen werden."