Change-Management verlangt kühlen Kopf

30.04.2002
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Dirk Spilker, Suse-Personalchef
Dirk Spilker, Suse-Personalchef

Diese Stellen wurden auch intern neu ausgeschrieben, wobei sich jeder Mitarbeiter auf maximal drei Positionen bewerben konnte. Deckten sich Eigenbewerbung mit den Vorschlägen der Change Agents und der Führungskraft, bekam der Interessent nach Zustimmung des Betriebsrates die Stelle. Ein Prozess, der nicht immer reibungslos verlief, wie Spilker zugibt: "Wenn es keine Bewerbungen für eine Stelle gab, haben wir mit den Mitarbeitern gesprochen, die aufgrund ihrer formalen Qualifikation in der Lage sind, sie auszuüben. Sie hatten die Wahl zwischen dem betreffenden Job oder das Unternehmen zu verlassen. Da gab es meist ein Einsehen, einige sind auch gegangen."

Andererseits bewarben sich zum Teil bis zu 20 Kandidaten auf eine Position, so dass im Zweifelsfall die sozialen Kriterien entschieden. Die Change Agents diskutierten mit den Linienvorgesetzten und unter der Moderation der Personalabteilung über die neuen Strukturen und die Auswahl und Besetzung der Stellen in der veränderten Organisation. Beide Seiten tauschten dabei kontroverse Sichtweisen und Alternativen aus und nahmen sie zum Teil auch sehr weitgehend an, so Spilker: „Die Leute haben sich in einem unglaublichen Umfang mit eingebracht, sich engagiert, Konflikte ausdiskutiert und versucht, einen Konsens zu erreichen. Das war eine sehr gute Erfahrung.“ Kam es zu keiner Einigung, entschied in letzter Instanz das Management.

Trotz ihrer Mitarbeit betrachteten viele der Change Agents die Restrukturierung im Laufe der Zeit mit gemischten Gefühlen. Zum einen machte sich zunehmend Enttäuschung breit, als sich herausstellte, dass die erste, Mitte August 2001 angestoßene Kündigungswelle nicht ausreichen würde und ihr sogar noch zwei weitere folgen sollten. Zum anderen blieb am Ende auch Frustration, weil „einige Entscheidungen, die schon im Konsens verabschiedet waren, doch noch nachträglich durch das Management oder den Aufsichtsrat anders getroffen worden sind“, so Spilker.

Ob die Restrukturierung auf Dauer erfolgreich ist, vermag der Suse-Personalchef noch nicht abschließend zu bewerten. Denn auch nach der Umorganisation ist das Unternehmen weiter in Bewegung, einige Änderungen müssen noch vorgenommen werden, nachdem erst im April zwei neue Führungskräfte dazugestoßen sind. Die Identifikation mit der Linux-Company ist nach Einschätzung Spilkers vor allem in den technischen Berufen nach wie vor sehr hoch - auch wenn mittlerweile der eine oder andere nicht mehr versteht, wie man nach den ganzen Entlassungen und der Umorganisation weiter bei Suse bleiben kann.

“Mit Entlassungen die Personalkosten zu senken ist die ´ultima ratio`” erklärt Dietmar Vahs, Professor für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Esslingen und Leiter eines Change-Management-Instituts. Aus seiner Perspektive gehören höchstens am Ende eines fehlgeschlagener Change-Management-Prozesses Entlassungen dazu. Schließen Unternehmen etwa in schwierigen Zeiten ganze Bereiche oder verhängen einen Einstellungsstopp, spiegelt sich in solchem Verhalten eine kurzfristige Denkweise, die aus strategischer Sicht den zukünftigen Erfolg gefährdet.

„Daimler stellte in der letzten Rezessionsphase Mitte der 90er Jahre eine Zeitlang keine Ingenieure mehr ein. In der Aufschwungphase merkte das Unternehmen dann plötzlich, dass der Nachwuchs fehlte," so der Professor. Mit den kurzfristigen Sparmaßnahmen hatte sich das Unternehmen selbst in eine ungünstige Ausgangsposition manövriert. “Firmen sehen oft Probleme isoliert und verlieren die anderen Handlungsfelder aus dem Auge. Meine Empfehlung lautet: Vorausdenken statt Hinterherlaufen”, so Vahs.

Allerdings fehlt nach Einschätzung des Professors bei vielen Unternehmen eine langfristige Strategie, die dann auch konsequent verfolgt wird. Eine entscheidende Rolle in Change-Management-Prozessen kommt den Führungskräften zu. “Stehen Veränderungsprozesse an, muss die obersten Führungsriege die Veränderungen vorleben, Strategien kommunizieren und Hintergründe erläutern”, erklärt der Esslinger Professor. „Dreh- und Angelpunkt von erfolgreichen Innovationsprojekten sind die Führungskräfte,“ erläutert Schnabel vom Fraunhofer IAO in Stuttgart.

Ihr verbales und nonverbales Verhalten wirkt sich direkt auf den Unternehmenserfolg aus. „Mitarbeiter fühlen sich häufig nicht verstanden, weil in der Kommunikation kein aktives Zuhören gepflegt wird.“ Beispielsweise fühlen sich die Beschäftigten nicht ernst genommen, wenn wichtige Gespräche zwischen Tür und Angel stattfinden. „Zirka 60 bis 70 Prozent des Erfolgs hängt von der Qualität des Führungsverhaltens, Beziehungen und der Kommunikation im Unternehmen ab“.

Den Mitarbeitern in Veränderungsprozessen schreiben die Berater des Fraunhofer-Instituts eine wichtige Rolle zu. „Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, den Führungskräften professionelles Feedback zu geben.“ In Form von klassischen Mitarbeiterbefragungen oder der 360-Grad-Feedback-Methode können Verbesserungsvorschläge entstehen. Den Managern gibt Schnabel den Tipp, sich der Kritik und den Anregungen der Mitarbeiter auch auf der Beziehungs- und Verhaltensebene zu stellen. “Gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten gehört eine ausgewogene Informationspolitik seitens der Führungskräfte dazu.”

Vahs empfiehlt Managern daher, sich erst über die eigene Strategie klar zu werden, bevor sie mit vagen Aussagen die Mitarbeiter zu verunsichern. “Zwar können Führungskräfte bei einer Betriebsversammlung den Mitarbeitern sagen, dass sie noch alternative Konzepte prüfen, wie sie das Unternehmen aus der Krise führen und zukünftig ausrichten möchten und gleichzeitig Kündigungen vermeiden können, doch darf es nicht bei vagen Versprechungen bleiben. Sie sollten Termine benennen, bis wann konkrete Pläne vorliegen, und diesen Zeitrahmen auf jeden Fall auch einhalten”.

Wählt ein Unternehmen dagegen eine Verschleierungstaktik und verunsichert die Mitarbeiter mit einem Schlingerkurs, schadet das der Firma nachhaltig. “Es ist besser, den Mitarbeitern zu sagen, wie die Dinge stehen, und auch nicht zu verhehlen, dass es möglichweise Opfer von den Mitarbeitern verlangt, um die Firma zu retten. Handeln Führungskräfte nicht nach diesen Maximen, tappen sie in eine Glaubwürdigkeitsfalle,” so Vahs. Gerade in dem sensiblen Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern gehört Vertrauen zu den Grundpfeilern des Erfolgs. ”Ein Vertrauensbruch wirkt sich katastrophal auf die Unternehmenskultur und das Betriebsklima aus.”