Change-Management verlangt kühlen Kopf

24.04.2002
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Fusionen, Expansionspläne oder wirtschaftliche Schwierigkeiten - Gründe für Change-Management-Prozesse gibt es viele. Beim Personal führen radikale Veränderungen leicht zu Unruhe - insbesondere, wenn es schlecht informiert und nicht einbezogen wird.

„Unzufriedene Kunden, sinkende Umsatzzahlen, zu lange Durchlaufzeiten oder Führungskräfte, die nicht marktgerecht agieren und Herrschaftswissen horten, können Gründe darstellen, weshalb Unternehmen sich für eine Restrukturierung entscheiden“, erklärt Ulrich Schnabel, Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart.

Steht der Firmenleitung das Wasser bis zum Hals, reagiert sie in den meisten Unternehmen mit einschneidenden Maßnahmen. Wenn dann am Ende nur noch zwei Listen übrig bleiben - eine, mit den verbleibenden Mitarbeitern und die andere mit den zu Entlassenden - schieben Firmen gerne Unternehmensberatern den schwarzen Peter zu. Allerdings erkennen die wenigsten die Notwendigkeit, nicht nur Fusionsprozesse, sondern auch einen größeren Personalabbau mit einem Change-Management-Prozess zu begleiten.

Berater wie Stefanie Ahrens, Senior Consultant bei Cap Gemini Ernst & Young, müssen oft harte Überzeugungsarbeit leisten: "Change-Management wird vielfach als weiches Thema gesehen, das nur der Mitarbeitermotivation dient. In Wirklichkeit geht es aber darum, schnell Kosten zu senken und damit eine nachhaltige Wirkung im Unternehmen zu erzielen."

Den Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Restrukturierung sieht Ahrens in deren Geschwindigkeit. Sie empfielt die Einbindung ausgewählter und engagierter Mitarbeiter und Führungskräfte der mittleren Ebene, die in kleinen Teams für jeden Geschäftsbereich die neue Zielorganisation gestalten. Diese Führungskräfte sollten sowohl die „Basis“, also ihr Team, als auch das Geschäft verstehen. Außerdem sollten nur die Mitarbeiter einbezogen werden, die das Unternehmen auch weiterhin beschäftigen möchte. "Man fragt nicht die Frösche, deren Teiche man austrocknet", so die Beraterin über die Auswahl."

In der ersten Phase der Umstrukturierung sollte sich das Management entscheiden, von welchen Mitarbeitern es sich trennen will. Zudem sollte die spätere Zielorganisation bekannt sein. Erst dann sollte die Unternehmensführung mit dem Betriebsrat verhandeln und ihn mit stichhaltigen Argumenten überzeugen, warum Entlassungen nötig sind und warum er kooperativ mitarbeiten soll“, erklärt Ahrens die Argumentationsstrategie.

Diese erste Phase sollte ihrer Ansicht nach geheim ablaufen: Wird die Absicht, Personal zu entlassen, schon zu früh bekannt, bestehe die Gefahr, dass die besten Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Nach der offiziellen Bekanntgabe sollten die Kündigungen aber schnell in die Tat umgesetzt werden. Viele begingen den Fehler, für die Bestimmung der zukünftigen Unternehmensausrichtung und den Personalabbau zu lange zu brauchen.

Die Beraterin hat bei ihrem Appell für eine schnelle Abwicklung vor allem die Motivation der verbliebenen Mitarbeiter im Visier. Damit diese nicht noch weiter sinkt, sollen die Unternehmen die Gekündigten noch am gleichen Tag freistellen. „Manchmal werden auch ihre Telefone und PCs abgeklemmt, da lange Abschiedszeremonien eine negative Atmosphäre erzeugen. Zudem sollten die Führungskräfte sofort mit den restlichen Mitarbeitern sprechen und ihnen klarmachen, dass sie die Zukunft sind. Das heißt aber auch, dass nicht einige Monate später die nächste Kündigungswelle kommen darf. Sonst ist das Vertrauen zerstört," erläutert Ahrens.

So weit die Theorie. Die Praxis gestaltet sich oft schmerzhafter, wie das Beispiel der Nürnberger Suse AG zeigt. Der Linux-Distributor sah sich aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu betriebsbedingten Kündigungen gezwungen. "Das Schwierigste ist immer, Mitarbeitern die Kündigung zu übergeben und ihnen zu erklären, dass sie nicht aufgrund von mangelnder Leistung herausfallen, sondern aufgrund von gesetzlichen Vorgaben. Bei uns im Support hat es Leute getroffen, die wir erst in den letzten Monaten punktgenau auf freie Positionen rekrutiert hatten und die das nötige Spezialwissen mitgebracht hatten. Diese Leute, die als Letzte gekommen und zum Teil noch sehr jung waren, als Erste entlassen zu müssen, hat weh getan."

"Es hat wehgetan, gut qualifizierte Mitarbeiter, die als Letzte gekommen und zum Teil sehr jung waren, als Erste zu entlassen." Dirk Spilker, Personalchef bei Suse
"Es hat wehgetan, gut qualifizierte Mitarbeiter, die als Letzte gekommen und zum Teil sehr jung waren, als Erste zu entlassen." Dirk Spilker, Personalchef bei Suse

Dirk Spilker, Personalchef des Nürnberger Linux-Distributors Suse, hat eine Tour de force hinter sich. Von Juni bis November 2001 mussten er und seine Kollegen drei Kündigungswellen inklusive Sozialplänen und Interessenausgleich umsetzen. Mittlerweile hat sich die Mitarbeiterzahl gemäß den Vorgaben der Investoren von weltweit 610 auf 420 reduziert. Parallel zu den Kündigungswellen hat sich Suse komplett umorganisiert. Die klassische funktionale Struktur sollte einer Aufteilung nach Kundensegmenten weichen, wobei jeder Geschäftsbereich eigene funktionale Einheiten wie Marketing oder Sales erhält und für Gewinn und Verlust verantwortlich ist.

Eingebunden in die Definition der einzelnen Organisationseinheiten in den Business Units waren etwa 40 Mitarbeiter als Change Agents. Dazu Spilker: "Wir wollten keine Organisation von oben aufsetzen. Die Mitarbeiter müssen diese letztlich leben. Ohne ihre Akzeptanz kann man so einen kompletten und radikalen Umbau von vornherein vergessen." Wer als Change Agent an den Veränderungen bei Suse mitwirken wollte, musste hohe Voraussetzungen erfüllen: Er sollte über das Fachliche hinaus Akzeptanz bei den Mitarbeitern genießen, fachliche Zusammenhänge beurteilen, mit Konflikten umgehen können, zielorientiert kommunizieren und Initiative zeigen.

Das Engagement als Change Agent, das die Auserwählten jede Woche 15 bis 20 Überstunden kostete und nicht finanziell honoriert wurde, barg allerdings noch keine Garantie, den eigenen Job zu sichern: „Am wichtigsten war es, dass die Change Agents sich selbst und ihren Arbeitsplatz in Frage stellen konnten. Es gab auch Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz radikal mit umgebaut haben“, erklärt Spilker. Ziel war, 75 Prozent aller Stellen im Unternehmen im Laufe des Change-Prozesses neu zu definieren und anderen Führungskräften wie Einheiten zuzuordnen.

Diese Stellen wurden auch intern neu ausgeschrieben, wobei sich jeder Mitarbeiter auf maximal drei Positionen bewerben konnte. Deckten sich Eigenbewerbung mit den Vorschlägen der Change Agents und der Führungskraft, bekam der Interessent nach Zustimmung des Betriebsrates die Stelle. Ein Prozess, der nicht immer reibungslos verlief, wie Spilker zugibt: "Wenn es keine Bewerbungen für eine Stelle gab, haben wir mit den Mitarbeitern gesprochen, die aufgrund ihrer formalen Qualifikation in der Lage sind, sie auszuüben. Sie hatten die Wahl zwischen dem betreffenden Job oder das Unternehmen zu verlassen. Da gab es meist ein Einsehen, einige sind auch gegangen."

Andererseits bewarben sich zum Teil bis zu 20 Kandidaten auf eine Position, so dass im Zweifelsfall die sozialen Kriterien entschieden. Die Change Agents diskutierten mit den Linienvorgesetzten und unter der Moderation der Personalabteilung über die neuen Strukturen und die Auswahl und Besetzung der Stellen in der veränderten Organisation. Beide Seiten tauschten dabei kontroverse Sichtweisen und Alternativen aus und nahmen sie zum Teil auch sehr weitgehend an, so Spilker: „Die Leute haben sich in einem unglaublichen Umfang mit eingebracht, sich engagiert, Konflikte ausdiskutiert und versucht, einen Konsens zu erreichen. Das war eine sehr gute Erfahrung.“ Kam es zu keiner Einigung, entschied in letzter Instanz das Management.

Trotz ihrer Mitarbeit betrachteten viele der Change Agents die Restrukturierung im Laufe der Zeit mit gemischten Gefühlen. Zum einen machte sich zunehmend Enttäuschung breit, als sich herausstellte, dass die erste, Mitte August 2001 angestoßene Kündigungswelle nicht ausreichen würde und ihr sogar noch zwei weitere folgen sollten. Zum anderen blieb am Ende auch Frustration, weil „einige Entscheidungen, die schon im Konsens verabschiedet waren, doch noch nachträglich durch das Management oder den Aufsichtsrat anders getroffen worden sind“, so Spilker.

Ob die Restrukturierung auf Dauer erfolgreich ist, vermag der Suse-Personalchef noch nicht abschließend zu bewerten. Denn auch nach der Umorganisation ist das Unternehmen weiter in Bewegung, einige Änderungen müssen noch vorgenommen werden, nachdem erst im April zwei neue Führungskräfte dazugestoßen sind. Die Identifikation mit der Linux-Company ist nach Einschätzung Spilkers vor allem in den technischen Berufen nach wie vor sehr hoch - auch wenn mittlerweile der eine oder andere nicht mehr versteht, wie man nach den ganzen Entlassungen und der Umorganisation weiter bei Suse bleiben kann.