Chairman Gerstner geht unkonventionelle Wege IBM-Manager muessen Klinken bei Windows-Entwicklern putzen

07.04.1995

SAN MATEO (IDG) - Beim Betriebssystem-Kampf gegen Microsoft verlangt IBM-Chef Louis Gerstner vollen Einsatz von seinen Topmanagern. In einem offenen Brief forderte er kuerzlich seine 100 ranghoechsten Angestellten auf, persoenlich je zehn Windows- Entwickler anzusprechen und zur Desertation ins OS/2-Lager zu bewegen.

Wenn OS/2 Warp dem Bestseller Windows einen signifikanten Marktanteil abringen soll, dann benoetigt IBM eine breite Palette brauchbarer Anwendungen. Doch bevor sie eine kostspielige Portierung oder gar Neuentwicklung wagen, warten die "unabhaengigen Software-Anbieter" (Independent Software Vendors = ISVs) erst einmal auf Nachfrage. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, schreckt Gerstner auch nicht vor unkonventionellen Mitteln zurueck.

Wie die CW-Schwesterpublikation "Infoworld" unter Berufung auf IBM-interne Quellen meldet, hat der blaue Riese ein ganzes Arsenal von Argumentationshilfen zusammengestellt, mit dem er Software- Entwicklern die Entscheidung fuer Warp erleichtern will.

Dazu gehoert die "Developer Connection CD" genannte Sammlung von Entwicklungswerkzeugen, die dazu dienen sollen, den Umsteigewilligen die Portierungsarbeit zu erleichtern. Zudem veranstaltet IBM nicht nur kostenlose Ausbildungskurse, sondern gibt auch noch technischen Support ueber das Internet.

Was noch schwerer wiegt: Diese suessen Versuchungen werden den Windows-Entwicklern nicht von irgendwelchen niederen Chargen offeriert. Vielmehr bemuehen sich hochrangige IBM-Manager zu den bisherigen Microsoft-Alliierten, um ihnen die Vorteile einer IBM- Partnerschaft nahezubringen. Ende Maerz erhielten 100 Vice- und Senior-Vice-Presidents einen von Gerstner unterzeichneten Brief, in dem ihnen eine sehr konkrete Aufgabe gestellt wird: Jeder soll zehn Windows-Entwickler davon ueberzeugen, auf OS/2 Warp umzuschwenken.

Mit diesem "Executive Call Program" hat Gerstner seinen Erfuellungsgehilfen eine unmissverstaendliche Botschaft uebermittelt. Sie heisst: "OS/2 ist fuer die IBM ein strategisches Produkt."

Der grosse Vorsitzende selbst geht mit gutem Beispiel voran. Hat er sich doch bereit erklaert, ebenfalls sein Soll zu erfuellen und zehn ISV-Klinken zu putzen. Leider wollte IBM nicht mitteilen, um welche Software-Unternehmen es sich dabei handelt.

Unter den Anbietern, die IBM bereits zu seinen Partnern zaehlen darf, sind Sybase und Adobe. Ein starkes Commitment war auch schon von Lotus Development zu hoeren. Bedeckt halten sich allerdings noch die Wordperfect-Abteilung von Novell sowie Borland International und - welche Ueberraschung! - der Marktfuehrer Microsoft.