Cannavino fordert mehr Zusammenarbeit der DV-Player IBM-Vice-President redet offenen Systemen und Standards das Wort

06.08.1993

MUENCHEN (CW) - Die Veraenderungen, die der einstige DV-Kroesus IBM zur Zeit durchmacht, verwirren nicht nur Industriebeobachter, sondern auch zunehmend die Anwenderschaft. Wird Big Blue in verschiedene kleinere Unternehmen zerschlagen? Wie haelt es die IBM mit offenen Systemen, und was verspricht sie sich von ihrem aggressiven Auftreten im PC- und Workstation-Markt? Ueber diese und andere Fragen sprachen die CWRedakteure Dieter Eckbauer und Christoph Witte mit dem IBM Senior Vice-President

und General Manager der Personal Systems, James Cannavino.

+CW: Macht die IBM mit ihrem Versuch, den Konzern in viele kleine Unternehmen zu zerteilen, nicht einen grossen Fehler?

Cannavino: Die Bezeichnung Unternehmen ist wahrscheinlich der falsche Begriff. Fuer uns ist das eine Einstellung, ein Mind-set.

CW: Also dient die Divisionalisierung nur der Beschleunigung der Entscheidungen, Spinoff-Gedanken spielen keine Rolle?

Cannavino: Ich habe keinerlei Intention, irgend etwas abzuspalten. Es reden nur viele Leute darueber.

CW: Es wird spekuliert, weil viele Industriebeobachter die Absicht hinter der Divisionalisierung nicht begreifen, wenn es nicht um eine Verselbstaendigung der Einheiten geht. Wenn Sie innerhalb einer Organisation Unterorganisationen einrichten, dann muss doch wieder auf einer hoeheren Ebene diskutiert und entschieden werden.

Cannavino: Nur wenn man sich fuer einen solchen Weg entscheidet. Wir haben jedoch viel mehr Verantwortung nach unten delegiert. Frueher zwang uns unser System, ueber alles zu diskutieren und alles gemeinsam zu entscheiden. Das brauchen wir heute durch die Divisionalisierung nicht mehr. Das hat uns sehr viel flexibler und effektiver gemacht.

CW: Wir haben mit Leuten zu tun, die jahrelang indirekt von IBM abhaengig waren und heute veraergert sind, weil sie sich fragen muessen, ob die IBM ueberleben kann.

Cannavino: Kein Unternehmen hat per se ein Recht auf ewiges Leben. Auch der heute staerkste Player kann morgen schon von der Bildflaeche verschwunden sein. Ich kann nur meine Kunden bedienen und mich so schnell im Markt bewegen wie der Mitbewerb. Aber ich bin, die IBM betreffend, sehr optimistisch, weil mich unsere Resultate ermutigen.

CW: Der Markt kennt kein Pardon...

Cannavino: Sollte er auch nicht.

CW: Nur Anwender, die Ihnen trauen, geben Ihnen die Moeglichkeit, Fehler auszubuegeln.

Cannavino: Wir hoffen, dass wir uns dieses Vertrauen verdient haben.

CW: Dem steht aber eine ziemlich lange Liste unerfuellter Versprechen gegenueber. Wissen die Anwender angesichts der Veraenderungen innerhalb des Konzerns ueberhaupt noch, wie sich Big Blue ausrichtet und welche Strategie verfolgt wird?

Cannavino: Unser Geschaeft wandelt sich staendig. Ich denke, dass die Faehigkeit zu schnellen Veraenderungen in den 90ern immer wichtiger werden wird. Die Turbulenzen dieser Jahre treffen nicht nur die IBM. Nur wenige Unternehmen werden Umstrukturierungen vermeiden koennen.

CW: In den 60ern, 70ern und 80ern hat der Anwender praktisch automatisch IBM-Maschinen gekauft. Heute fragt er, was er bei der IBM fuer sein Geld bekommt. Wie kommen Sie mit diesem Verhalten zurecht?

Cannavino: Ich freue mich darueber. Ich glaube, wir haben viel zu bieten. Wir sind ein technologisch reiches Unternehmen. Wir liefern schon seit langem Loesungen - sind davon fuer ungefaehr ein Jahrzehnt abgekommen und haben lediglich Produkte geliefert. Das war ein Fehler! Kunden arbeiten an Loesungen und wollen nicht nur Produkte kaufen. Wir haben den Weg nicht deshalb eingeschlagen, weil wir das fuer eine saubere Sache hielten, sondern weil wir einige Loesungen angestrebt haben, die zu gross waren, um sie zu verwirklichen. Unser Appetit war zu groCW: Koennen Sie denn damit leben, dass Anwender zwar an Ihre Szenarien glauben, aber die Produkte der Konkurrenz kaufen?

Cannavino: Ich glaube, wir brauchen eine Vision von dem, was der Kunde erledigt haben will...

CW: Kunden kaufen Produkte, keine Visionen. Seit Mitte der achtziger Jahre waechst der Nicht-IBM-Markt, den Unternehmen wie HP, Sun, Novell, Microsoft, Borland, Oracle und andere repraesentieren. IBM verliert dagegen jeden Tag Marktanteile. Wenn Sie sich gegen andere behaupten wollen, dann brauchen Sie entsprechende Produkte. Die aber sehen wir nicht.

Cannavino: Ich habe Sie verstanden...

CW: Also - wo sind die innovativen Produkte?

Cannavino: Betrachten wir zuerst Compaq und die IBM PC Company. Was haben wir, was haben die? Wer erobert, wer verliert Marktanteile? Glauben Sie, dass sich Compaq schneller entwickelt als die IBM?

CW: Nach den uns vorliegenden Zahlen fuer 1992 gewinnt Compaq Marktanteile...

Cannavino: Wenn Sie im naechsten Jahr um diese Zeit ueber die Zahlen von 1993 verfuegen, dann muessen Sie Ihr Bild von der PC-Industrie neu zeichnen. Im Workstation-Bereich agieren wir ebenso aggressiv. Wir liefern uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Sun und HP. Aber da muessen wir uns noch verbessern. Manchmal verkaufen wir auch eine Workstation gegen eine AS/400. Schade, aber ich verkaufe lieber eine RS/6000, als dass HP eine Workstation plaziert. Manchmal wird wegen uns auch ein Mainframe nicht verkauft, aber so spielt das Leben.

CW: Sie haben im Oktober 1992 versprochen, konkrete Zahlen herauszugeben, wenn das Berichtswesen der Personal Systems Line of Business (PS-LOB) steht. Koennen Sie uns welche nennen?

Cannavino: Soweit sind wir noch nicht. Wenn wir Zahlen herausgeben, dann bilden sie die Grundlage fuer Investitionen von Anlegern. Deshalb muessen sie unbedingt korrekt sein.

CW: Ist die PC-Company am Breakeven-Punkt angelangt oder profitabel? Wie steht es mit PS insgesamt?

Cannavino: Alles in allem war 1992 ein schlechtes Jahr fuer das PC- Geschaeft. Wir erwarten jedoch, dass es 1993 wieder profitabel wird. Im ersten Quartal lagen wir weit ueber Plan und erzielten Gewinne.

CW: Nicht im PC-Geschaeft beweist sich die Ueberlebensfaehigkeit der IBM, sondern in ihrer Konkurrenzfaehigkeit im Workstation- und Client/Server-Business.

Cannavino: Die Grenzen verschieben sich. Frueher gab es eine harte Unterscheidung zwischen Workstations und PCs. Bei den einen handelte es sich um robuste 32-Bit-Systeme, bei den anderen um 8- und 16-Bit-Rechner, die als Spielzeug belaechelt wurden. Heute gibt es diese Trennung nicht mehr. Beide, RISC und CISC, koennen heute 32-Bit-Multitasking-Betriebssysteme fahren.

CW: Es ist klar, dass der Vergleich zwischen der IBM und Compaq hinkt. Big Blue ist immer noch gross, aber die Situation hat sich dramatisch veraendert. Die Leute fragen sich, wer die treibende Kraft in der DV-Industrie sein wird.

Cannavino: Ich hoffe nur, dass kein Unternehmen zur neuen fuehrenden Kraft gesalbt wird. Wenn diese Industrie voranschreiten soll, muessen die Unternehmen der DV-Branche staerker zusammenarbeiten. Wir brauchen Standards und offene Systeme. Damit meine ich keine Vereinbarungen, die am gruenen Tisch ausgehandelt werden. Aber wenn Unternehmen erfolgreich die Initiative ergreifen und andere Player mit in ihr Boot ziehen, koennen Standards entstehen. Die Industrie bewegt sich dahin, wo sie am schnellsten wachsen kann. Dabei werden die schnellsten Unternehmen ihre Marktpositionen verbessern. In dieser Welt muss ich mich als konkurrenzfaehig und erfolgreich erweisen. Schaffe ich das nicht, stehen mir sehr schwere Zeiten bevor.

Cannavino (links): "Ich hoffe nur, dass kein Unternehmen zur

neuen fuehrenden Kraft gesalbt wird."