CAD-Umdenken bei Mercedes-Benz und Mueller Weingarten Catia laesst Federn zugunsten von PC-Konstruktionssoftware Von CW-Mitarbeiter Stefan Ueberhorst

28.01.1994

In der CAx-Welt zeichnet sich ein neuer Trend ab: Mercedes-Benz und Mueller Weingarten sind juengste Beispiele dafuer, dass sich im 2D-Bereich teure Catia-Arbeitsplaetze durch PC-basierte Konstruktionssoftware ersetzen lassen. Ueber die damit verbundenen Einsparungen hinaus wollen beide Unternehmen die wesentlich flexiblere Arbeitsweise nutzen.

Die jaehrlichen Kosten fuer einen Catia-Arbeitsplatz einschliesslich Wartung sind hoeher als die Gesamtinvestitionen fuer einen neuen professionellen CAD-Arbeitsplatz auf PC-Basis - das zumindest veranschlagt Anthonie Troost, der bei Mercedes-Benz im Bereich Nutzfahrzeuge die Abteilung Technische Daten/Angebotszeichnungen leitet.

Seine Entscheidung, zehn Catia-Terminals kuenftig durch Autocad-PCs zu ersetzen, begruendet Troost ausser mit Kostendruck auch mit der erhoehten Flexibilitaet: 85 Prozent der Mercedes-Benz-Nutzfahrzeuge verlassen das Werk nur als Fahrgestell. Das Fahrzeug wird von Aufbauherstellern entsprechend den Kundenwuenschen komplettiert. Die von Mercedes-Benz dafuer vorgehaltenen 2D-Angebotszeichnungen umfassen 3500 verschiedene Fahrzeugtypen, deren Konstruktionsvorlagen bislang in Form von jaehrlich 40 000 Blaupausen an die Aufbauhersteller verschickt wurden.

Der Wechsel in der Mercedes-Benz-Abteilung auf die meist auch bei den Aufbauherstellern vorhandene PC-Basis erspart eine zusaetzliche Konvertierung der CAD-Daten. Saemtliche Zeichnungen liegen in Stuttgart auf einem OS/2-Fileserver und koennen in den Formaten DXF, DWG und IGES via ISDN rund um die Uhr abgerufen werden.

Catia sei zwar ein gutes, insgesamt jedoch eher geschlossenes Konstruktionssystem, das der Anwender nur wenig beeinflussen koenne, argumentiert Troost. Offene Standardsoftware entspreche dagegen der heute geforderten Technik.

Die durch Abschaffung der Catia-Arbeitsplaetze zu erwartende Kosteneinsparung laesst Troost einen grossen Spielraum bei der Wahl seiner PC-Hardware. Fest steht, dass die kuenftige Technik im oberen Leistungsbereich angesiedelt sein muss, da die Konstrukteure auf kurze Antwortzeiten und einen schnellen Grafikaufbau angewiesen sind. Ausserdem werde man mit der neuen Systemkonfiguration die naechsten Jahre auskommen muessen.

Derzeit stehen in der Abteilung ausser den zehn Catia-Terminals noch eine Catia-Workstation (RS 6000) und zwei Autocad- Arbeitsplaetze, mit denen der reibungslose Uebergang zur PC- Landschaft getestet werden soll. Die als heikel geltende Formatumwandlung zwischen den CAD-Welten wurde nach entsprechenden Vorarbeiten bewaeltigt. Inzwischen findet die Konvertierung der Catia-Host-Dateien in das von Autodesk offengelegte ASCII-Format DXF im Batch-Verfahren ueber Nacht auf der Workstation statt.

Die weitere Konvertierung in das Autocad-spezifische Format DWG und in den IGES-Industriestandard sowie eine Komprimierung der Dateien uebernehmen die mit der Workstation und dem Host ueber Ethernet beziehungsweise Token Ring vernetzten PCs. Bearbeitete Zeichnungen werden auf den Host zurueckgeschickt, fertiggestellte Vorlagen gelangen in die Datenbank des OS/2-Servers. Gleichzeitig findet eine Qualitaetskontrolle statt, indem die gepackten Files entkomprimiert, in Autocad eingelesen und geplottet werden.

Der Catia-Host bleibt nach wie vor erhalten, zumal er auch von anderen Konstruktionsabteilungen genutzt wird. Um abteilungsuebergreifend mit einer weitgehend einheitlichen Benutzeroberflaeche zu arbeiten, hat sich Troost fuer eine Catia- Emulation auf Autocad entschlossen: Damit liesse sich einerseits Autocad an die spezifischen Abteilungsbeduerfnisse anpassen, andererseits wuerden so Umschulungskosten gespart.

Eine vergleichbare Mischkultur, bestehend aus Autocad mit aufgesetzter Catia-Menuestruktur, wurde bei der Mueller Weingarten AG zwar erwogen, mittlerweile jedoch verworfen. Im Rahmen eines unternehmensweiten Rightsizing-Konzepts will der Hersteller von mechanischen und hydraulischen Pressen und Anlagen zumindest im Bereich Maschinenbau Catia komplett zugunsten von Autocad abloesen. Gemeinsam mit den Kontrukteuren ist DV-Chef Matthias Schmich inzwischen der Auffassung, dass es sich bei PC-basiertem 2D-CAD im Vergleich zu Host-Systemen nicht mehr nur um eine Alternative, sondern um die bessere Loesung handelt.

Anlass der DV-Umstrukturierung ist der Kostendruck des mittelstaendischen Unternehmens, der sich aufgrund weiter zunehmenden Wettbewerbs noch verschaerfen wird. Bei Mueller Weingarten sah man sich deshalb gezwungen, durch eine flexible Datenverarbeitung im technischen Bereich effizienter, schneller und zugleich kostenguenstiger zu arbeiten.

Insgesamt verfuegt das Unternehmen ueber 46 CAD-Arbeitsplaetze, von denen die 14 Catia-Terminals am Standort Esslingen bereits durch PCs mit Autocad ausgewechselt wurden. Das daraus resultierende Einsparungspotential beziffert Schmich so: Ein vollwertiger Autocad-Arbeitsplatz kostet ihn etwa 50 Prozent dessen, was er fuer die Beibehaltung des urspruenglichen Systems oder fuer den Wechsel mit Catia auf eine RS/6000 haette bezahlen muessen.

Die Umstellung in Esslingen hat innerhalb von drei Monaten stattgefunden. Der Umstieg wurde einschliesslich der Mitarbeiterschulung von autorisierten Autocad-Haendlern begleitet. Um das System von seiner Installation bis zum produktiven Einsatz zu optimieren, wurde etwa ein Monat benoetigt. Parallel dazu verlief die Konvertierung des Zeichnungsbestands. Von den 5000 in Esslingen vorliegenden CAD-Zeichnungen wurden die wichtigsten ausgewaehlt und zur Umwandlung in DWG an einen externen Dienstleister ausser Haus gegeben. Die Ergebnisse waren aus der Sicht von Schmich sehr zufriedenstellend.

Um dem Problem der Datenverwaltung bei dezentralen Arbeitsplaetzen zu begegnen, wurde begleitend ein Projekt "Engineering Database" durchgefuehrt. Die nun auf einem Unix-Server abgelegte Konstruktionsdatenbank erhaelt ueber NFS alle freigegebenen Daten und bindet zugleich die technische Dokumentation mit ein. Mittlerweile sind die ehemals isolierten Standorte Esslingen und Weingarten durch eine ISDN-Leitung gekoppelt, so dass von beiden Orten aus auf die zentrale Datenbank zugegriffen werden kann.

In Weingarten selbst, wo technische Anwendungen etwa 50 Prozent der Systemlast ausmachen, werden die 24 Catia-Arbeitsplaetze im kommenden Jahr sukzessive von Autocad abgeloest. Catia laeuft dann auf einem kleineren Host oder auf Workstations nur noch fuer den Werkzeugbau, der ueberwiegend im 3D-Bereich und mit Freiformflaechen arbeitet.

Ziel bei Mueller Weingarten ist es, durch die breite Abdeckung mit PCs im gesamten Unternehmen eine Visualisierung von Konstruktionszeichnungen an allen Arbeitsplaetzen zu erreichen. Dies war mit Catia bislang nicht moeglich. Auch das derzeit durchgefuehrte Scan-Projekt, bei dem manuell erstellte Zeichnungen eingescannt und mit Autocad modifiziert werden, liess sich waehrend der Catia-Aera nicht bewerkstelligen.