Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Einsatz von grafischen Systemen schaffen.

CAD nicht nur als Versuchsfeld sehen

20.05.1983

Unbehagen und Skepsis herrscht bei Interessenten und Benutzern von CAD-Systemen. Zu groß ist Die Diskrepanz zwischen Versprechungen der Hersteller und Realisierung der Aufgaben im eigenen Unternehmen. Dr. Alexander Vogler von der Abteilung "Technische Datenverarbeitung, Engineering-Anwendungen" des mbp in Dortmund, beschreibt die Lücke und gibt Tips, wie man sie beheben kann.

Der Wandel in der grafischen DV ist unverkennbar. Während noch bei der Hannover-Messe 1982 die erste Frage der Interessenten lautete: "Kann Ihr CAD-System auch 3D??" - kam 1983 die erste Garnitur und bat "nur" um Beratung.

Das ist das CAD-Problem, und den Kunden wird es bewußt. Es ist die Diskrepanz zwischen 3D-Theorie, Vorführeffekt, Turnkey-Verlockung und den Bedenken, wenn man an die Aufgabe im eigenen Unternehmen denkt. Hier besteht eine Praxislücke, neudeutsch "practical gap" genannt.

Es soll rund 16000 Firmen oder Betriebsstätten in der Bundesrepublik geben, die "CAD-verdächtig" sind, die also bei fachlich passendem und wirtschaftlichem Angebot mit gutem Effekt Computerleistungen im Ingenieurbereich einsetzen könnten. Die meisten Produkte beruhen auf irgendeiner ganz besonderen Leistung: Teile, die kein anderer machen kann; Werkstoffe, die es woanders nicht gibt; Verfahren der Herstellung, mit denen man die Nase vorn hat.

Dies sind bekannte wirtschaftliche Tatsachen, und wo immer sich eine technologische Lücke zeigt, ist sie Anlaß intensiver Maßnahmen (Technologie-Transfer, Förderpolitik, Investitionsziele).

Kunden sind skeptisch

Skeptisch reagieren die Kunden darauf, daß es möglich sein soll, ihr in langjährigem Erfahrungsaufbau ausgeführtes Produkt-Know-how in ein abgeschlossenes, allein geometriebezogenes "CAD-System" hineinzupacken - und das auch noch mit wirtschaftlichem Erfolg.

Auch auf die Gefahr hin anzuekken: Sucht doch 1983 ein weltbekanntes CAD-Systemhaus per Anzeige einen "Applications-Ingenieur". Einen? Und um welche Anwendung handelt es sich - Rohrleitungsisometrien oder Elektroschaltplanauswertungen, Anlagenlayout oder Turbinenschaufelschmieden, Betonfertigteilbewehrung oder Kunststoffextrusionswerkzeuge...

Um hier Abhilfe zu schaffen, bedarf es einer Reihe von Voraussetzungen, an denen zur Zeit intensiv gearbeitet wird und wo wesentliche Entwicklungen bereits genutzt werden können:

- leistungsfähige Grafik-Hardware mit hoher Auflösung; Refresh-Technik, um schnelle und effiziente Interaktionen (Segmentierung, Hit-Operationen, Dragging, Zooming, Windowing usw.) zu ermöglichen;

- leistungsfähige Basis-Grafik- und Interaktions-Software, geometrisches Modelling 2D und auch 3D;

- ausreichend strukturierte und dimensionierte Datenhaltung, mit hoher Übertragungsrate zu den Arbeitsstationen;

- Konzeption über zentrale/lokale/verteilte Verarbeitung und Datenhaltung,

Die Liste kann sicher um viele Punkte erweitert und auch vervollständigt werden. All dies ist jedoch genausowenig ausreichend wie schon vor Jahren ein Computer nur mit Cobol- oder Fortran-Compiler.

Es ist notwendig, Systeme für die realen technischen Anwendungen bereitzustellen, was bei der Ist-Aufnahme der fachlichen und organisatorischen Probleme der Kunden anfängt. Als nächstes wird eine Konzeption darüber erstellt, was im Kundenbetrieb im Themenkreis CAD nützlich, wirtschaftlich, machbar, finanzierbar und durchsetzbar ist. Dies erfordert fachspezifisch ein breitgefächertes Know-how im System- oder Beratungshaus, sowie Information, Beratung und gemeinsame Erarbeitung beim Interessenten.

Selbstverständlich kann nicht für jeden Kunden die erforderliche CAD-Anwendungssoftware - und das ist nur zum Teil Grafik, der größere Part ist fachspezifische Berechnungs-, Verwaltungs- und Organisations-Software - eigens erstellt werden. Deshalb sind offene Systeme als "Tools" zu entwickeln und vorzuhalten, aus denen die spezielle Kunden-Software zusammengestellt und weiter vervollständigt wird. Anzustreben ist dabei eine möglichst große Schnittmenge aus dem, was der Kunde erwirbt, mit dem, was er wirklich benötigt. Und da fast niemals alles, sowie alles auf einmal realisierbar ist, muß die Konzeption auch jene günstig zu erreichenden. "80 Prozent" und die gangbaren Schritte dorthin aufzeigen.

CAD: Das ist sicher nicht nur ein Modewort, sondern Sammelbegriff für Rechnerleistung im Ingenieur-, Konstruktions- und Entwicklungsbereich; für die Fertigungsplanung und -vorbereitung gilt Entsprechendes. Aber das, was an Fachwissen in den Programmen stecken muß, sollte den Aufgaben des Kunden nicht nur von entsprechen, sondern dort erkennbar positive Effekte haben - denn sonst bewegt sich nichts.

Software ist entscheidend

Fertige und abgeschlossene CAD-Anwendungssysteme, zum Beispiel von elektrischen Schaltungen und deren Auswertung, sind zunächst Insellösungen. Sie zeigen Qualität und Möglichkeit und bieten einen hervorragenden Einstieg in rechnergestützte Ingenieurarbeit mit Einschluß der grafischen Funktionen.

Die Software und das in sie investierte Fachwissen sind entscheidend für die Ergebnisse; die Hardware muß entsprechend leistungsfähig, kann aber nicht Ausgangspunkt der Überlegungen sein.

CAD ist kein billiges Versuchsfeld, sondern es wird eingreifende Konsequenzen in Konstruktionsbüros und Betrieben geben. Deshalb soll man weder an der Tür noch per Prospekt kaufen - man gehe zum Maßschneider.