ingenieure wissen um ihren marktwert

CAD ist nur das kleine Einmaleins

01.07.1999
Computergestütztes Rechnen und Konstruieren ist für junge Maschinenbauer eine Selbstverständlichkeit. Die Grundlagen muß die Hochschule liefern, die Vermittlung der Spezialkenntnisse ist Sache der Industrie.

von Helga Ballauf*

ANKÜNDIGUNGEN AM INFOBRETT für den Studiengang Maschinenbau an der Fachhochschule München: ,Praktikum Ingenieurinformatik II‘. ,Schwerpunkt Projektarbeit: Organisation und DV im Produktionsbetrieb, einschließlich PPS‘. ,Praxisgerechte 3-D-Computermodellierung für Finite Elemente Berechnungen‘. Der Computer und seine Anwendungen sind allgegenwärtig.

Dabei gibt es sie immer noch, die altgedienten Ingenieure und Hochschullehrer, die vom Einzug des Rechners in ihre Disziplin nicht so viel wissen wollen, berichten schmunzelnd die beiden Maschinenbaustudenten Ingo Göbel und Martin Voreck: "Da heißt es dann, nicht ohne Stolz: Wir haben es früher auch ohne Computer geschafft." Göbel und Voreck dagegen können sich kaum noch vorstellen, wie sie ohne Simulationsprogramme und Software für komplizierte und umfangreiche Berechnungsketten auskommen sollten. Das betrifft das Studium genauso wie die betriebliche Praxis. Beide arbeiten als Werkstudenten nebenbei in den Firmen, in denen sie ihr Pflichtpraktikum absolviert hatten; Göbel in der Entwicklungsabteilung eines Ingenieurbüros, das Aufträge der Kfz-Industrie abwickelt, und Voreck direkt bei einem großen Autobauer.

"CAD-Kenntnisse allein sind ein alter Hut in der Branche", sagen beide. Man hat sie, kommt aber nur damit längst nicht mehr aus. Das spiegelt sich bereits im Lehrplan der FH wider: Bei den Fahrzeugtechnikern beginnt die Einführung in CAD/CAM-Techniken im ersten Semester, bei den Maschinenbauern im vierten. Ähnliches gilt im übrigen für das Studium an der Technischen Universität. In einschlägigen Stellenan- zeigen der Industrie wird vorausgesetzt, daß Diplomingenieure CAD-Systeme nicht nur beherrschen, sondern weiterentwickeln können. Das setzt umfassendere IT-Kenntnisse voraus.

Durch ihre Arbeit für die Autoindustrie wissen Voreck und Göbel, wie wichtig beispielsweise inzwischen dreidimensionale Konstruktionsprogramme sind: "Wer ein Karosserieteil konstruiert, braucht einschlägige Programmiersprachen." In der Praxis geht es immer stärker darum, einmal erhobene Daten in vielfachen Anwendungen und Verknüpfungen nutzen zu können. Ein Beispiel: Verschiedene Konstrukteure, die in eigenen Büros und in der Entwicklungsabteilung eines Autokonzerns arbeiten, suchen Lösungen für zugewiesene Teilaufgaben. Damit dieser Prozeß möglichst optimal abläuft, ist dreierlei sicherzustellen: Die besten Einzellösungen müssen am Ende zusammenpassen. Auf der Datenebene sollte bereits sichtbar werden, wo bei der realen Konstruktion Probleme zu erwarten sind. Das Datennetz darf nicht nur zwischen den Entwicklern geknüpft werden, sondern muß auch die Disposition einschließen. Nur so ist sichergestellt, daß im

richtigen Moment der zuständige Zulieferer auch die aktuellste Zeichnung erhält. "Die Verzahnung zwischen CAD-Technik und PPS-Systemen wird in Zukunft immer wichtiger", sagt Voreck, "sonst kann die Suche nach bestimmten Entwürfen Tage dauern."

Auch Firmen müssen ihre Einsteiger schulen

Die Studenten im achten Semester haben eine präzise Vorstellung davon, was an der Hochschule und was in der Industrie gelernt werden sollte. Göbel, der den Studiengang Allgemeiner Maschinenbau gewählt hat, betont: "Der Ingenieur benötigt ein fundiertes Hintergrundwissen, muß von Sicherheitsvorschriften ebenso eine Ahnung haben wie gegebenenfalls vom Design." Das sei die Sache des Studiums. In einer so hochdifferenzierten Branche wie dem Maschinenbau müsse danach die jeweilige Firma durch spezielle Schulungen für die Einsatzfähigkeit des Mitarbeiters in ihrem Bereich sorgen, fügt er hinzu: "Eine Zahnradfabrik kann nicht erwarten, daß sich ein neu eingestellter Konstrukteur mit den Detailproblemen dieser Sparte schon vorher beschäftigt hat."

Voreck, der sich auf computerintegrierte Herstellung (CIM) spezialisiert, sieht das ähnlich: "Ich möchte nach der Hochschule nicht das Gefühl haben, daß ich mit meiner Qualifikation nur bei drei Firmen eine Chance habe." Darum hat er sich ein breites unabhängiges Wissen angeeignet, mit dessen Hilfe er sich später in beliebig viele Felder einarbeiten kann.

Obwohl beide als Werkstudenten für die Autoindustrie arbeiten, möchten sie ihre berufliche Perspektive nicht auf diesen Industriezweig beschränkt sehen. Daß die Studienrichtung Fahrzeugtechnik derzeit beliebter ist als der Maschinenbau an sich, führen sie auf die guten Anstellungschancen in der Branche, vor allem jedoch auf das Image zurück. "Das Auto ist der Deutschen liebstes Kind. Aber wer weiß beispielsweise etwas über Werkzeugmaschinenbau? Dabei lassen sich dort interessante Sachen entwickeln", urteilen die angehenden Ingenieure.

Stellenanzeigen schalten, Leiharbeitsfirmen beauftragen, Praktikanten testen - das sind die hauptsächlichen Strategien der Unternehmen bei der Nachwuchsrekrutierung, haben Voreck und Göbel beobachtet. Bevorzugt stellen die Betriebe die Leute ein, deren Arbeits- und Teamfähigkeit sie bereits kennen. Umgekehrt gilt: Die Arbeit als Werkstudent ermöglicht nicht nur die Finanzierung des Studiums, sondern verschafft tragfähige Industriekontakte. Wer sich dagegen auf ein Inserat bewerbe, müsse ein gesundes Selbstvertrauen mitbringen, unterstreichen die künftigen Diplomingenieure. Denn in den Anzeigen der Firmen "wird oft nicht zwischen echten Anforderungen und zusätzlichen Wünschen unterschieden", sagt Göbel. Er empfiehlt Berufseinsteigern: "Entscheidend bei einem Bewerbungsgespräch ist, daß ich meine Stärken aufzeige und gleichzeitig die Bereitschaft vermittle, mir andere Stärken anzueignen."

Junge Maschinenbauer und Fahrzeugentwickler sind mittlerweile auf dem Arbeitsmarkt gefragte Leute. So mancher Industriebetrieb setzt "Kopfgeldprämien" aus. Für Berufsanfänger bietet diese Lage die Chance, sich potentielle Arbeitgeber sehr genau anzuschauen, meinen Göbel und Voreck. Wichtig ist nicht nur das Jahresgehalt. "Ein Angebot unter 65 000 Mark ist fragwürdig." Viel hängt gerade von den Extras und Rahmenbedingungen ab: Ist die Firma bereit, nötige Schulungen zu zahlen und die Beschäftigten während dieser Zeit von allen anderen Arbeiten freizustellen? Werden Spezialkenntnisse zusätzlich honoriert? Gilt tariflich die 35- oder 40-Stunden-Woche? Werden Überstunden in Zeit oder Geld abgegolten? Gibt es gar einen Dienstwagen?

Als die beiden Maschinenbauer vor knapp vier Jahren mit dem Studium begannen, wurden sie vor diesem Schritt gewarnt. Die Branche steckte in der Krise. Heute sind sie froh, sich damals antizyklisch verhalten zu haben und jetzt zu einer gesuchten Spezies auf dem Arbeitsmarkt zu gehören.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.