Business Re-Engineering/Schweizer Forscher-Duo veroeffentlicht Untersuchungsergebnisse Business Re-Engineering: 15 Methoden im direkten Vergleich

06.10.1995

MUENCHEN (CW) - Von der Geschaeftsprozessoptimierung lebt derzeit eine ganze Beraterbranche vortrefflich. Die Anwender indes leiden unter der Fuelle des Angebots; sie haben kaum noch einen Ueberblick ueber die Ziele und methodischen Grundlagen der einzelnen Ansaetze. Die Schweizer Autoren Thomas Hess* und Leo Brecht bringen mit einem neuen Buch Ordnung in das Methodenchaos.

Nachdem das erste Re-Engineering-Fieber abgeklungen ist und eine Reihe grosser Unternehmen viel Lehrgeld gezahlt hat, geht nun die deutsche Wirtschaft auf breiter Front an die Neugestaltung ihrer Prozesse. Dabei sind es nicht mehr die grundlegenden Ansaetze, die interessieren, sondern konkrete Methoden, mit denen sich entsprechende Projekte durchfuehren lassen.

"Action" stuetzt sich auf Workflow-Ansatz

Mit 15 Methoden fuer die "projekthafte, grundlegende Neugestaltung betrieblicher Prozesse" beschaeftigen sich die St. Gallener Wissenschaftler Hess und Brecht in ihrem Buch "State of the art des Business Process Redesign: Darstellung und Vergleich bestehender Methoden". Nach einem einheitlichen Raster werden unterschiedliche Denkrichtungen aus Management- und Organisationslehre sowie Wirtschaftsinformatik beschrieben, die aus europaeischen und amerikanischen Beratungs- und Forschungsunternehmen stammen. Im folgenden sollen einige dieser Ansaetze - mit dem gebotenen Mut zur Luecke - kurz wiedergegeben werden (siehe tabellarischen Ueberblick auf Seite 70/71).

Die Untersuchung beginnt mit der Beschreibung der "Action Methodology" von der Action Inc., die sich auf einen Workflow- Ansatz stuetzt. Ergebnis dieses Verfahrens ist die Beschreibung eines Geschaeftsprozesses mit seinen jeweiligen Workflows in der sogenannten Process Map. Unter einem Workflow versteht das Unternehmen Koordinationsbeziehungen, die in Verbindung mit dem Austausch von Leistungen zwischen Performer (zum Beispiel Verkaeufer oder Personalverantwortlicher) und Customer (Kunde, Linien-Manager) stehen. Die Methode fuehrt zur Beschreibung eines ganzen Netzwerkes solcher Beziehungen.

Jeder Leistungsaustausch oder Workflow laesst sich in die vier Phasen Preparation, Negotiation, Performance und Acceptance unterteilen. In der ersten Phase fragt der Customer eine Leistung nach - beispielsweise die Lieferung von PCs -, oder er bekommt sie vom Performer angeboten. Beide Parteien einigen sich in der Negotiation-Phase auf die Konditionen (etwa den PC-Typ oder die Preis- und Lieferbedingungen), ehe in der Performance-Phase die Leistung erbracht - der PC geliefert - wird. Schliesslich prueft der Kunde und teilt dem Lieferanten das Ergebnis mit (Acceptance).

Die Methode umfasst die Schritte Identifikation, Design und Dokumentation des Prozesses. Darueber hinaus beruecksichtigt sie die Entwicklung der Workflow-unterstuetzenden Anwendungen sowie eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse.

Zwischen Hauptleistungs-, Unterstuetzungs- und Management-Prozessen unterscheidet der Ansatz der Boston Consulting Group. Aus den Hauptleistungs- oder strategischen Prozessen laesst sich der unmittelbare Kundennutzen ableiten, waehrend die Unterstuetzungsprozesse lediglich die kontinuierliche Ausfuehrung der Hauptprozesse ermoeglichen. Die Management-Prozesse dienen allein der Fuehrung des Unternehmens.

Boston empfiehlt zunaechst die grobe Analyse der Maerkte (Kundenentdeckungsprozess), die dann in eine Definition von Zielen muendet. Auf Basis der Wettbewerbsanalyse wird festgelegt, welche Prozesse untersucht werden, wie radikal das Re-Engineering sein muss und ob isolierte Einzelprozesse oder verschiedene Parallelablaeufe zu untersuchen sind. Es folgt eine Beschreibung des Ist-Zustands und eine genauere Analyse von Kunden und Konkurrenten. Das eigentliche Re-Engineering beginnt dann mit dem Definieren von Messgroessen und detaillierten Zielen fuer einen Prozess.

Schliesslich wird ein Massnahmenkatalog erarbeitet, der einen Implementierungsplan enthaelt. Notwendige Veraenderungen in Organisationsstruktur, Stellenzahl pro Geschaeftseinheit, Qualifikationsanforderungen, Berichtswesen und Anreizsystemen werden abgeschaetzt. Letzter Schritt ist die Umsetzung der in den vorausgehenden Phasen beschlossenen Massnahmen.

Auf die radikale Ueberpruefung und Weiterentwicklung der wichtigsten Prozesse im Unternehmen konzentriert sich Davenport mit der "Process-Innovation"-Methode.

Dabei geht es zunaechst darum, die bedeutendsten Prozesse auszuwaehlen und voneinander abzugrenzen.

Anschliessend werden die sogenannten "Change Levers" gesucht, die geeigneten Hebel, um die Ablaeufe grundlegend neu zu gestalten. Hier kommen Informationstechnik und Teamorganisation ins Spiel.

Weitere Phasen sind das Ueberpruefen und Abstimmen der als geeignet identifizierten Hebel mit der Geschaeftsstrategie, die Identifikation von Schwachstellen und die ersten Empfehlungen fuer die Gestaltung (Attributes) von Prozessen sowie die Zieldefinition (Performance Objectives). Auf Basis einer groben Ist-Erhebung und einer Bewertung des Prozesses anhand von Gestaltungsmerkmalen und Zielen laesst sich schliesslich der Soll-Prozess entwerfen und seine Implementierung vorbereiten.

Zwischen operativen und Management-Prozessen differenziert die hierzulande haeufig angewandte Methode der "Geschaeftsprozessoptimierung" von der Diebold Deutschland GmbH. Die operativen Prozesse sind in Primaer-, Sekundaer- und Innovationsprozese unterteilt, waehrend im Management-Bereich das strategische vom operativen Management unterschieden wird.

Primaerprozesse stiften direkten Nutzen fuer externe Kunden (zum Beispiel Auftragsabwicklung oder Kundendienst). Die erforderlichen Ressourcen und Sachmittel zu ihrer Durchfuehrung werden durch die Sekundaerprozesse bereitgestellt. Das kann beispielsweise die Wartung von Produktionsanlagen oder die Akquisition neuer Mitarbeiter sein. Aufgabe der Innovationsprozesse ist es schliesslich, das Produktspektrum und die Organisation eines Unternehmens staendig an wechselnde Bedingungen wie veraenderte Kundenbeduerfnisse oder das Aufkommen neuer Technologien anzupassen.

Geschaeftsprozesse gehoeren im Diebold-Konzept jeweils zu genau einem Geschaeftsfeld, das wiederum ueber eine eigene Geschaeftsfeld- Strategie verfuegt. Den Prozessen werden quantifizierbare Ziele zugeordnet, beispielsweise die Verkuerzung von Reaktions- oder Durchlaufzeiten oder die Reduktion des Gemeinkostenanteils pro Auftrag. Die zu einem Geschaeftsprozess gehoerenden Teilprozesse lassen sich hierarchisch ueber mehrere Stufen bis zu einzelnen Verrichtungen zerlegen, die jeweils ihre Teilleistungen und -ziele haben.

Die Vorgehensweise im Diebold-Ansatz sieht zunaechst im Rahmen einer Voruntersuchung das Abgrenzen von Geschaeftsfeldern und - prozessen vor. Ziele werden festgelegt, und der grobe Entwurf einer Vision faellt ebenfalls in diese Phase. Anschliessend kommt es zur Situationsanalyse, in deren Rahmen eine quantitative und qualitative Leistungsuntersuchung durchgefuehrt wird. Die quantitative Analyse verschafft einen Ueberblick ueber die Teilleistungen der in den Geschaeftsprozess involvierten Organisationseinheiten. Eine Uebersicht ueber die den Prozess unterstuetzenden Fuehrungs- und Informationssysteme sowie ueber verfuegbare Sachmittel und die Strukturorganisation verschafft die qualitative Untersuchung.

In der anschliessenden Konzeptionsphase werden zunaechst Verbesserungsvorschlaege erarbeitet. Ausgehend von der nun konkretisierten Prozessvision laesst sich die Soll-Organisation der Geschaeftsabwicklung mit folgenden Bestandteilen entwerfen: Ablauf mit Teilprozessen und Aufgabentraegern, unterstuetzende Informationssysteme, Strukturorganisation, Mitarbeiter (Kapazitaet und Qualifikation), Sachmittel (inklusive technischer Einrichtungen und Fuehrungssystem des Prozesses (Planungsperioden und -objekte etc.).

In der abschliessenden Phase der Realisierungsplanung werden die zur Umsetzung der Soll-Organisation benoetigten Massnahmen festgelegt und in einen Migrationsplan ueberfuehrt.

Das Buch hat einen Umfang von 115 Seiten und kostet 68 Mark.

* Thomas Hess und Leo Brecht: State of the art des Business Process Redesign: Darstellung und Vergleich bestehender Methoden. Wiesbaden, Gabler 1995.