IT im Multisourcing-Zeitalter

Business-Anforderungen für die Sourcing-Strategie

17.12.2013
Von  und
Dörte Bräunche ist Selbständige Unternehmensberaterin.
Dr. Bernd Wolter, Managing Consultant Detecon International GmbH.
Das IT-Outsourcing hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. In unserer dreiteiligen Serie lesen Sie, wie eine Sourcing-Strategie entwickelt werden kann, wie sich die interne IT im Multisourcing-Zeitalter aufstellen sollte und wie Unternehmen nachhaltig positive Effekte erzielen können.

Eine Sourcing-Strategie, die festlegt inwieweit Services intern oder durch einen beziehungsweise mehrere Service-Provider erbracht werden, sollte – anders als in der Vergangenheit - nicht allein anhand von Kosten entschieden werden. Sinnvoller ist es, sie am Geschäftsnutzen und der Unternehmensstrategie auszurichten.

Für die Sourcing-Strategie sind die Business-Anforderungen ausschlaggebend.
Für die Sourcing-Strategie sind die Business-Anforderungen ausschlaggebend.
Foto: Imageteam, Fotolia.com

Bei der Betrachtung des Geschäftsnutzens spielen folgende Aspekte eine Rolle:

  • Geografische Ausrichtung der Geschäftstätigkeit: Ist das Unternehmen regional fokussiert oder richtet es seine Vertriebs- und Produktionsstandorten international aus? Im zweiten Fall sind lokale Besonderheiten, Sprache und Kultur wichtige Einflussfaktoren. Art der Geschäftsbeziehungen (B2B, B2C): In welcher Beziehung steht das Unternehmen zu seinen Kunden? Muss es Marktnähe zeigen und sich schnell und flexibel auf verändertes Kundenverhalten einstellen können, sollte das Know-how über geschäftskritische Business-Prozesse im Unternehmen verbleiben.

  • Branche: Auf welche vertikalen Märkte ist das Unternehmen ausgerichtet? Branchenspezifika können es erforderlich machen, dass bestimmtes Know-how nicht ausgelagert werden darf. Manche Auslagerungen verbieten sich zudem, weil erhöhter Schutzbedarf der zu verarbeitenden Daten besteht. Manchmal ist die interne Leistungserbringung bestimmter Services auch gesetzlich gefordert.

  • Unternehmens- und Wettbewerbsstrategie: Je mehr sich ein Unternehmen in eine Marktnische begibt, sich auf Kostenführerschaft ausrichtet oder seine Produkte ausdifferenziert, desto schwieriger wird die Sourcing-Entscheidung. Die Vorteile der Auslagerung ergeben sich meist aus hoher Standardisierung bei geringen Betriebskosten. Geht es dem Unternehmen um Spezialisierung und Innovation, ist es oft gut beraten, die Leistung weiter intern zu erbringen.

  • Zentral oder dezentral ausgerichtete Unternehmensorganisation: Wird das Unternehmen eher zentral geführt oder ist es dezentral auf die Besonderheiten der Länder mit jeweils starker lokaler Geschäftsführungs-Verantwortung ausgerichtet? Je dezentraler Entscheidungen fallen, desto sinnvoller dürfte die Inanspruchnahme vor Ort verfügbarer Serviceleistungen sein.

  • Geschäftsmodell: Welches Geschäftsmodell verfolgt das Unternehmen? Ist es wichtig, das Wissen um die Kerngeschäftsprozesse im Haus zu behalten? Je mehr fachspezifisches Know-how im Unternehmen verbleiben muss, desto ausgeprägter ist die Tendenz, auch das IT-Wissen im Hause zu belassen oder, sollte es ausgelagert worden sein, es wieder zurückzuholen.

Wer eine Sourcing-Strategie festlegen will, muss das eigene Unternehmen zuvor differenziert betrachten. Aus eigener Erfahrung ziehen wir die Erkenntnis, dass ein pauschales „Full-Service Outsourcing“, wie es noch vor zehn Jahren betrieben wurde, weder die IT-Kosten im prognostizierten Maße gesenkt, noch den erwarteten Geschäftsnutzen und die vom Business erhoffte Servicequalität erzielt hat. Die vom Markt und Vertrieb geforderte Agilität und Flexibilität wurde nur unzureichend unterstützt. Eine Folge war, dass die dezentralen Unternehmensbereiche nach passgenauen, individuellen IT-Lösungen strebten, die oftmals „außerhalb“ des Fullservice-Vertrags entstanden und sich im Lauf der Zeit als anerkannte regionale Standards etablierten. So entstanden nicht unerhebliche versteckte IT-Kosten.

Am Ende der strategischen Überlegungen sollte klar sein, ob ein einheitlicher Outsourcing-Ansatz für alle Unternehmensbereiche oder eine differenzierte Strategie, die passgenau auf die Ausrichtung der jeweiligen Unternehmensbereiche eingeht, sinnvoller ist. Letzteres würde auf eine Multisourcing-Strategie hinauslaufen. Sie muss beantworten, wie viel und welches IT- und Geschäftsprozess-Know-how idealerweise im eigenen Unternehmen verbleiben sollte.

Orientierung braucht ein klares Ziel

Art und Ziele des Sourcing-Vorhabens sowie die Erwartungen der betroffenen Unternehmensbereiche müssen vor dem Start der Sourcing-Umstellung (Transition) unmissverständlich abgestimmt und kommuniziert werden. Jeder Beteiligte muss Sinn und Auswirkungen des Projekts verstehen. Insbesondere bei einem erstmaligen Outsourcing spielen wegen der tiefgreifenden Veränderungen im gewohnten Miteinander von Business und interner IT die organisatorischen Abläufe eine besondere Rolle.

Die kommenden Veränderungen in den Serviceprozessen sollten schon vor der Transition erarbeitet werden. Neue Rollen und Verantwortlichkeiten einschließlich der Abläufe etwa im Fehlerfall oder bei funktionalen Erweiterungen von Anwendungen sind gemeinsam zwischen Business, der im Unternehmen verbleibenden IT (Retained IT) und den Service-Providern abzustimmen, zu schulen und zu erproben.

Ein Beispiel: In einem Praxisfall mussten Anwender auf den Komfort des ursprünglich gewohnten Tickethandling-Systems verzichten, weil eine Vereinheitlichung und Durchgängigkeit der Tickethandling-Systeme angestrebt wurde. Sie war auch die Voraussetzung für den SLA-basierten Regelbetrieb und die Umsetzung eines nachvollziehbaren ticketbasierten Preismodells. Der reduzierte Komfort wurde vom Business nur deshalb akzeptiert, weil hierdurch nachweislich die Kosten des Application Managements erheblich reduziert werden konnten.

Die Erwartungen und die Akzeptanz der Fachabteilungen verändern sich im Zeitverlauf einer Transition und dem anschließenden Regelbetrieb. Hier muss die interne IT aktiv steuern und begleiten. Kommt es zum Eskalationsfall, steigen die Widerstände im Business gegen das externe Sourcing bei unzureichender Einbindung und Kommunikation der Anwender exponentiell.