Bundestag erlaubt mehr Überwachung

15.11.2007
Gegen die Stimmen der Opposition und ungeachtet aller Proteste hat das Parlament dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sowie der Neufassung der Telefonüberwachung zugestimmt.

Mit seiner Zustimmung zu der Gesetzesvorlage zur "Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" hat der Bundestag den Weg zur so genannten Vorratsdatenspeicherung geebnet. Vereinfacht dargestellt sollen danach ab 1. Januar 2008 alle Verbindungsdaten der verschiedenen elektronischen Kommunikationsarten für sechs Monate gespeichert werden. Hatte sich der 15. Deutsche Bundestag im Jahr 2005 noch grundsätzlich gegen eine Speicherung der Verkehrsdaten ausgesprochen, so verfolgt der 16. Bundestag seit Februar 2006 eine andere Linie.

Das wird gespeichert

Als Verbindungsdaten im Sinne der Vorratsdatenspeicherung gelten bei Telefonaten über das Festnetz die Gesprächszeit, Namen und Telefonnummer des Anrufers sowie des Angerufenen und die Adressen der Anschlussinhaber. Wird das Telefonat per Handy geführt, sollen zusätzlich IMEI und IMSI (also die weltweit einmalige Nummer des Handys und der SIM-Karte) sowie der Standort des Benutzers anhand der Funkzelle erfasst werden. Bei der Kommunikation via Internet soll gespeichert werden, wer wann mit welcher IP-Adresse mit wem kommuniziert hat. Dies soll für alle Internet-Dienste erfolgen, egal ob Web-Seite, FTP-Datentransfer, Chat oder Internet-Telefonie. Während die Telekommunikationsdaten bereits ab Januar 2008 verpflichtend zu erfassen sind, gilt für die Internet-Provider eine Übergangsfrist bis 2009.

Brüssels Vorgabe

Mit der Zustimmung zu der Gesetzesvorlage setzt Deutschland die am 15. Dezember 2005 vom Europäischen Parlament und zuvor von EU-Kommission und -Rat beschlossene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) in nationales Recht um. Von der VDS erhofft sich die EU eine wirksamere Bekämpfung von Terrorismus und schweren Straftaten, kurz: eine erleichterte Strafverfolgung. Hierzu sollen TK-Unternehmen und Provider die Verkehrsdaten ihrer Kunden erfassen und für eine festgelegte Zeit speichern. Speicherdauer und Auswertungsverfahren sind dabei aber nicht EU-weit harmonisiert. Während Deutschland die Daten nur sechs Monate speichert, sind in Polen 15 Jahre im Gespräch. Eine Auswertung der Daten soll der EU-Richtlinie zufolge nur bei schweren Straftaten erfolgen.

Parallel zur VDS konkretisierte der Bundestag mit der Verabschiedung der Gesetzesnovelle die Vorgaben zur Telefonüberwachung. Künftig soll nur noch im Zusammenhang mit schweren Straftaten abgehört werden.

Hierzulande entzündete sich im Vorfeld der Bundestagsabstimmung eine heftige Diskussion darüber, ob mit der Vorratsdatenspeicherung nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr sei und ein Überwachungsstaat drohe, wie etwa der Arbeitskreis www.vorratsdatenspeicherung.de befürchtet. Dem hielt beispielsweise Justizministerin Brigitte Zypries entgegen, dass das neue Gesetz "nicht auf den Weg in den Überwachungsstaat" führe und man die EU-Vorgabe in "minimaler Weise" umgesetzt habe. Der SPD-Politiker Klaus Uwe Benneter betonte zudem, dass Ermittler nur bei "konkretem Tatverdacht" Zugriff auf die Daten hätten.

Die nationale Umsetzung

Genau dies bezweifeln aber die Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Sie kritisieren etwa, dass aus den "schweren Straftaten" der EU-Richtlinie im Paragraf 113b Absatz 1 des geänderten Telekommunikationsgesetzes einfache "Straftaten" wurden. Damit geht das Gesetz in den Augen des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar über die EU-Vorgaben hinaus. Die Daten könnten, so die Kritiker, bereits zur Verfolgung von einfachen Urheberrechtsverletzungen verwendet werden also etwa von der Musik- und Filmindustrie bei ihrer Jagd auf jugendliche Nutzer von Tauschbörsen.

Erschwerend kommt in den Augen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung hinzu, dass die gewonnenen Verbindungsdaten auch an andere Staaten wie etwa Aserbeidschan, Russland oder die USA weitergegeben werden können, nachdem die Bundesregierung im September 2007 der "Cybercrime-Konvention" beigetreten ist. Damit habe sich Deutschland verpflichtet, so der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, ausländischen Staaten die Kommunikationsdaten selbst zu präventiven Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht zu übermitteln. Und für diese Staaten gelte dann nicht die Speicherfrist von sechs Monaten. Dem Argument, wer nichts zu verbergen habe, habe auch von der Vorratsdatenspeicherung nichts zu befürchten, widersprechen die Gegner mit einem historischen Beispiel: Bei der Volkszählung 1930 wurde auch auf den ersten Blick unverfänglich - die Konfession der Bürger des Deutschen Reiches erfasst. Diese auf IBM-Lochkarten gespeicherten Daten hätten dann die Nazis ab 1938 bei der Judenverfolgung genutzt.

Die Kosten

Ferner bezweifeln die Kritiker grundsätzlich, ob die VDS ein adäquates Mittel zur Terrorbekämpfung ist. Sie argumentieren, dass Straftäter im Gegensatz zum normalen Bürger schnell alternative Kommunikationswege und methoden fänden, um ihre Absichten zu verschleiern. Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft (Eco), fragt beispielsweise, welchen Sinn die millionenfache Erfassung der Verbindungsdaten von Spam-Mails für die Strafverfolgung hat.

Zumal die Kosten für die VDS nach den Berechnungen des Eco alles andere als niedrig sind: Der Verband beziffert den Aufwand allein für die Internet-Wirtschaft auf 332,5 Millionen Euro für neue Hard- und Software. Hinzu kämen noch die laufenden Betriebskosten für die VDS. Da eine Entschädigung der Unternehmen nicht vorgesehen sei, müssen die Kosten laut Rotert "letztlich auf die Verbraucher abgewälzt werden". Diese Konsequenz hat die Bundesregierung bereits einkalkuliert, denn im Vorwort zu dem Gesetzesentwurf erwartet sie, "dass die betroffenen Unternehmen die zusätzlichen Kosten bei ihrer Preisgestaltung einkalkulieren und an die Kunden weitergeben werden". Dabei geht sie von einem Mehraufwand zwischen einigen tausend und mehreren hunderttausend Euro aus. Angesichts der neuen Überwachungs- und Speicherungsregeln fordern die Branchenverbände VATM und Bitkom Entschädigungsregelungen, die ihre Kosten für die Dienste als Hilfssheriffs wirklich decken. Ferner sprechen sich die beiden Verbände für längere Übergangsfristen aus.

Ansonsten scheinen sich die Branchenverbände mit dem Gesetz weitgehend abgefunden zu haben. Dagegen wollen der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund die Verfassungsmäßigkeit des neuen Gesetzes prüfen. Lückenloser Quellenschutz sei nicht mehr möglich, so der DJV. Und nach Ansicht der Krankenhäuser wird die ärztliche Schweigepflicht faktisch abgeschafft. Verfassungsbeschwerde haben bereits etliche Bürgerrechtler, darunter der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, sowie Oppositionspolitiker angekündigt. Die Chancen, dass ihre Beschwerde in Karlsruhe auf offene Ohren stößt, stehen nicht schlecht, denn erst kürzlich kritisierte der Verfassungsrichter Udo Di Fabio nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" den "präventionstechnischen Überbietungswettbewerb" der Politik. (hi)