IT-Verbände mahnen Verbesserungen an

Bundesregierung lobt sich für digitale Agenda

27.04.2017
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Während die Bundesminister das hohe Lied ihrer Erfolge mit der Digitalen Agenda singen, sehen IT- und Internetverbände durchaus Verbesserungspotenzial. Vertreter der IT-Wirtschaft ermahnen die Politik, dass wichtige Initiativen für den digitalen Wandel nicht Wahlkampfscharmützeln zum Opfer fallen dürfen.

Das Bundeskabinett hat den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vorgelegten Legislaturbericht "Digitale Agenda" beschlossen. Darin zieht die Bundesregierung eine positive Bilanz ihrer Digitalpolitik. Mit der Digitalen Agenda seien Meilensteine in der Digitalpolitik rund um die drei Kernziele Wachstum und Beschäftigung, Zugang und Teilhabe sowie Vertrauen und Sicherheit definiert worden.

Vertreter der Bundesregierung bezeichneten den digitalen Wandel als eine der zentralen Gestaltungsaufgaben für Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. Man begleite diesen Strukturwandel mit der Digitalen Agenda und setze so Rahmenbedingungen für das Leben, Lernen, Arbeiten und Wirtschaften in der digitalen Welt, um allen die Teilhabe am digitalen Wandel zu ermöglichen.

Leitanbieter für Industrie-4.0-Technik

"Wer die Digitalisierung nicht ernst nimmt, wird künftig nicht mehr am Markt sein", warnte Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries. Die SPD-Politikerin verwies in diesem Zusammenhang auf Informationsangebote für die Wirtschaft wie die bundesweit verteilten Kompetenzzentren für kleine und mittelständische Unternehmen sowie die Unterstützungsangebote mit "Mittelstand Digital". Deutschland sei zu einem Leitanbieter für Technologie im Bereich Industrie 4.0 geworden.

Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries von der SPD will mit der Digitalen Agenda die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft in Richtung Industrie 4.0 forcieren.
Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries von der SPD will mit der Digitalen Agenda die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft in Richtung Industrie 4.0 forcieren.

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière klopfte sich auf die Schulter: "Was die Bundesregierung in den vergangen vier Jahren im Rahmen der Digitalen Agenda erreicht hat, kann sich sehen lassen. Durch zahlreiche Maßnahmen und Initiativen habe man die Digitalisierung für Land und Menschen positiv vorangetrieben und gleichzeitig Risiken wirksam eingedämmt. Auch in der nächsten Legislaturperiode werde die Digitalisierung ein zentrales Thema bleiben, kündigte der CDU-Politiker an.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) betrachtet die Cyber-Sicherheit als wichtigstes Anliegen für sein Ressort.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) betrachtet die Cyber-Sicherheit als wichtigstes Anliegen für sein Ressort.
Foto: Peter Lorenz

Als Erfolg reklamierte de Maizière beispielsweise das 2015 in Kraft getretene IT-Sicherheitsgesetz. Damit seien Mindeststandards für die IT-Sicherheit bei Betreibern kritischer Infrastrukturen und eine Meldepflicht an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bei kritischen IT-Sicherheitsvorfällen eingeführt worden. Mit der Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland 2016 sei zusätzlich der ressortübergreifende strategische Rahmen für alle laufenden und künftigen Maßnahmen der Bundesregierung im Bereich Cyber-Sicherheit geschaffen worden.

Deutschland - das digitale Leistungszentrum in Europa?

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt von der CSU verwies auf das Bundesprogramm für den Glasfaserausbau, in dessen Rahmen unterversorgte Regionen ans Breitband-Internet angeschlossen werden sollen. "Deutschland hat heute den dynamischsten Breitbandausbau in ganz Europa", behauptete Dobrindt. Ziel sei es, bis 2023 gemeinsam mit der Wirtschaft 100 Milliarden Euro in den Ausbau der Gigabit-Netze zu investieren und damit neben dem Glasfaserausbau auch die Entwicklung und den Rollout des nächsten Mobilfunkstandards 5G zu finanzieren.

Alexander Dobrindt (CSU) verbucht den Breitbandausbau und die Initiative zum autonomen Fahren als seine Erfolge.
Alexander Dobrindt (CSU) verbucht den Breitbandausbau und die Initiative zum autonomen Fahren als seine Erfolge.
Foto: BMVI

Als weitere wichtige Initiative seines Ministeriums nannte der CSU-Mann das automatisierte und vernetzte Fahren. "Wir haben ein Forschungsprogramm für digitale Testfelder aufgelegt und auf der A 9 das Digitale Testfeld Autobahn errichtet - die weltweit erste intelligente und volldigitalisierte Straße." Dobrindt führte darüber hinaus Änderungen im Straßenverkehrsrecht an. Erstmals würden Mensch und Computer im Auto künftig gleichgestellt. Deutschland sei fit für die nächste Welle der Digitalisierung mit der Vernetzung aller Dinge, einem enormen Datenwachstum und neuen Schlüsseltechnologien, so Dobrindt. "Wir sind heute unbestritten das digitale Leistungszentrum in Europa."

Digitale Agenda hat Verbesserungspotenzial

Das sieht man an anderer Stelle durchaus etwas differenzierter. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder bezeichnete das erste digitale Regierungsprogramm für Deutschland zwar als "Erfolgsmodell", mahnte im gleichen Atemzug jedoch: "Die Digitale Agenda muss in der kommenden Legislaturperiode fortgeschrieben werden und noch ambitioniertere Ziele bekommen." Es gebe insgesamt noch Verbesserungspotenzial, etwa bei der Digitalisierung der Verwaltung, der Modernisierung des Bildungswesens oder der digitalen Transformation der Wirtschaft. "Hier müssen wir schneller und besser vorankommen."

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder fordert noch ambitioniertere Ziele für die nächste Legislaturperiode.
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder fordert noch ambitioniertere Ziele für die nächste Legislaturperiode.
Foto: Bitkom

Der Lobbyverband der hiesigen IT-Industrie sieht vor allem strukturelle Hemmnisse. "Die Digitale Agenda hat die Grenzen nationalen Regierungshandelns in einem europäisch eingebundenen und nach innen stark föderal geprägten Staat aufgezeigt", so das Fazit der Bitkom-Verantwortlichen. In zentralen Feldern der Digitalpolitik habe der Bund keine oder kaum Zuständigkeiten: Bildung, Medien, Verwaltung, innere Sicherheit. "Hier betreiben wir in Deutschland digitale Kirchturmpolitik und der Langsamste bestimmt das Tempo."

Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl forderte Rohleder deshalb: "Auf dem bislang Erreichten können wir uns nicht ausruhen." Die Wahlen dürften nicht zum Bremsklotz für die Digitale Transformation werden. "Wir brauchen eine neue Digitale Agenda - und müssen dabei Länder, Städte und Gemeinden mitnehmen. Die nächste Digitale Agenda muss ein Programm für ganz Deutschland entwerfen und die digitalen Flickenteppiche zusammenweben."

Mehr Sorgfalt statt Wahlkampfpolitik

Auch von Seiten des eco-Verband der Internetwirtschaft gab es mahnende Worte. Zwar habe die Bundesregierung mit der Digitalen Agenda internetpolitischen Fragestellungen erstmals besondere Priorität eingeräumt und in vielen Bereichen wichtige Weichen gestellt, sagte Oliver Süme, eco Vorstand Politik & Recht. Allerdings gebe es nach wie vor viel zu tun, wie zum Beispiel beim Breitbandausbau, im Bildungswesen und rund um das Thema digitales Arbeiten. "Hier muss die Bundesregierung jetzt den Endspurt antreten, wenn sie noch einige in der Digitalen Agenda formulierten Ziele erreichen will", lautete sein Resümee.

Außerdem zielt aus Sicht des eco-Verbands so mancher Vorstoß der Politik in eine falsche Richtung. Schnellschüsse, wie der aktuell kontrovers diskutierte Vorschlag für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz zur Bekämpfung von Hate Speech und Fake News seien eher kontraproduktiv und stellten viele in dieser Legislaturperiode erreichten Meilensteine und Erfolge in Frage. "Statt offensichtlicher Wahlkampfpolitik zu betreiben, solle die Bundesregierung lieber mehr Sorgfalt darauf verwenden, offene Aufgaben aus der Digitalen Agenda wie beispielsweise die Abschaffung der Störerhaftung für WLAN-Betreiber, endlich sauber gesetzlich zu regeln", forderte Süme. "Der aktuelle Gesetzentwurf sei mit der Etablierung von Netzsperren auf Zuruf eher ein Rückschritt in der inzwischen endlos dauernden Diskussion um dieses Thema."

Digitalministerium - ja, nein, vielleicht

Doch die Mahnung, den Wahlkampf herauszuhalten, scheint wenig Gehör zu finden. Noch während sich Zypries, de Maizière und Dobrindt die Erfolge der Digitalen Agenda auf die eigenen Fahnen schreiben, wird deutlich, wie uneinig die Ministerien über das weitere Vorgehen sind. CSU-Minister Dobrindt plädierte dafür, dass man sich mit dem Gedanken an ein Digitalministerium anfreunden müsste. Ein solches sollte dann federführend die Themen der Digitalen Agenda weiter vorantreiben. Seine Kollegin aus dem Wirtschaftsministerium widersprach indes: "Ich finde es falsch, ich würde das nicht machen", warf Zypries ein. Die Frage nach einem Digitalministerium würde sich indes sowieso erst in der nächsten Legislaturperiode nach der Wahl am 24. September stellen. Innenminister De Maizière mutmaßt derweil, "dass diese Entscheidung nicht alleine nach Sachfragen, sondern auch unter Hinzuziehung koalitionspolitischer Erwägungen entschieden würde".