IDC konstatiert späte Reaktion auf aktuelle Marktentwicklungen

Bundesdeutsche Softwarebranche hat den Trend zu PCs verschlafen

06.09.1991

FRANKFURT (qua) - Auf die Marktentwicklung zu Downsizing, Client-Server-Strukturen und offenen Systemen haben die deutschen Software-Anbieter - wenn überhaupt - erst mit Verspätung reagiert.

Dieses Fazit zog Manfred Frey, Geschäftsführer der IDC Deutschland GmbH, Kronberg, auf einem gemeinsam mit dem

Bundesverband Büro- und Informationssysteme e. V. (BVB) veranstalteten Kongreß.

Wer im Softwaremarkt langfristig Erfolg haben will, muß, so der deutsche IDC-Chef, drei Schlüsselfaktoren berücksichtigen: zum einen die globalen Markttrends, die sich aus den neuen Technologien und den geänderten Anforderungen der Anwender ergeben, zum anderen die geographischen Entwicklungen wie beispielsweise den europäischen Binnenmarkt, zum dritten die Entwicklung des eigenen Unternehmens hinsichtlich Kapitalbasis, Strategie und Innovationsfähigkeit. Die deutsche Softwarebranche schneide hier in jeder Beziehung schlecht ab.

Verschlafen haben die heimischen Software-Unternehmen vor allem den Trend zu kleinen Systemen. Nach Einschätzung der deutschen IDC haben die großen Anbieter wie Software AG und SAP den PC lange Zeit lediglich als Spielzeug betrachtet. Die US-amerikanischen Hersteller Microsoft, Lotus und Borland würden immer größer, während es nicht einen deutschen Anbieter nennenswerter Größe gebe. PC-Software-Schmieden wie die Lüneburger Star Division GmbH seien auf sich allein gestellt nur begrenzt wachstumsfähig gewesen und nicht ernst genommen worden.

Auch die Marktentwicklung in Richtung Client-Server-Technik ist an der Mehrzahl der deutschen Software-Anbieter offenbar spurlos vorüber gegangen. "Client-Server-Prinzip und offene Systeme verstehen die Anwender besser als die Anbieter", tadelt Frey.

Das diesbezügliche Engagement der Software AG stellt eine Ausnahme dar, kam allerdings reichlich spät.

Überhaupt haben sich weder die Software AG noch die SAP durch besondere Reaktionsschnelligkeit ausgezeichnet. "Warum hat es so lange gedauert, bis die SAP angefangen hat, in Unix zu denken, oder bis die Software AG ein bißchen auf Unix geschwenkt ist?", fragt sich der deutsche IDC-Geschäftsführer - nicht ohne zu betonen, daß sich das Thema offene Systeme keineswegs auf Unix begrenzen lasse.

Auch von den fieberhaften Vorbereitungen auf den europäischen Binnenmarkt, die in Frankreich und Großbritannien

zu beobachten sind, haben sich die Softwerker hierzulande kaum anstecken lassen. Mit Ausnahme der Software AG und der Daimler-Benz-Tochter Debis halten sich die Auslandsaktivitäten deutscher Software- und Service-Anbieter in Grenzen. Denjenigen, die den Zug nicht verpassen wollen, rät Frey dazu, mehrsprachiges Personal zu engagieren und internationale Kooperationen einzugehen.

Weniger die Anbieter als vielmehr die Kunden sind dafür verantwortlich, daß das Trendthema Facilities Management in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle spielt. Während die heimischen Märkte für Standardsoftware, Professional Services sowie Processing- und Netzwerkdienste im europäischen Vergleich jeweils den ersten Platz belegen, ist und bleibt, so die IDC-Prognose, die Nachfrage nach externen RZ-Leistungen in Deutschland signifikant niedriger als in Großbritannien, Frankreich oder Italien. "Hier scheut man sich, allzu viel extern machen zu lassen", erläutert Frey.

Neben ihrer nationalen oder sogar regionalen Orientierung und ihren mittelständischen Strukturen tragen die deutschen Softwarehäuser ein weiteres Handikap mit sich herum: Sie konzentrieren sich überwiegend auf das Projektgeschäft und bieten kaum Produkte an. "SAP ist der einzige große Anbieter von Produkten - wenn auch noch kein Weltanbieter", konstatiert Frey. Selbst die Software AG sei nur "in Teilbereichen" als Produktanbieter einzustufen.

Darüber hinaus leiden viele der 4000 bis 4500 deutschen Software-Anbieter an einer geringen Kapitalausstattung. Um diesen Notstand zu beseitigen, gibt es laut Frey vier verschiedene Möglichkeiten: die Börse, Beteiligungen durch Anwender beziehungsweise durch brancheninterne Unternehmen sowie "alternative" Finanzierungsformen mit Hilfe von Privatinvestoren, Venture-Capitalists oder Bankenbeteiligungen. Letztere hätten sich in Deutschland allerdings als schwierig erwiesen.

Auf der anderen Seite sei die Möglichkeit, an der Börse Geld zu beschaffen, ihrerseits mit immensen Kosten für die Umfirmierung des Unternehmens verbunden. Insofern bleibe sie Unternehmen mit mindestens 50 Millionen Mark jahresumsatz vorbehalten.

Von Beteiligungen durch Anwenderunternehmen hält der IDC-Geschäftsfüher "unheimlich wenig" - jedenfalls dann, wenn der Investor keinem sinnvollen Diversifikationspfad folgt. In der Regel zeichne beim Anwender der Finanzvorstand für die Datenverarbeitung verantwortlich, weshalb Beteiligungen anhand von Finanzkennzahlen und nicht aufgrund einer einer marktgerechten Strategie vorangetrieben würden. Im Falle einer brancheninternen Beteiligung seien hingegen, so Frey, "eher Strategien da".