Prozeß-Analyse vor Investitionsentscheidung

Bürofunktionen müssen in die DV-Landschaft integriert werden

14.02.1992

In zunehmendem Maße werden DV-Systeme heute auch für Aufgaben eingesetzt, die aus der täglichen Büroarbeit stammen und nun rechnerunterstützt abgewickelt werden. Funktionen wie Textverarbeitung, Wiedervorlage, Tabellenkalkulation, Kalender, Notizbuch, Grafik, elektronische Post und Ablage müssen daher in Form entsprechender Anwendungen zur Verfügung gestellt werden. Bürofunktionen lediglich als eigenständige Applikationen zu installieren, wird jedoch nach Auffassung von Dietrich Sacher* in Zukunft nicht mehr ausreichen.

Dedizierte Büro- oder DV-Lösungen, die wegen sogenannter "Medienbrüche" miteinander nur unter Schwierigkeiten kommunizieren können, haben auf Dauer kaum eine Existenzberechtigung. Deshalb ist heute zunehmend ein Trend zu Integrierten Informationsverarbeitungssystemen zu beobachten. Die Frage, wie das jeweilige Informationssystem an die zukünftigen Bedürfnisse angepaßt werden kann und soll, beschäftigt derzeit viele DV-Planer.

Die Einführung von Bürosystemen in Betrieben oder Verwaltungen kann relativ problemlos realisiert werden, wenn die Anwender schon genau wissen, welche rechnerunterstützten Bürofunktionen sie an welchen Arbeitsplätzen benötigen. Abgesehen davon, daß die Implementierung kundenspezifischer Bürosysteme eine komplexe Angelegenheit ist, haben viele Anwender jedoch nur ungenaue Vorstellungen, wie ihre zukünftigen Bürolösungen überhaupt aussehen sollen.

In diesen Fällen ist eine Büroprozeß-Analyse sinnvoll, die Aufschluß über den heutigen Ablauf der unterschiedlichen Büroprozesse im gesamten Unternehmen und in den einzelnen Abteilungen gibt. Daraus können Schlüsse gezogen werden, wie organisatorische Änderungen durchzufahren sowie Büroabläufe und Arbeitsplätze den zukünftigen Bedürfnissen anzupassen und durch den Einsatz verschiedener Geräte effizienter zu gestalten sind. Durch entsprechende Analysen kristallisiert sich darin in der Regel die Konfiguration heraus, die unter Einbeziehung von Großrechnern, Abteilungs- und Arbeitsplatzrechnern für die jeweilige Applikation eine optimale, systemübergreifende Gesamtlösung darstellt.

Systemübergreifende Bürolösungen bieten dem Anwender unter anderem folgende Vorteile (siehe Abbildung 1):

- effizientere Arbeitsabläufe im Büro,

- exakte Planungen und gezielte Problemlösungen,

- verbesserter Informationsfluß innerhalb und außerhalb des Unternehmens mit aktuellen Informationen,

- transparente Ergebnisdarstellungen,

- fundierte, sichere Entscheidungen.

- transparente Ergebnisdarstellungen,

- fundierte, sichere Entscheidungen.

Integrierte Gesamtlösungen dieser Art haben den Vorzug, daß einzeln vorliegende Daten - in unterschiedlichen Dateien von verschiedenen Programmen - schnell und unkompliziert in der benötigten Form, zum Beispiel als Mischdokument mit Text-, Daten- und Grafikkomponenten, zur Verfügung gestellt werden können.

Systemübergreifende Gesamtlösungen bei Informationsverarbeitungssystemen sollten darüber hinaus so ausgelegt sein, daß zentrale Großrechner und Abteilungsrechner nur Funktionen zur Verfügung stellen, die von allen Benutzern in Anspruch genommen werden und große Ressourcen benötigen. Arbeitsplatzsysteme hingegen sollten Applikationen bereitstellen, die vom einzelnen Benutzer individuell eingesetzt werden - im weitesten Sinne also "Bürowerkzeuge."

Die einzelnen Funktionen eines systemübergreifenden Bürokonzeptes können in folgende Bereiche eingeteilt werden (Abbildung 2):

- Bürowerkzeuge,

- Services und Clientfunktionen,

- Konverter,

- Gateways,

- Kommunikationsfunktionen.

Unter Bürowerkzeugen versteht man Funktionen, die originär auf de" Arbeitsplatzrechnern implementiert sind, um dem einzelnen Endbenutzer direkt, schnell und umfangreich eine individuelle Funktionsmenge zur Verfügung zu stellen. Bürowerkzeuge sind im einzelnen:

- Textbe- und -verarbeitung,

- Tabellenkalkulation,

- Grafikfunktionen,

- Kalender,

- Wiedervorlage,

- Adreßbuch,

- Notizbuch,

- lokale Ablage,

- lokales Retrievalsystem,

- lokale Datenbank etc.

Services dagegen sind auf dem Host- und den Abteilungsrechnern implementiert und versorgen alle Endbenutzer mit Funktionen wie Eletronic Mail, X500-Directory, Ablage-Service. Druck-Service und Datenbank-Zugriff. Im Arbeitsplatzsystem des Endanwenders muß dafür je Service nur eine Client-Funktion implementiert sein, damit er Zugriff auf die entsprechende Servicefunktion hat. Bei diesen Clients und Services handelt es sich zum Teil um Funktionen, die für eine weltweite Kommunikation benötigt werden. Um auch die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Rechnersystemen verschiedener Hersteller sicherzustellen, wurden und werden unter dem Begriff OSI solche Services international genormt. Es ist also aus Sicht der Anwender sinnvoll, solche Bürokonzepte auszuwählen, die diese internationalen Standards berücksichtigen.

Dabei wäre es ideal, wenn man sämtliche Funktionen und Dokumentformate sofort "native" nach internationalen Standards implementieren könnte - pragmatischer ist es jedoch, vorhandene Formate zu konvertieren oder Kommunikations-Protokolle über Gateways zu wandeln. Beispielsweise können der Inhalt eines Dokuments und das zugehörige Layout von einem herstellerspezifischen Format zu einem internationalen Format konvertiert werden. Das ist notwendig, um beispielsweise Dokumente mit einem anderen Textverarbeitungssystem darzustellen als mit dem Text-Editor, durch den diese Dokumente erzeugt wurden. Hier greift die ODA/ODIF-Norm, die eine eindeutige Beschreibung auch eines Mischdokuments bestehend aus Text, Tabellen und Grafik - ermöglicht.

Auch der elektronische Austausch von Geschäftsdokumenten (Bestellungen, Lieferscheine, Rechnungen etc.) wird durch eine weitere Norm erleichtert, nämlich Edifact. Der Sinn dieser Norm liegt darin, die unterschiedlichen kommerziellen DV-Verfahren in unterschiedlichen DV-Systemen logisch zu koppeln und den Austausch von Handelsdaten direkt von Computersystem zu Computersystem zu ermöglichen. Auch hier ist der Einsatz von Konvertern sinnvoll, um die Handelsdaten, die in den DV-Systemen in der jeweiligen kundenspezifischen Struktur vorliegen, auf das einheitliche Edifact-Format umzusetzen, das wieder von den Rechnersystemen vieler Handelspartner verstanden wird.

Lösungen auf LAN- oder WAN-Basis

Die physikalische Verbindung der einzelnen Arbeitsplätze und der eingesetzten Computersysteme kann in verschiedenen Netztopologien umgesetzt werden. Je nach Bedarf können Lösungen auf LAN- oder WAN-Basis erfolgen. LAN-Anschlüsse werden mit TCP/IP- und mit ISO-Transportprotokollen angeboten, WAN-Anschlüsse existieren für Standleitungen, Wählnetze, paketvermittelnde Netze sowie für das ISDN-Netz. Auch die Einbindung der Postdienste Teletex und Bildschirmtext zur Kommunikation einzelner Rechnersysteme untereinander ist möglich.

Die Kommunikation mit den einzelnen Applikationen der verbundenen DV-Systeme kann durch eine Emulation gängiger Geräte erleichtert werden. Zur Übertragung größerer Datenmengen zwischen Anwendungen sollten entsprechende File-Transfer-Funktionen zum Einsatz kommen, zur Übertragung zwischen den Rechnersystemen unterschiedlicher Hersteller der genormte File-Transfer FTAM.

Wie schon erwähnt, haben eigenständige Bürosysteme als Insellösungen zukünftig kaum noch eine Existenzberechtigung, da die Tendenz zu integrierten Gesamtlösungen, bestehend aus DV-, Büro- und Kommunikationsfunktionen, weiter anhält. Allerdings sind nicht nur zwischen diesen drei Bereichen verbindende Funktionen notwendig, sondern auch innerhalb der einzelnen Bereiche. Auch zwischen einzelnen Bürofunktionen werden Integrationsfunktionen benötigt, beispielsweise, um die Adresse für einen Brief automatisch aus einem Adreßverzeichnis in einen Serienbrief zu übernehmen.

Ein weiteres Integrationsbeispiel zeigt, daß man ohne großen Bedienungsaufwand ein Mischdokument erstellen kann, das Texte, Berechnungen und Grafikdarstellungen enthält. Natürlich sind solche Funktionen schon lange mit dedizierten Bürosystemen möglich - die Frage ist nur, wie hoch ist dafür der Bedienungsaufwand? Integrierte Bürosysteme besitzen Schnittstellen zwischen den einzelnen Programmen (sowohl den Werkzeugen als auch den Services), die die Verwendung solcher Integrationsfunktionen wesentlich vereinfachen.

Alle Dokumente in einer gemeinsamen Ablage

Eine weitere Eigenschaft, die integrierte Bürosysteme auszeichnet, ist die objektorientierte Bearbeitung sämtlicher Vorgänge. Objektorientierung bedeutet, daß nicht mehr das ausführende Programm im Mittelpunkt der Anwendung steht, sondern das zu bearbeitende Objekt: das Dokument, der Ordner, die Tabelle, die Grafik, etc. Erst wenn der Anwender ein bestimmtes Objekt ausgewählt hat, entscheidet er, welche Funktion an diesem Objekt ausgeübt werden soll - zum Beispiel: Versenden, Löschen, Kopieren, Bearbeiten, in den Papierkorb werfen, aus der Ablage holen etc.

Der Benutzer muß jetzt also nicht mehr vorher entscheiden, welche Art eines Dokuments oder Objekts er bearbeiten will, indem er zuerst das zur Bearbeitung benötigte Programm auswählt, sondern er ruft einfach das gewünschte Objekt auf. Objektorientierung bedeutet also für den Bediener, daß er an seinem Bürosystem die gleiche Bedienweise vorfindet, die er von der bisherigen papiergebundenen Büroarbeit gewohnt ist.

Die objektorientierte Arbeitsweise bietet darüber hinaus den Vorteil, daß in der Regel alle Dokumente in einer gemeinsamen Ablage gespeichert sind und der Zugriff nur über den Namen oder über Suchbegriffe des Dokuments erfolgt. Im Prinzip funktioniert das so, daß man ein bestimmtes Dokument beispielsweise aufgrund seines Namens in der Ablage findet und anschließend dieses Dokument durch irgendeine Funktion bearbeiten läßt. Der Aufruf der bearbeitenden Funktion kann dabei sogar automatisch erfolgen, wenn das Dokument vorher durch ein entsprechendes Attribut gekennzeichnet wurde, zum Beispiel als Text-, Tabellen- oder Grafik-Dokument.

Anhand dieser Beispiele ist zu sehen, daß integrierte Bürosysteme nicht durch ein bloßes Zusammenfügen verschiedener Büroprogramme realisiert werden können. Im Gegenteil: Die einzelnen Bürokomponenten müssen mit internen Schnittstellen versehen sein, um die Kriterien der integrierten Arbeitsweise realisieren zu können. Nur wenige Aufgaben im Büro können isoliert gesehen werden. Fast immer stehen sie im direkten Zusammenhang mit Aktivitäten desselben Bearbeiters oder anderer Bearbeiter man spricht deshalb ja auch von Vorgangsbearbeitung.

Einheitliche Bedieneroberfläche

In der Vergangenheit war es nicht mögliche Vorgänge ganzheitlich elektronisch zu bearbeiten, da nur für einzelne Arbeitsschritte eine DV-Unterstützung oder der Einsatz von isolierten Bürowerkzeugen möglich war. Vorgangsbearbeitung setzt unterschiedliche Werkzeuge und die Nutzung verschiedener Datenbasen voraus, um Vorgänge

unterschiedlichster Komplexität, planbarkeit und Bearbeitungsdauer zu unterstützen. Die Integration von Büroanwendungen untereinander und mit DV-Anwendungen bildet dabei die Basis, um Vorgänge durchgehend elektronisch bearbeiten zu können.

Ein in diesem Zusammenhang viel geäußerter Wunsch seitens der Anwender ist eine einheitliche Bedienoberfläche. Die Forderung ist verständlich, obwohl sie sich in manchen Fällen kaum realisieren läßt. Eine einheitliche Bedienoberfläche ist natürlich für die Büroprodukte einer einheitlichen Systemlinie, etwa Unix, sinnvoll. Nicht so einfach zu realisieren ist sie hingegen, wenn integrierte Gesamtlösungen beispielsweise aus Mainframe-, Unix-, MS-DOS- und OS/2-Systemen aufgebaut werden. Das trifft auch zu, wenn unterschiedliche Endgeräte wie "nichtintelligente Terminals" und PCs gemeinsam eingesetzt werden oder wenn bisherige Bürofunktionen weiterverwendet werden sollen. Hier müssen Kompromisse geschlossen werden, weil beispielsweise ein nichtintelligenter Terminal, der an einem Zentralrechner angeschlossen ist, kaum den Bedienkomfort eines PCs bieten kann.

Bedenklich ist auch, bisher gewohnte Büroprodukte - und damit auch ihre Bedienung in übergreifende Gesamtlösungen zu integrieren; besonders dann, wenn diese Produkte von verschiedenen Herstellern entwickelt wurden.

Spätestens hier stellt sich die Frage, ob heute zur Bewältigung zukünftiger Büroaufgaben der Aspekt einer integrierten Gesamtlösung ausschlaggebend ist oder der Wunsch nach einer einheitlichen oder gewohnten Bedienoberfläche. Auch Bedienoberflächen werden unter dem Aspekt eines "einheitlichen Look & Feel" standardisiert, wie beispielsweise OSF/MOTIF. Ergänzend dazu werden "Styleguides" zur richtigen Anwendungsentwicklung publiziert. Um als Anwender zukünftig weitere und komfortablere Bürofunktionen nutzen zu können, ist einerseits die Akzeptanz dieser Funktionen notwendig, andererseits aber auch die Bereitschaft, standardisierte Bedienoberflächen einsetzen zu wollen.

Unter dem Begriff OCIS (Office Communication & Information Systems) hat Siemens Nixdorf ein Gesamtkonzept für systemübergreifende Bürolösungen entwickelt. Produkte, die in diesem Konzept zusammengefaßt sind, gehören zu den geschilderten Kategorien, erfüllen die Kriterien integrierter Bürosysteme und basieren auf den OSI-Normen. Sofern für spezielle Kommunikationsbeziehungen noch keine genormten Protokolle vorliegen, werden De-facto-Standards oder private Protokolle eingesetzt um den Anwendern Oberhaupt die benötigte Funktion bieten zu können.

Sukzessive werden aber auch nach Verabschiedung einer gültigen Norm diese Protokolle durch internationale Protokolle ausgetauscht, ohne daß die Anwendungen davon betroffen werden, oder es werden Gateways und Konverter (Protokollwandler und Umsetzer) zur Verfügung gestellt.

Dadurch erhält der Anwender die Sicherheit, daß SNI-Büroprodukte schon heute untereinander über OSI-Protokolle kommunizieren können und daß über diesen Weg auch die weltweite, systemübergreifende Kommunikation mit den Büro- und DV-Systemen anderer Hersteller gesichert ist.

*Dipl.-Ing. (FH) Dietrich Sacher ist Mitarbeiter der Abteilung Marketing Bürolösungen bei der Siemens Nixdorf Informationssysteme AG, München.