Das Mißtrauen der Kunden sitzt tief

Büro: Dienstleistungsangebot läßt noch zu wünschen übrig

08.07.1988

MÜNCHEN - Anwenderbedürfnisse und Marktangebot klaffen immer noch weit auseinander. Was fehlt, sind weniger die richtigen Produkte als vielmehr "gescheite" Dienstleistungen. Aus der Sicht von Susanne Müller-Zantop*, spielen hier drei Gründe eine erhebliche Rolle: Führungskräfte wagen sich nicht so recht an neue Informations- und Kommunikationstechniken für das Büro heran, und Schulungsmaßnahmen greifen aufgrund von "DV-Hundejahren" schlecht.

"Wissen Sie, das ist ja alles schön und gut, was Sie mir da zeigen", sagte einer aus der Reihe der oberen Führungskräfte, "Nachrichten elektronisch verschicken, die Telefonliste, die Wiedervorlage, - aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß ich in Zukunft das alles benutzen werde? Wo ich noch nicht einmal das ,R' auf der Tastatur finde?"

Schnell ist der Bürokommunikations-Verfechter auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen. Dabei hatte er sich bereits so hoch geglaubt: Eine Konzernentscheidung für die Einführung der Bürokommunikation (BK) war bewirkt, für mehrere Millionen Mark Hardware und Software installiert worden. Man hatte eine Studie machen lassen, Informationsveranstaltungen für alle Mitarbeiter organisiert, Fragestunden eingerichtet, Fachkräfte in den Abteilungen besonders ausgebildet, den Managern einen Spezialkurs verpaßt und den oberen Führungskräften gar Einzeltrainings. Mehr als zweitausend Mitarbeiter wurden schrittweise an das Bürokommunikations-Netz angeschlossen, ein kaum vorstellbarer Aufwand an Installationen, Manpower und Mobiliar war getrieben worden.

Und jetzt das. Eine Ausnahme? Nein, Realität. Zu beobachten täglich. In den größten, imagestärksten und umsatzkräftigsten deutschen Unternehmen.

Überzeugungsschlacht zog sich in die Länge

In den "Top 100" deutschen Großunternehmen sind heute Systeme für die Bürokommunikation installiert. Im Verwaltungsbereich wird immer mehr BK-Planung in die Tat umgesetzt. Und die Welle dringt in die mittleren Unternehmen vor, wobei dort die großen Firmen mit bis zu 500 Mitarbeitern als Vorreiter gelten.

Ein Teil der Überzeugungsschlacht, welche die Hersteller dieser Systeme seit fast acht Jahren geführt haben, scheint vorüber. Im Laufe dieser Zeit haben die Hersteller von BK-Systemen (seien es die der integrierten Bürosysteme oder die PC-Hersteller) geschafft, ihrem Kundenkreis ein paar Dinge klarzumachen. Es gilt inzwischen als Tatsache, daß, wer Bürokommunikation nicht einsetzt,

- Wettbewerbsvorteile verspielt,

- das Produktivitätspotential seiner Mitarbeiter nicht ausnutzt,

- Marktanteile verlieren dürfte und

- an seiner eigenen Bürokratie ersticken wird.

Verwunderlich ist, wie lange diese Überzeugungsschlacht gedauert hat.

Das Mißtrauen, welches die Kunden dieser frohen Botschaft entgegengebracht haben, saß tief. Selbst jener, der installierte, war skeptisch, ob die Segnungen der neuen Technik sich nun von selbst über das Unternehmen ergießen würden. Die Schlacht steht unentschieden. Bis jetzt hat kaum ein Hersteller der Aufwand, den er in die Botschaft "Bürokommunikation" gesteckt hat, wieder herausgewirtschaftet. Und kaum ein Unternehmen hat den finanziellen Aufwand für das Bürosystem in konkreten Rationalisierungsgewinnen wiedergefunden.

Man kann in der DV-Hierarchie deutscher Großunternehmen nach Parallelen für eine ähnlich große Umstellung suchen, wie es die Einführung der integrierten Bürokommunikation bedeutet. Nimmt man zum Vergleich die Umstellung von Batch- auf Online-Betrieb Mitte bis Ende der siebziger Jahre, dann fällt auf, daß dieser Umbruch wesentlich anders vonstatten ging. Da gab es viel weniger Zweifel, viel mehr konkrete Projekte und viel mehr Verfahren mit klarer Zielsetzung, die nicht mit so vagen Begriffen wie dem des "nicht-qualifizierbaren Nutzens" umflort waren.

Aber die Bürokommunikation ist noch nicht am Ende. Integrierte Bürosysteme leisten schon eine ganze Menge. Sie unterstützen den Benutzer bei der Selbstorganisation, der Kommunikation innerhalb der Abteilung, innerhalb des gesamten Unternehmens und zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt (Behörden, Verbände, Lieferanten; siehe Abbildung).

Sind also die Hersteller schuld? Haben sie zuviel versprochen? Oder haben die Anwender Schuld, weil sie einfach nicht wollen? Oder sind die Berater schuld, weil sie die Wirtschaftlichkeit nicht entdecken konnten? Oder sind die Händler schuld, weil sie nichts von der Sache verstehen?

Gravierende Probleme bei den Anwendern

Die Probleme, welche die Anwenderunternehmen trotz des hohen Einsatzes heute haben, sind ernst zu nehmen. Die wesentlichen Fragen lauten:

- Wie erzielt man die unerläßliche praktische Akzeptanz durch das Management?

Trotz löblicher Ausnahmen stellt es sich als sehr schwierig heraus Führungskräfte, leitende Angestellte oder gar das Top-Management eines Konzerns an den Bildschirm zu bekommen. Daß dies zur Durchsetzung der neuen Bürotechnik unumgänglich ist, steht dabei nicht in Zweifel. Psychologische, zeitliche oder politische Probleme sind aber nicht in einem halben Jahr vom Tisch gewischt. Neue Trainingsformen wie das "One-on-One-Training" werden viel zu selten angeboten.

- Wie löst man das Mengenproblem Ausbildung, wenn jedes halbe Jahr ein neues Release kommt?

Die Teilnehmer eines Pilotprojektes kennt der Projektleiter noch persönlich. Die ersten Kurse für das Zweitausend-Mann-Projekt hat er noch selbst organisiert. Und dann? Was, wenn das nächste Release nichts mehr mit dem alten Stand zu tun hat? Kann man kostengünstig und schnell zweitausend Mitarbeiter umschulen? Wer soll das tun? Wo allein soll das Trainings-Equipment herkommen? Ganz abgesehen davon, daß das Update eines PC-Programmes auch an all diesen Stellen installiert sein will.

- Wie kann man verhindern, daß mit neuer Technik alte Arbeit getan wird?

Der Datenbankkurs wurde absolviert, und der Mitarbeiter beginnt die erste Kartei auf den PC zu übernehmen. Erfaßt werden die alten Karteien, eine nach der anderen. Kein Gedanke an Verknüpfung, keine Ahnung, daß gleichlautende Feldinhalte gleiche Feldnamen tragen sollten. Sinnlose Einträge auf der Karteikarte werden zu sinnlosen Feldern in der Datenbank. Keine Spur von Aufgabenkritik Die neuen Möglichkeiten des PC werden nicht genutzt. Es fehlt jemand, der solch gutgemeinten Fehler verhindert, der zusammen mit den Mitarbeitern neue Verfahren identifiziert und einsetzt.

- Wo bleibt die versprochene Wirtschaftlichkeit?

Keine Mark wurde ohne den Nachweis der Wirtschaftlichkeit für das Büro-Projekt freigegeben. Ein Jahr ist vorüber, und der Projektleiter muß Bilanz ziehen. Mehr Wirtschaftlichkeit bei der Verwaltungsarbeit ist nicht zu erkennen. Es sei denn, man hat ganz brutal PCs gegen Köpfe verrechnet. Aber auch dann ist fraglich, ob die Abteilung ein gleich gutes beziehungsweise besseres Ergebnis gebracht hat. Es fehlt eine genaue Vorstellung, wann und wie die Wirtschaftlichkeit eintritt.

- Wer sagt, wo die neuen Möglichkeiten jenseits der Rationalisierung liegen?

Mehr Schlagfähigkeit im Wettbewerb ist schön und gut. Aber wo ist sie? Wo ist der Fachmann, der neue Verfahren identifiziert, welche erst durch Bürocomputereinsatz möglich werden und dazu beitragen, die Wettbewerbskraft zu steigern? Es ist leicht, darüber zu reden und so schwer, hinzugehen und fündig zu werden.

- Warum sind die Systeme immer noch so kompliziert?

An sich sollte für ein Bürosystem keine Schulung notwendig sein, die Menüstrukturen und Tastenbelegung erklärt. Leider müssen sich die Anwender aber immer noch mit Anachronismen und komplizierten Menüstrukturen abfinden, die es schwer machen, auf das Argument: "Aber von Hand geht das doch wirklich schneller!" eine Antwort zu finden. Wie erklärt man auch, daß das Löschen einmal mit F9 und einmal mit F8 passiert? Oder daß die im Menü geforderte Taste F16 gar nicht vorhanden und daher Ctrl-Alt-F6 herhalten muß.

Eines ist klar: Lassen sich diese Probleme nicht lösen, wird sich die Bürokommunikation nicht weiter durchsetzen. Wir sind an einem Wendepunkt angelangt. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht plötzlich nicht mehr das technisch Machbare, sondern das tatsächlich Realisierte.

Das Problem, das es dringend zu bewältigen gilt, besteht im praktischorganisatorischen Umfeld der eingesetzten Systeme. Und das scheint zunächst dem Käufer des Bürosystems zur Lösung vorzuliegen. Ist damit der Hersteller aus dem Schneider? Hat der Branchenvertreter recht, der anläßlich einer Diskussion zum Thema sinngemäß sagte: "Wir wollen hier nicht problematisieren, wir wollen verkaufen!" Ist der Kunde selbst schuld?

Auch wenn es zu beklagen ist, daß der durchschnittliche Anwender die komplexen Bürosystem-Funktionen wie seinen Taschenrechner benutzt (mal eben die vier Grundrechenarten): Nicht immer ist der Anwender der Sündenbock. Wären die Bürosystem-Funktionen tatsächlich praktischer als seine bisherige Methode, wären sie schneller, genauer und zuverlässiger: Nichts wurde ihrer Verbreitung im Wege stehen. Da gibt es also noch ganz schön zu tun für die Software-Designer. SAA ist auch nicht das Allheilmittel schlechthin.

Berater sind meistens selbst keine Anwender

Auch der Berater bleibt die Antwort auf oben gestellte Fragen schuldig. Wer zählt die Studien zusammen, die gemacht worden sind, um den Einsatz der Bürokommunikation zu rechtfertigen? Wahrscheinlich liegt die Gesamtsumme aller "Nutzenpotentiale" in der Höhe des Bruttosozialproduktes. Berater sind in den seltensten Fällen selbst Anwender von Bürosystemen. Das heißt, sie kennen das Metier Bürokommunikation nur vom Papier. Wer kann schon bedienen, wovon er spricht? Wir brauchen mehr Berater, die ganz praktisch losgehen und nach konkreten Anwendungen suchen, zusammen mit den Mitarbeitern. Eine bescheidene Tätigkeit, die jedoch einige Perlen (Anwendungen) hervorbringt, welche plötzlich einen quantifizierbaren Nutzen zeigen. Und was für einen! (Aber welcher Berater wühlt schon gerne im Dreck des Alltäglichen?)

Der Kunde erwartet die Lösung vom Hersteller: "Die haben mir das alles schließlich versprochen!" Der Hersteller erwartet die Lösung vom Kunden: "Die Produkte sind Mittel zum Zweck, und den können wir nicht auch noch liefern."

Eine Patt-Situation? Aber das muß doch nicht sein. Erinnern wir uns an das Dilemma der Hersteller, die stöhnen, daß der Hardware-Verkauf auch nicht mehr reich macht, und daß im Dienstleistungsgeschäft die Zukunft liegt. Wäre das nicht ein ideales Betätigungsfeld für Alt-VBs, die mit Geduld und Spucke dem Anwender über die Schulter gucken? Neu ist die Idee ja nicht. Man denke an IBMs SolutionPac, wo die Produkte für die Bürokommunikation zusammen mit dem Installations- und Schulungsservice geliefert werden. Auch DEC kommt einem in den Sinn, wo man das All-in-1 vor den Beratern hütet wie seinen Augapfel.

Wo ist also das Problem? Es scheint, daß die Hersteller Angst haben vor der neuen Kundennähe, die sie selbst propagieren. Zu wenig Freiwillige, die in die Höhle des Löwen hineinwollen. Auf längere Sicht ist das verhängnisvoll. Denn auch der oben zitierte Vertriebsleiter, der verkaufen statt problematisieren will, wird erkennen müssen, daß die tätige Bereitschaft, des Kunden Probleme zu lösen, seinen Verkaufserfolg bestimmen wird.