Bürgel ersetzt Host durch Linux-Cluster

20.04.2006
Aus Kostengründen stellte die Hamburger Wirtschaftsauskunftei ihre Mainframe-Anwendungen um.
Im Linux-Cluster der Firma Bürgel sichern sich zwei Datenbank-Server gegenseitig ab.
Im Linux-Cluster der Firma Bürgel sichern sich zwei Datenbank-Server gegenseitig ab.

Als klassischer Großrechnernutzer stand Bürgel im Jahr 2003 vor einem Problem: Mit der Expansion des Geschäfts stiegen auch die Anforderungen an die IT. Dass die Kernanwendungen auf dem IBM-Host "Z800" an Kapazitätsgrenzen stoßen würden, war abzusehen, berichtet IT-Chef Achim Siebertz. Probleme bereitete auch die nötige Verfügbarkeit der Anwendungen, die angesichts der internationalen Klientel rund um die Uhr gesichert sein musste. Um schneller auf neue Kundenanforderungen reagieren zu können, verlangte das Management zudem mehr Flexibilität in der IT.

Projektsteckbrief

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Die Wirtschaftsauskunftei Bürgel, eine Tochtergesellschaft von Euler Hermes (Allianz Gruppe) und EOS (Otto Gruppe), offeriert Dienstleistungen für das Kredit-, Forderungs- und Direkt-Marketing-Management. Eine zentrale Datenbank in Hamburg liefert Wirtschaftsinformationen über rund 3,6 Millionen Unternehmen und 37 Millionen Privatpersonen in Deutschland. Kunden greifen per Internet auf die Informationen zu. Eine leistungsstarke Datenbankanwendung mit kurzen Antwortzeiten und Echtzeitaktualisierungen ist für die Hanseaten deshalb geschäftskritisch.

Alternativen zum Mainframe

Lange Zeit nutzte Bürgel dafür ein Host-System mit Web-Gateway, dabei bildete eine DB2-Datenbank von IBM die Kernanwendung. Die Fortsetzung des Großrechnerbetriebs wäre aber nur mit einer teuren Aufrüstung der Hardware auf ein größeres System möglich gewesen, erinnert sich Siebertz. Weil die Mainframe-Softwareanbieter ihre Preise zumeist an der installierten Rechenleistung ausrichten, hätte Bürgel außerdem erheblich höhere Lizenzkosten verkraften müssen. Zudem war der Mainframe nicht redundant ausgelegt, eine ausreichend hohe Verfügbarkeit deshalb nach Meinung der Verantwortlichen nicht gesichert. Darüber hinaus wurde es immer schwieriger, Mainframe-Experten zu finden. Auch die Abhängigkeit von einem Dienstleister, der den Host in seinem Rechenzentrum betrieb, wäre Bürgel mit dem Mainframe erhalten geblieben.

Als Alternativen prüfte das IT-Team einerseits IBMs "i-Series" (vormals AS/400) und andererseits ein Storage Area Network (SAN) auf Basis von geclusterten Intel-Servern unter Linux. Für die i-Series mangelte es an einschlägigen Kenntnissen; mit einem Adress-Suchsystem auf Basis eines Linux-SAN hatte Bürgel dagegen bereits gute Erfahrungen gemacht. Die Entscheidung fiel schließlich zugunsten des Linux-Clusters. Dabei fungieren zwei Itanium-basierende Rechner als Datenbank-Server (siehe Grafik). Als Betriebssystem nutzt Bürgel den "Suse Linux-Enterprise Server" (SLES) in den Versionen 8 und 9.

Im September 2003 begann das Linux-Migrationsprojekt mit der Vorgabe, die Umstellung bis zum Jahresende 2005 abzuschließen. Siebertz: "Um das Projekt zu stemmen, haben wir von Anfang an Externe ins Projektteam geholt." Die Unternehmensberatungen Itgain und Cimt waren in Spitzenzeiten mit zwölf Mitarbeitern tätig. Mit ihrer Hilfe erstellte Bürgel Vorstudien und Analysen, um die Risiken des Umstellungsprozesses zu minimieren.

Software-Tools

Als Hürde erwies sich der Mangel an verfügbaren Programmhilfen für die Migration. "Wir haben viele Tools dann selbst entwickelt", berichtet Siebertz. Auf diese Weise konnten etliche Programme und mehrere tausend Batch-Jobs übernommen werden, ohne diese manuell zu ändern. So gab es etwa kein Transaktionssystem, dass die IBM-Datenbanktechnik IMS so abbildete, wie sie benötigt wurde. Der Dienstleister Itgain entwickelte deshalb mit dem Transaktionsmonitor "TRX-Engine" ein eigenes Tool. Batch-Jobs werden in der neuen Installation mit Hilfe des JCL-Interpreters "J2U" ohne Änderungen der Job Control Language (JCL) unter Linux ausgeführt. Mit Hilfe der Open-Source-Systeme "Eclipse" und "Subversion" baute Bürgel die Entwicklungsumgebung neu.

Schrittweise Migration

Zunächst portierte das Projektteam alle Anwendungen. Die Umstellung der Mainframe-Datenbank sollte der letzte Schritt sein. Alte und bereits migrierte Applikationen griffen in dieser drei Monate dauernden Phase parallel auf den gleichen Datenbestand zu. "Wir haben die Umstellung als Chance genutzt, um viele Applikationen zu verbessern", so Siebertz. Darüber hinaus wurden neue Web-Services in Java aufgesetzt.

Kundenanwendungen liefen bisher unter dem Transaktionsmonitor IMS DC. Mit der Umstellung wurden diese Prozesse zergliedert und modularer aufgebaut. Wurden vorher alle Prozesse auf der Mainframe-CPU abgearbeitet, sind die Anwendungen nun auf mehrere Rechner ausgelagert und damit auch die CPU-Belastungen verteilt.

Die letzten drei Monate waren für die "heiße Umstellung" reserviert. Bereits seit Februar 2005 hatte Bürgel auf Weiterentwicklungen der Business-Anwendungen verzichtet. Den letzten entscheidenden Schritt mit Portierung der Datenbank unternahm das Team in einer Wochenendaktion im September 2005. Dieser Teil war am intensivsten vorbereitet und deshalb fast schon Routine, so Siebertz.

Kosten- und Nutzenbetrachtung

Aus Sicht des IT-Managers hat sich die Linux-Migration sowohl in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht gelohnt: Eines der Hauptziele sei es gewesen, die Grund- und Betriebskosten zu senken. Die Aufwendungen für Hardware und Software habe man deutlich verringert. Insbesondere die hohen Gebühren für Mainframe-Softwarelizenzen seien durch den Einsatz von Open-Source-Software gesunken. Den Ersparnissen stehen indes auch Mehrkosten für zusätzliches IT-Personal gegenüber, räumt er ein. Denn Bürgel betreibt das komplette System jetzt in Eigenregie. Im Vergleich zum alten Host ist die Installation komplexer und damit aufwändiger zu warten.

Neben den niedrigeren Kosten brachte das Projekt laut Siebertz weitere Vorteile: Im Vergleich zur Mainframe-Installation sei das SAN auf dem Linux-Cluster zweimal so leistungsstark. Antwortzeiten und die Laufzeiten der Batch-Programme hätten sich aus Sicht der Anwender spürbar verbessert.

Flexibilität und Skalierbarkeit

Zudem sei die neue Umgebung auch technisch flexibler. Die 3270-Dialoganwendung mit Remote-Verbindung zu anderen Rechenzentren ersetzte das IT-Team beispielsweise durch Web-basierende Java-Anwendungen.

Last, but not least führt Siebertz die Skalierbarkeit der Cluster-Architekur an. Im Gegensatz zum Mainframe-Ansatz entständen dabei keine sprunghaft steigenden Softwarekosten. (wh)