Break even für das vierte Quartal 2001 angekündigt

Brokat: Mit M-Commerce soll die Post abgehen

02.03.2001
STUTTGART - Mit einem Rekordverlust endete für die Brokat Infosystems AG das Geschäftsjahr 2000. Der Stuttgarter E-Finance-Spezialist will jetzt in 2001 den Umsatz vorwiegend durch organisches Wachstum verdoppeln und bereits ein Drittel der Einnahmen im Bereich M-Commerce erzielen - eine sehr optimistische Prognose. Von Andrea Goder*

Das New-Economy-Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2000 Umsätze in Höhe von 119,6 Millionen Euro, nachdem im Vorjahr 48,1 Millionen Euro eingenommen wurden. Leicht gesteigert werden konnte dabei der Anteil der Lizenzumsätze von 39 auf 44,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum erreichte der Nettoverlust jedoch die neue Rekordmarke von 125,9 Millionen Euro. Darin enthalten sind 6,8 Millionen Euro an Aufwendungen für Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sowie 49 Millionen Euro für Abschreibungen aus Firmenzukäufen.

Das starke externe Wachstum des Unternehmens spiegelt sich vor allem im vierten Quartal wider, in dem Brokat 48,7 Millionen Euro Umsatz erzielte. Davon stammen 22,3 Millionen Dollar aus den beiden im letzten Jahr übernommenen US-Firmen Blaze Software und Gemstone Systems (vergleichbarer Vorjahreswert: 14,3 Millionen Euro). Nach bereits unerwartet hohen Investitionen im dritten Quartal ist jetzt mit einem Fehlbetrag von 57,8 Millionen Euro im vierten Quartal 2000 erneut ein dickes Minus in der Bilanz. Dieser Wert entspricht knapp der Hälfte des gesamten Jahresverlustes und lag deutlich über den Analysten-Schätzungen.

"Wir haben unsere Chance genutzt und Akquisitionen getätigt, als die Aktie noch hoch bewertet war", verteidigte Vorstandssprecher Stefan Röver auf der Bilanzpressekonferenz in Stuttgart den teuren Expansionskurs. Rund 700 Millionen Euro ließen sich die Schwaben die beiden US-Merger kosten. Damit konnte der Umsatz im US-Markt, wo die Stuttgarter heute 660 von insgesamt 1400 Mitarbeitern beschäftigen, auf 22 Prozent der Gesamteinnahmen hochgefahren werden. Von einem nennenswerten organischen Wachstum in den Staaten kann jedoch bis heute nicht die Rede sein. "Eine erfolgreiche Positionierung im US-Markt war nur über Akquisitionen möglich", gibt auch CEO Röver zu. Obwohl beide Merger formal abgeschlossen sind, steht die Hauptaufgabe der Positionierung im Markt noch bevor. Blaze und Gemstone schrieben bis zuletzt rote Zahlen und werden laut Finanzchef Michael Janßen erst 2002 die Gewinnschwelle erreichen.

Neben dem US-Markteintritt stand bei Brokat im letzten Geschäftsjahr die Neuausrichtung auf den Bereich M-Commerce im Fokus der Geschäftsaktivitäten. "Wir sind 2000 ein Global Player im M-Commerce-Markt geworden", behauptet Röver. Diese Aussage kann jedoch allenfalls mit Einschränkungen gelten. Zwar gelang es den Schwaben im dritten Quartal, einzelne Aufträge an Land zu ziehen, etwa von T-Mobile. Auch die dreiprozentige Beteiligung an Brokat durch die Siemens AG, die den Stuttgartern im Gegenzug rund 70 Millionen Euro in die Kassen spülte, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Gemeinsam mit dem Münchner Elektronikriesen sollen in Zukunft E-Payment-Applikationen entwickelt und vermarktet werden. Im vierten Quartal waren die Einnahmen in der M-Commerce-Sparte allerdings wieder rückläufig, so dass insgesamt weniger als zehn Prozent der Umsätze im neuen Geschäftsfeld umgesetzt wurden.

Dass die schwäbischen Softwerker im laufenden Geschäftsjahr bereits 80 Millionen Euro oder ein Drittel der Einnahmen im M-Commerce-Bereich erzielen wollen, mutet daher sehr ambitioniert an. Ehrgeizig vor allem deshalb, weil man im Bereich WAP bis heute nicht unbedingt von einem Massenmarkt sprechen kann und auch für den neuen GRPS-Standard keine Killerapplikationen erwartet werden. Aufgrund fehlender Infrastruktur und Endgeräte ist auch der UMTS-Markt vorerst noch Zukunftsmusik. Davon abgesehen konnten sich die Stuttgarter aber vor kurzem ein Patent für mobile digitale Signaturen sichern - mithin die wichtigste Grundlage für elektronische Geschäfte via Internet oder Mobilfunk.

Analog zu den - noch weitgehend optimistischen - Analysten-Schätzungen peilen die Schwaben 2001 eine Umsatzverdoppelung auf rund 240 Millionen Euro an, vorwiegend aus organischem Wachstum. Dennoch darf man gespannt sein, ob sich die Brokat-Vorstände mit dieser Aussage nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt haben, zumal größere Akquisitionen laut Röver im laufenden Geschäftsjahr kein Thema sind. Übernahmen dürften jedenfalls schon mit Blick auf die Finanzierung schwierig sein. Zum einen fällt der niedrige Aktienkurs vorerst als Akquisitionswährung aus. Gleichzeitig sind den Schwaben auch mit einem Cash-Bestand von nur 135 Millionen Euro für große Deals die Hände gebunden.

Immer mehr zeigt sich, dass die Expansion für die Company, die in Zukunft unter Brokat Technologies firmieren wird, zur Kostenfalle geworden ist. Erstmals war in Stuttgart auch von einer Restrukturierung und Straffung der Organisiation die Rede. Bereits vor Wochen sind zudem mit Achim Schlumpberger und Boris Anderer zwei Vorstände des ehemals sechsköpfigen Gründerteams aus dem operativen Geschäft ausgeschieden - was Rückschlüsse auf gewisse "Zielkonflikte" im Management zulässt. Trotz der geplanten Umsatzzuwächse um 100 Prozent soll sich jedenfalls das Mitarbeiterwachstum in den kommenden Monaten deutlich verlangsamen. Für das vierte Quartal 2001 kündigte Firmenchef Röver den Break even an.

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München

Abb: Brokat-Umsätze

Wachstum: Auch ohne Zukäufe konnte Brokat kräftig zulegen. Quelle: Brokat Infosystems AG