Fenasoft '98: Der Welt besucherreichste DV-Messe

Brasiliens Softwerker leiden unter Handelshemmnissen

21.08.1998

Die Fenasoft findet im Ahembi, dem Messegelände von Sao Paulo, statt. Die Ausstellungshalle ist die größte Aluminiumkonstruktion der Welt. Organisiert ist die Messe nach dem Vorbild amerikanischer Trade Shows wie der Comdex. Es gibt ein begleitendes Kongreßprogramm sowie eine Keynote-Rede zur Eröffnung. In diesem Jahr sprach Gordon Eubanks, CEO von Symantec, über die Notwendigkeit des Datenschutzes. In früheren Jahren trat auch Microsoft-Chef Bill Gates als Keynote-Sprecher auf.

In diesem Jahr hat Microsoft die Fenasoft zum weltweiten Launch der unter Windows laufendenden Multimedia-Enzyklopädie "Encarta 99" genutzt, die nicht nur ins Brasilianisch-Portugiesische übersetzt, sondern auch um etwa 2000 Artikel über Brasilien erweitert wurde. Auch andere Softwarehäuser wie Corel und Symantec waren mit großen Ständen vertreten und präsentierten lokalisierte Produkte. Symantec hat einige Produkte in die lateinamerikanische Sprache übersetzt, da dort der größere Markt liegt, und vertreibt diese Versionen auch in Portugal. Wegen der Sprachunterschiede ist diese Praxis jedoch in Portugal nicht unbedingt beliebt.

Im Kongreßprogramm, das in Kooperation mit dem Internet-Magazin "Wired" organisiert wurde, standen die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft im Vordergrund.

Es gibt mehrere Messen, die von sich behaupten, die größte der Welt zu sein. Hinsichtlich der Anzahl der Aussteller steht die Fensaoft sicher hinter der Comdex zurück, von der CeBIT ganz zu schweigen. Doch hinsichtlich der Besucherzahl werden alle Rekorde geschlagen. Rund eine Million Gäste wurden jedes Jahr gezählt.

Diese hohe Zahl wird zum einen durch die Öffnungszeiten von 10 Uhr morgens bis 10 Uhr nachts möglich, zum anderen durch die Tatsache, daß die Fenasoft teilweise eine Verkaufsshow ist. Stephen Banker, internationaler Pressesprecher, erklärt dazu: "Wir haben den Anteil von Verkaufsständen in diesem Jahr bereits drastisch reduziert. Das Ziel ist es, Fenasoft zu einer reinen Ausstellung zu entwickeln. Die Verbesserung der Handelsstrukturen macht Verkaufsveranstaltungen auf der Messe mittelfristig überflüssig. In den vergangenen Jahren war die Messe jedoch für Brasilianer oft die einzige Möglichkeit, sich überhaupt mit Informationstechnologie einzudecken."

Besonders die Software-Industrie, die einen hohen Anteil von lokalen Produkten aufweisen kann, stellt sich auf die anstehenden Veränderungen ein, indem sie ihre Erzeugnisse auf ein international konkurrenzfähiges Niveau bringt und gleichzeitig Allianzen mit Partnern aus den USA und Europa eingeht. In solchen Kooperationen ist es oft der ausländische Partner, der den Marktzugang sucht, während das einheimische Unternehmen nach dem Prinzip handelt: Wenn man den Feind nicht besiegen kann, verbünde man sich mit ihm.

Die Hersteller von betriebswirtschaftlicher Software genießen einen Heimvorteil, da Brasiliens Gesetze sowohl für die Besteuerung als auch im Personalwesen und im Außenhandel als ausgesprochen komplex gelten. So hat ein Unternehmen allein mit 52 verschiedenen Steuern zu kämpfen. Globale Systeme für Enterprise Resource Planning (ERP) kommen damit meist nicht ohne aufwendige Anpassungen zurecht. Doch zum einen sollen die Gesetze vereinfacht werden, zum anderen ist es eine Frage der Zeit, bis SAP, Baan und Peoplesoft ihre Produkte angepaßt haben, denn der Markt ist attraktiv. Vor allem privatisierte Staatsbetriebe sind groß und kapitalstark genug, sich diese Klasse von Software leisten zu können.

Kleinen und mittleren Unternehmen steht eine breite Auswahl lokal entwickelter ERP-Systeme zur Verfügung, die sich hinter vergleichbaren Lösungen europäischer Anbieter nicht zu verstecken brauchen. Windows NT, SQL Server, Office- und Internet-Anbindung gehören zum Standard. Mit einer echten Weltneuheit wartete das brasilianische Softwarehaus Micro-Siga auf.

Das ERP-System für Small Businesses (ab drei Mitarbeiter) unterstützt E-Commerce und hat das Problem der schnellen Einführung, an dem SAP und Baan noch arbeiten, bereits gelöst. Alles, was der Anwender braucht, einschließlich einer Oracle-, Informix- oder Microsoft-SQL-Server-Datenbank, findet er in einem Karton. Ein Projektplan für die Einführung der Software ist auf der Schachtel abgedruckt. Das Produkt wird bereits in andere Länder Südamerikas exportiert.

Im Vergleich zur entwickelten Wirtschaft in vielen Sektoren hinkt die Branche der Informations- und Kommunikationstechnologie zurück. Es handelt sich praktisch um einen abgeschotteten Markt. Dafür waren lange Zeit die hohen Importzölle auf Hardware verantwortlich. Vor einigen Jahren kostete ein legal nach Brasilien eingeführter Computer etwa zwei- bis dreimal soviel wie in den USA oder Europa. In der Folge blühte der Schmuggel. Man geht heute von einer installierten Basis von 5,7 Millionen Geräten aus.

Inzwischen wurden die Zölle jedoch auf ein erträgliches Niveau gesenkt. Heute kostet ein legal eingeführter PC eines lokalen Herstellers oder einer bekannten internationalen Marke zwischen 20 und 30 Prozent mehr als in den USA oder Europa. Gleiches gilt für Software. Dafür hat der Kunde aber nicht nur ein ruhiges Gewissen, sondern auch Garantieleistungen, Kundendienst und eine Bedienungsanleitung in portugiesischer Sprache.

Das Sprachproblem darf im brasilianischen Markt nicht unterschätzt werden. Der englischsprechende Anteil selbst in der gut ausgebildeten Bevölkerung ist verschwindend gering. Wer in Brasilien etwas verkaufen will, muß sich konsequent auf die Landessprache einstellen. Das dort gesprochene Portugiesisch unterscheidet sich gerade bei den Fachbegriffen der Informationstechnologie von der in Portugal verwendeten Sprache.

Daß Brasilien das einzige portugiesischsprachige Land in Südamerika ist, stellt einen der Gründe dar, warum die Bearbeitung der gesamten Region "Lateinamerika" als ein gemeinsamer Markt oft nicht funktioniert. Das haben vor allem amerikanische Softwarehäuser einschließlich Microsoft lernen müssen, die inzwischen die wichtigsten Märkte in Südamerika separat behandeln und seither deutlich bessere Erfolge erzielen.

Ein Copyright-Gesetz auf dem Niveau westlicher Industriestaaten, das kürzlich vom Parlament verabschiedet wurde, schafft die Rahmenbedingungen für den Verkauf von Software. Erst jetzt ist es möglich, illegales Kopieren sowie den Einsatz von Raubkopien juristisch zu verfolgen - zumindest theoretisch. Ein Politiker sagte auf einer Podiumsdiskussion dazu: "Wir haben das Gesetz, nun müssen wir ihm Zähne verleihen."

Eine weitere Herausforderung bei der Marktbearbeitung stellt die Logistik dar. US-Amerikaner, die gewohnt sind, Pakete recht preiswert mit irgendeinem Kurierdienst quer durch das Land schicken zu können, müssen sich innerhalb Brasiliens an hohe Transportkosten und längere Frachtzeiten gewöhnen. Dies bereitet vor allem Direktversendern wie Dell Probleme

Die größten Veränderungen finden heute am unteren Ende des Marktes, also im Consumer- und Soho-Geschäft statt. Vor wenigen Jahren gab es in Sao Paulo, einer Stadt mit 25 Millionen Einwohnern, nur einen einzigen Computershop. Nach der erfolgreichen Bekämpfung der Inflation existieren in dieser Stadt inzwischen mehr als 1000 solcher Läden.

Weitgehend unbekannt sind jedoch bisher Ketten nach dem Vorbild von Vobis oder Comp USA. Die meisten Läden sind unabhängig, was zu starken Preisunterschieden führt. Man rechnet aber damit, daß der Markt über kurz oder lang von internationalen und lokalen Ketten überzogen wird und sich damit konsolidiert. Das gilt nicht nur für Sao Paulo, das Geschäftszentrum von Brasilien, sondern auch für andere Städte im Land.

Brasilien

Brasilien ist eines der flächengrößten Länder der Erde und hat rund 160 Millionen Einwohner. Der Blick auf das statistische Pro-Kopf-Jahreseinkommen vermittelt allerdings ein verzerrtes Bild. Es klafft eine tiefe Kluft zwischen arm und reich, die in der statistischen Betrachtung keine Berücksichtigung findet. Man rechnet, daß etwa 15 Prozent der Bevölkerung "in der Wirtschaft" arbeiten, 85 Prozent hingegen praktisch kein Einkommen haben. Doch die rund 25 Millionen Verdiener und Konsumenten leben auf westeuropäischem Niveau, und ihr Anteil wächst. Eine Shopping-Mall in Sao Paulo sieht nicht anders aus als in München oder New York.

Seit der Glaube, das nächste Jahrhundert werde ein asiatisches, durch die dortige Krise erschüttert wurde, fällt der Blick wieder verstärkt in andere Regionen der Welt. Brasilien, das größte Land in Lateinamerika, hat erst in der jüngsten Vergangenheit seine Währungsprobleme gelöst und eine Inflation von 2500 Prozent pro Jahr erfolgreich bekämpft. Der Real ist nun eine stabile Währung. Die Privatisierung von Staatsbetrieben und ein wachsender privater Sektor kurbeln die Nachfrage nach Informations- und Kommunikationstechnologie an.

Thorsten Schlabach ist freier Autor in Duisburg.