Jeder Zweite unzufrieden mit ERP-System

Branchenorientierung vielfach als Mogelpackung entlarvt

16.04.1999
MÜNCHEN (CW) - Geht es nach den Umfragen der Firmen Orga und EBS, lassen die meisten Anwender an ERP-Lösungen und ihren branchenspezifischen Aufsätzen kaum ein gutes Haar.

Bei den ERP-Herstellern ist ein deutlicher Trend zur branchenspezifischen Ausrichtung ihrer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware zu erkennen. Zwei von drei Anbietern planen einen derartigen Schritt, von dem sie sich eine bessere Position im Wettbewerb versprechen. Allerdings genießen die derzeit angebotenen Produkte keinen guten Ruf. Nur jeder fünfte Anwender stellt den Branchenlösungen ein positives Zeugnis aus, so eine Umfrage des R/3-Spezialisten Orga GmbH, Karlsruhe, bei 471 Unternehmen. Fast zwei Drittel der Teilnehmer sind jedoch der Meinung, daß es sich dabei um Mogelpackungen handelt.

Konzepte oft zu oberflächlich

Besonders kritisiert werden von der Mehrzahl der Anwender die oberflächlichen branchenspezifischen Konzepte der Hersteller. Die Lösungen böten in dieser Hinsicht eine mangelnde Funktionalität. Außerdem beanstanden 59 Prozent der Umfrageteilnehmer, daß sie beim Einsatz dieser Applikationen zu starken technischen Abweichungen vom Standard der ERP-Software gezwungen sind. Infolgedessen riskieren sie bei späteren Release-Wechseln oder bei der Integration von Ergänzungslösungen unüberschaubare Probleme. Weitere Kritikpunkte sind die zu hohe Komplexität der Produkte, ihre überhöhten Preise sowie eine unklare Einschätzung der technischen Weiterentwicklung.

Häufig werde verkannt, daß es nicht ausreicht, eine Standardsoftware mit einigen wenigen Modifikationen zu einer Branchenapplikation zu deklarieren, meint Orga-Geschäftsführer Reinhold Schwind. Seiner Meinung nach lassen sich funktionale Schwächen in den Produkten nur vermeiden, wenn der Hersteller seine Lösung gemeinsam mit einem repräsentativen Branchenunternehmen entwickelt.

Die meisten Umfrageteilnehmer (59 Prozent) vertrauen Herstellern mit hoher Marktpräsenz wie der SAP. Jeder fünfte Anwender (19 Prozent) setzt lieber auf Branchenlösungen von Spezialanbietern, und 13 Prozent greifen auf die Angebote von mittelstandsorientierten Softwarehäusern zurück.

Nicht viel besser kommen die branchenübergreifenden Lösungen der ERP-Hersteller selbst weg. In einer Umfrage des Neu-Ulmer ERP-Spezialisten EBS GmbH unter 617 Mittelständlern (20 bis 200 Millionen Mark Umsatz) bezeichneten drei Viertel ihr Verhältnis zu den Softwarehäusern als kritisch bis mißtrauisch. Während nur 38 Prozent der Betriebe den ERP-Lösungen ein insgesamt positives Urteil aussprachen, gaben ähnlich viele zu Protokoll, daß sie in ihren Anforderungen Abstriche machen mußten. Fast jeder fünfte Anwender gesteht sogar einen Fehlgriff bei der Wahl des ERP-Produkts ein.

Eine problemfreie Implementierung fand der Studie zufolge bei einem Viertel der Befragten statt. Weit häufiger wird von "großen Schwierigkeiten" berichtet, und sechs Prozent der Firmen sahen sich sogar zum Abbruch des Projekts gezwungen.

Der Praxisbetrieb gestaltet sich nur in jedem vierten Unternehmen zur Zufriedenheit der IT-Verantwortlichen. Oberster Kritikpunkt ist auch hier die mangelhafte Funktionalität, hinzu kommen Schnittstellen- und Stabilitätsprobleme.