Mittelstandsforum 1999 im Zeichen eines Konflikts mit Kunden

Brain verspricht Besserung nach der Neuorganisation

17.12.1999
Nach massiver Kritik der Kunden an einer unangekündigt per Software-Patch eingeführten rigideren Lizenzpolitik gelobt die Brain International AG Besserung. Unter den drei Kernthemen Enterprise Resource Planning (ERP), Supply-Chain-Management (SCM) und E-Business will das Unternehmen die Ausrichtung auf bestimmte Branchen verstärken.

Entschuldigungen waren auf dem Mittelstandsforum 1999 angesagt, zu dem das Breisacher AS/400-Softwarehaus am 30. November und 1. Dezember eingeladen hatte. "Wir haben uns zuletzt stark mit uns selbst beschäftigt", versuchte Kurt Rembold, Brain-Vorstand Vertrieb/Marketing, in seiner Eröffnungsrede den rund 200 Kundenvertretern im Wiesbadener Kurhaus Maßnahmen zu begründen, die jüngst für Aufruhr unter den Anwendern gesorgt hatten.

"Wir waren relativ stark im Streß, denn wir haben in den letzten anderthalb Jahren sehr vieles aufgebaut." Damit verwies der Brain-Manager auf die arbeitsreiche Zusammenführung der ausgeprägt unterschiedlich organisierten Firmen BIW und Rembold+Holzer zu Brain, die nun abgeschlossen sein soll.

Stärker als gedacht hatte auch der Börsengang an den Neuen Markt das Management beansprucht. Immerhin spülte die Aktion rund 110 Millionen Mark in die Firmenkasse. Ein Teil der Einnahmen wurde bereits in die Akqusition der Firmen Idee V, GAM-C in Spanien und der US-amerikanischen CMI investiert, weitere Aufkäufe sind anvisiert. Und für Entwicklungen sei auch noch was übrig.

Rembold zeigte sich bemüht, den vor allem über eine via Software-Änderung erzwungene Umstellung der Lizenzverträge der "MAS-90"-User (siehe CW 48/99, Seite 12) aufgekommenen Unmut der Kunden zu besänftigen. Er entschuldigte sich für die Vorkommnisse und versucht nun, den Imageschaden zu reparieren. Ein erster Beitrag dazu soll die Gründung eines eigenen Competence Centers für alle Fragen zu MAS 90 und die fest versprochene Verbesserung des Support- und Service-Angebots sein.

Der Schwerpunkt der Arbeiten in Richtung MAS 90 liegt auf dem Rechnungswesen und der Integration dieser Funktionalität in die Produktfamilie "Brain/AS". Auch wenn noch einige Erweiterungen in puncto Warenwirtschaft und Produktionsplanung und -steuerung geplant sind, will der Hersteller den Wechsel auf Brain/AS schmackhaft machen. Er soll bei gleichbleibender Funktionalität lizenzkostenneutral erfolgen und mit dem Release 2.0 von Brain/AS ab Anfang Januar technisch einfacher werden.

Die Produktlinie "XPPS" wird entgegen den ursprünglichen Absichten nun doch nicht mit Brain/AS zusammengeführt werden. "Eine Verknüpfung ihrer Grundstrukturen würde beiden Produkten in ihrer spezifischen Ausprägung nur schaden", verwies Rembold auf das Ergebnis einer internen Studie. "Die X-Linie ist eben sehr auf Supply Chain Execution und auf die Automobilindustrie zugeschnitten, während Brain/AS als klassisches PPS-System für verschiedene Branchen ganz andere Schwerpunkte setzt."

Folglich bezieht sich die erste Erweiterung einzig auf Brain/AS. Dazu kommt jetzt "Brain Collection", eine Lösung für die Bekleidungs- und Textilindustrie. Weitere Branchenpakete sind geplant, etwa für den Fenster-, Türen- und Jalousienbau.

Frank Soltis, geistiger Vater der AS/400 bei IBM, skizzierte den möglichen Weg dieses Rechnertyps in den nächsten zehn Jahren, in denen er eine Skalierbarkeit vom Westentaschenrecher bis zum Supercomputer erreichen dürfte. Das System habe angesichts seiner Sicherheit - so war es für Virenprogrammierer bisher nicht reizvoll - und seiner Mainframe-ähnlichen Ausfallsicherheit das Potential, sich zum Java- und Web-Server der Wahl zu mausern.

Soltis versicherte, daß die von Anfang an geltenden Designkriterien der AS/400 weiter gültig seien: Die Maschinen blieben nach seinen Worten möglichst verfügbar, sicher, skalierbar, erweiterbar und, vor allem mit Blick auf die Betriebskosten, bezahlbar. Daran werde auch die im nächsten Jahr bevorstehende Ankündigung der neuen AS/400-Generation mit Version 5 von OS/400 und Power-4-Prozessoren nichts ändern.

Peter Fassbinder, Entwicklungsvorstand bei Brain, äußerte sich über die Pläne zu "E-Brain". Fernziel ist ein plattformunabhängiges, objektorientiertes Anwendungssystem, das in Java und C geschrieben ist. Es soll mehrere Applikations-Server und neben DB2/400 weitere Datenbanken wie Oracle, Microsofts SQL Server und Poet unterstützen. Der Zugang wird dann über ein personalisierbares Portal erfolgen.

Bei E-Brain handelt es sich im Prinzip um die mit dem Projekt "Cool" vorangetriebene Öffnung der noch in RPG programmierten AS/400-Produkte Brain/AS und X-Linie für die Back-Office-Plattformen Windows 2000 und AS/400. Als Programmiersprache kommt jetzt "Objective Commercial C" zum Einsatz, eine nah an Java konzipierte Eigenentwicklung aus dem Hause Brain.

Der Anschluß von Unix- und OS/390-Systemen ist vorgesehen, wobei Linux die Unix-Referenzplattform ist. Dazu werden die AS/400-eigenen offenen Schnittstellen nach internationalen Standards für offene Systeme eingerichtet. OS/400-spezifische Systemkomponenten sollen nach Worten von Ralf Tossenbacher, Bereichsleiter Forschung und Entwicklung, "nur behutsam" zum Einsatz kommen. Eine besondere Rolle spielt für Klaus Iffland, Geschäftsführer Brain Development, das neue "Product Supply Web", eine Verlängerung der Logistikkette via Internet bis zum kleinen Zulieferer ohne eigene SCM-Software. Ein Prototyp werde zur CeBIT 2000 verfügbar sein. Produktreif soll dann auch "XJIT" sein, ein Tool zur Modellierung und Implementierung flexibler Suppy-Chain-Software für die Automobilindustrie.

*Berthold Wesseler ist freier Journalist in Bergisch Gladbach.