BPO: Anwender geben Zurückhaltung auf

14.02.2005
Der deutsche BPO-Markt wächst rasant. Bisher lagern die Anwender allerdings vorwiegend unkritische und standardisierte Prozesse aus.

Business Process Outsourcing (BPO) is in aller Munde. Beim näheren Hinsehen wird allerdings deutlich, dass deutsche Unternehmen bislang hauptsächlich stark standardisierte und weniger geschäftskritische Prozesse - etwa Gehaltsabrechnungen oder einfache Tätigkeiten im Rechnungswesen - an externe Anbieter vergeben haben. Auf so genannte Core-BPO-Deals, bei denen Teile des Kerngeschäfts ausgelagert werden, entfielen nach Angaben von Pierre Audoin Consultants (PAC) 2004 nur 25 Prozent des deutschen BPO-Markts.

Diese Zurückhaltung ist zum einen mentalitätsbedingt: Einer Umfrage von Ovum zufolge sind deutsche Anwender generell vorsichtiger und besorgter in Sachen Sicherheit und Servicequalität als ihre Kollegen in Großbritannien und den USA. Zudem ist es für die Dienstleister schwieriger ist, im mittelständisch geprägten Deutschland Fuß zu fassen, da das Auslagern von Geschäftsprozessen eher ein Thema für große Unternehmen ist. Auch die im Vergleich zum angelsächsischen Raum strengen arbeitsrechtlichen Auflagen stellen eine Hürde dar, da sie den mit dem Auslagern verbundenen Abbau und Übergang von Mitarbeitern erschweren.

Den Analysten von Ovum zufolge setzten die BPO-Anbieter im vergangenen Jahr in Deutschland 710 Millionen Euro um. Bis 2008 soll der Markt auf gut eine Milliarde Euro zulegen. Andere Zahlen errechneten die Marktforscher von PAC: Nach ihren Prognosen werden die Umsätze in diesem Jahr um 17 Prozent auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro steigen. Auch in den Folgejahren erwartet PAC zweistellige Wachstumsraten, die bis 2008 für ein Marktvolumen von über drei Milliarden Euro sorgen sollen. Dass die Marktzahlen der Institute so stark voneinander abweichen, liegt daran, dass die Ovum-Analysten den BPO-Begriff enger eingrenzen: Standardisierte Tätigkeiten wie Payroll-Prozesse fließen in ihre Berechnungen nicht ein, was den Markt automatisch schmälert.

Der Markt wächst

PAC dagegen definiert solche Leistungen als Business Process Services (BPS) und damit als BPO-Teilsegment. Aber auch grundsätzlich geben sich die PAC-Experten zuversichtlicher. Mit einem Anteil von derzeit 14 Prozent am westeuropäischen BPO-Markt nimmt Deutschland zwar im Vergleich zu Großbritannien (Marktanteil: 42 Prozent) eine untergeordnete Stellung ein. Nach Ansicht von Stephan Kaiser, Analyst und Berater bei PAC, ist es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis auch hier der Boom einsetzt. Schon jetzt sei Deutschland der am schnellsten wachsende BPO-Markt in Westeuropa. "Wenn es der IT gelungen ist, über Auslagerung einen Markt zu bilden, dann werden es früher oder später auch die Geschäftsprozesse schaffen", so Kaiser.

BPO im Wandel

Positiv zu werten sei dabei vor allem, dass inzwischen zunehmend auch das Kerngeschäft betreffende Teilprozesse ausgelagert würden. Der anhaltende Kostendruck zwinge immer mehr Unternehmen, über solche Modelle nachzudenken, ist Kaiser überzeugt: "Wenn die Dienstleister sinnvoll vorrechnen, dass sie auf Dauer billiger sind als der Eigenbetrieb, können sich die Anwender diesem Thema nicht länger verschließen."

Natürlich wird es immer Bereiche geben, die sich nicht oder nur bedingt fürs Outsourcing eignen - etwa das strategisch Controlling oder die Verwaltung kritischer Kundendaten. Laut Kaiser werden jedoch mehr und mehr Prozesse als auslagerungsfähig erachtet werden, die heute noch als ungeeignet gelten. Die Zukunft liege in prozess- und branchenspezifischen Outsourcing-Modellen, die auf die speziellen Sicherheitsansprüche der Anwender eingehen und diese von der Verantwortung entlasten: "Die Bereitschaft der Dienstleister, mehr Risiko zu übernehmen, wird wachsen", so der Berater.

Die meisten Umsätze (29 Prozent) werden derzeit mit dem Auslagern von Geschäftsprozessen im Bereich Sales/CRM (inklusive Billing) erzielt. Laut Kaiser werden die Dienstleister in den kommenden Jahren ihr Leistungsportfolio sukzessive ausbauen, um tiefer gehende Prozesse der Anwender übernehmen zu können. Damit werde dieses Segment weiter wachsen - laut PAC um durchschnittlich 18 Prozent pro Jahr.

Potenzial im HR-Bereich

Der mit 26 Prozent zweitgrößte Anteil entfällt auf den Bereich Human Resources (HR). In Bezug auf das reine Payroll-Processing ist kein nennenswertes Neugeschäft mehr zu erwarten. Aber auch in der Personalwirtschaft erweitern viele IT-Dienstleister ihr Portfolio, um komplette Geschäftsprozesse übernehmen zu können. Ein Beispiel ist der Deal zwischen EDS und Infineon, der neben der Lohn- und Gehaltsabrechnung die Auslagerung von Teilen des Bewerber-Managements vorsieht. Auch Siemens Business Services (SBS) und T-Systems sind dabei, ihre HR-BPO-Angebote auszubauen. Der Vorteil: Da sich die HR-Prozesse in den Unternehmen kaum voneinander unterscheiden, sind die Dienstleister nicht auf spezielles Branchen-Know-how angewiesen und können ihre gesamte Kundenbasis bedienen. Den PAC-Schätzungen zufolge wird der HR-BPO-Markt daher bis 2008 um 18 Prozent pro Jahr zulegen.

Wachstum im Finanzsektor

Auch die Backoffice- und Transaktionsprozesse von Banken und Versicherungen gelten als Wachstumsmarkt. Angesichts des Kostendrucks vergibt der Finanzsektor zunehmend auch bankenspezifische Kernprozesse wie die Wertpapierabwicklung und den Zahlungsverkehr an externe Provider. Die Analysten von PAC gehen daher davon aus, dass das BPO-Segment Financial Processing bis 2008 um durchschnittlich 13 Prozent zulegen wird.

Da den klassischen IT-Dienstleistern häufig die nötige Prozesskompetenz fehlt, werden solche komplexeren Leistungen derzeit vorrangig von Spezialanbietern erbracht. Das sind Firmen, die gezielt die Geschäftsabläufe angehen und sich das dazu nötige IT-Know-how extern einkaufen - beispielsweise die Postbank, die den Zahlungsverkehr für die Deutsche und die Dresdner Bank abwickelt. Nach Einschätzung von PAC-Berater Kaiser wird IT-Dienstleistern, die hier mitmischen wollen, nichts anderes übrig bleiben, als sich dieses Wissen anzueignen - etwa über Joint-Ventures und Übernahmen. Ein Trend in diese Richtung zeichnet sich bereits ab. So hat IBM vor zwei Wochen den irischen Finanz-Outsourcer Equitant gekauft, der im Auftrag seiner Kunden das Kredit-Management und andere Backoffice-Services erbringt.

Aber nicht nur im Bankensektor - generell glaubt Kaiser, dass die Verbindung aus IT- und Geschäftsprozess-Know-how Branchenriesen, aber auch kleineren Dienstleistern gute Marktchancen eröffnet. Die TDS AG etwa habe durch den Kauf von zwei HR-Spezialisten eine fundierte Branchenkompetenz erworben und damit ein BPO-Angebot entwickelt, das große Teile des HR-Managements umfasst.

Der Experte geht davon aus, dass sich die großen IT-Dienstleister ein gutes Stück des Kuchens sichern werden, weil sie mit Hilfe ihrer Finanzkraft schnell reagieren und sich durch Zukäufe und Partnerschaften das erforderliche Know-how verschaffen können. Aber auch die Spezialanbieter werden weiterhin eine wichtige Rolle im Markt spielen, so Kaiser. "Da die Übernahme der IT-Infrastruktur zunehmend zur Commodity wird, ist es sicher leichter, sich das entsprechende Know-how und Kapazitäten wie Rechenzentrumsleistungen einzukaufen, als sich die Branchen- oder Geschäftsprozesskompetenz von Grund auf aufzubauen." Die Anbieterlandschaft bleibe daher vorerst heterogen: "Die Spezialanbieter dürften ihren Vorsprung noch eine Weile halten - sofern sie eben nicht von einem großen IT-Dienstleister geschluckt werden."