Borland-Beobachter halten Turnaround fuer unwahrscheinlich Branche wertet Kahns Ruecktritt als ein Fanal

20.01.1995

SCOTTS VALLEY (CW/IDG) - Philippe Kahn (42), eigenwilliger Gruender und Visionaer der Borland International Inc., tritt als President und Chief Executive Officer zurueck. Sein Nachfolger wird der Finanzchef Gary Wetsel (49). Amerikanische Analysten, die diesen Schritt schon seit laengerem gefordert hatten, sagen dem Unternehmen eine duestere Zukunft voraus. Seine Tage als eines der grossen Softwarehaeuser seien gezaehlt.

Kahn bleibt Vorsitzender des Verwaltungsrats und Angestellter von Borland. Er soll sich kuenftig um langfristige Planungen, das internationale Geschaeft und nicht naeher bezeichnete Projekte kuemmern.

Seine Begruendung fuer den Ruecktritt zeugt von Einsicht: "Es ist deutlich geworden, dass ich als President und CEO zu einer Ablenkung geworden bin, in einer Zeit, in der sich Borland voellig auf die Herausforderungen der Zukunft konzentrieren muss."

Marktbeobachter sahen schon seit einiger Zeit Anzeichen fuer die Entscheidung des Hobbymusikers, dem unter anderem vorgeworfen wurde, Firmengelder benutzt zu haben, um zusammen mit Freunden eine CD aufzunehmen und zu produzieren. Terence Quinn, Analyst bei Furman Selz Inc. in New York: "Dieser Schritt haette schon laengst gemacht werden sollen. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren so dramatisch abgebaut, dass President und CEO unter normalen Umstaenden schon laengst ausgetauscht worden waeren."

Analysten wie Quinn machen Kahn weitgehend fuer den Niedergang seines Unternehmens verantwortlich.

Die Strategie, Microsoft und Lotus im Application-Suite-Geschaeft direkt anzugreifen, sei falsch gewesen: "Borland hatte die richtigen Produkte und wahrscheinlich genuegend technisches Know- how, um sie zu integrieren, aber sie haben den Zug verpasst." Nach dem Verkauf von Quattro Pro und der Aufgabe des Suite-Geschaefts Ende September 1994 raeumte auch Kahn ein, dass man an falscher Stelle investiert habe. "In diesem Business muss man die Nummer eins oder zwei sein, sonst verdient man kein Geld", sagte er.

Wie umstritten der aus Frankreich stammende Mathematiker in der letzten Zeit war, laesst sich auch an den Reaktionen auf die Ernennung des Price-Waterhouse-Managers Keith Maib zum Chief Operating Officer im Maerz 1994 ablesen. Branchenkenner beurteilten seine Berufung damals positiv. Schliesslich brauche das Softwarehaus "endlich ein erwachsenes Management". Offenbar konnte jedoch auch der mit Vorschusslorbeeren bedachte Maib Restrukturierungsplaene nicht durchsetzen. Nach nur zehn Monaten warf er das Handtuch.

Von der Berufung des Finanzchefs Wetsel erwarten Kenner des Unternehmens keine Besserung fuer Borland: "Er ist ein Chief Financial Officer, und vor seinem Engagement bei Borland hat er noch nie fuer ein Softwarehaus gearbeitet. Diese Tatsache koennte unter Umstaenden Kahns Einfluss sogar noch vergroessern", moniert Mary Mc Caffrey, Analystin bei der Investmentfirma Alex Brown & Sons Inc., New York. Dass der Unternehmensgruender weiterhin die Geschicke der Firma mitgestalten wird, ist in der Tat unumgaenglich. Wetsel berichtet an den Board of Directors, dem Kahn vorsitzt. Der neue erste Mann nimmt zwar die Pflichten eines Chief Operating Officer wahr, wird aber den Titel nicht tragen. Borland- Sprecher Steve Grady zufolge gibt es zur Zeit keine Plaene, diese Stelle wieder zu besetzen.

Furman-Selz-Mann Quinn prognostiziert Borland eine duestere Zukunft. "Das Unternehmen ist in so schlechter Verfassung, dass ich keine Moeglichkeit fuer einen Turnaround sehe." Vielleicht kehre die Company zu ihren Wurzeln als Tool-Anbieter zurueck, in jedem Fall aber sei massives Downsizing notwendig. Dataquest-Analyst Karl Wong urteilt ebenso hart: "Borlands Tage als grosser Anbieter sind vorbei."

Wetsel bestaetigte, dass Borland sich wieder auf die Kundschaft unter den Software-Entwicklern konzentrieren und den Kampf um den Consumer-Markt aufgeben werde. Die Division "Simplified Consumer Products" soll abgestossen werden. Der neue President kuendigte eine weitere weltweite Reorganisation an, deren Einzelheiten er in "naher Zukunft" erlaeutern wolle. Sicher ist allerdings, dass von den verbliebenen 1700 Borland-Mitarbeitern bis Ende des Monats weitere 500 ihre Papiere bekommen.

Geruechte, wonach auch die Datenbanken des Anbieters verkauft werden sollen, dementierte Wetsel: "Wir wollen uns auf den Entwicklermarkt konzentrieren, und Paradox sowie Dbase fuer Windows passen in dieses Konzept", sagte er.

Vor allem aber setzt die Softwareschmiede auf ihr Entwicklungs- Tool "Delphi 95". Insider warnen Anwender indes davor, zur Zeit in neue Borland-Produkte zu investieren. Sie glauben, dass eine weiter reduzierte Mannschaft den notwendigen Service und Support nicht leisten kann. "Es ist nicht noetig, die Borland-Produkte aufzugeben, aber der Neukauf von Software ist zur Zeit nicht anzuraten", urteilt Carter Lusher von der Gartner Group. Er ist davon ueberzeugt, dass Borland als unabhaengiges Unternehmen nicht ueberleben kann. "Die Tools wird es weiterhin geben, aber sie werden wahrscheinlich in andere Haende uebergehen."