Dem Management fehlt es an Weitsicht, Umsicht und Einsicht

Boo-Bankrott leitet auch in Europa eine Konsolidierung unter Dotcoms ein

26.05.2000
MÜNCHEN (CW) - Der Zusammenbruch des Modehauses Boo.com beschert Europa die erste spektakuläre Internet-Pleite. Miss-Management und eine überladene Website sorgten für einen Bankrott, der andere Web-Werte mit in die Tiefe riss. Der Kapitalmarkt ist verunsichert - eine Konsolidierungswelle scheint unausweichlich.

Mit Boo.com legte in Europa eine der ersten größeren Dotcom-Firmen die von Analysten schon länger prophezeite Bauchlandung hin. Die schwedische Online-Boutique hat ihr Venture Capital von 135 Millionen Dollar bis auf 500000 Dollar verbraucht und den Gang zum Konkursrichter angetreten. Investoren hatten zuvor die Finanzierung eines Umstrukturierungsplans verweigert. Von der Schließung sind etwa 300 Arbeitsplätze betroffen.

Vor einem Jahr waren die Firmengründer Ernst Malmsten, Patrik Hedelin und das Ex-Model Kajsa Leander mit großem Optimismus und den Taschen voller Geld gestartet. Sie wollten zum größten globalen Online-Anbieter von Sportkleidung werden. Allerdings stand schon der Start unter keinem guten Stern. Aufgrund technischer Probleme musste er um fünf Monate bis zum November 1999 verschoben werden. Dann hagelte es von allen Seiten Kritik an der grafiklastigen Website, die zu lange Ladezeiten erforderte.

Die Kosten sind aus dem Ruder gelaufenBoo.com soll zuletzt trotz der sich abzeichnenden Misere immer noch rund eine Million Dollar pro Woche verbraucht haben. Unternehmenssprecher Malmsten gibt zu: "Wir haben uns zu sehr auf die Visionen konzentriert. Alles sollte perfekt sein, dabei haben wir die Kostenkontrolle aus den Augen verloren. Mein Fehler war, dass ich keinen starken Finanz-Controller als Gegenpart hatte." Analysten befürchten nun, dass das Beispiel von Boo.com die Anlegerskepsis bezüglich Internet-Firmen weiter verstärken könnte. Laut Michael Whitaker, Chef der Internet-Investmentgesellschaft New Media Spark, ist jetzt Schluss mit dem Mythos, dass die althergebrachten Geschäftsmodelle nicht für Online-Firmen taugen. "Online-Flair reicht nicht aus. Erfolgskritisch sind konventionelle Offline-Fähigkeiten in allen zentralen Geschäftsbereichen."

Die Pleite von Boo.com könnte in Europa der Auftakt einer Konsolidierungswelle unter den Internet-Startups sein. Das Beratungsunternehmen Pricewaterhouse-Coopers etwa erwartet, dass in den kommenden 15 Monaten jede vierte britische Dotcom-Firma aufgeben muss. An der Londoner Börse hat der Zusammenbruch von Boo.com einen Kursrutsch ausgelöst, der auch den Börsengang der Internet-Holding Europaweb gefährden könnte. Schließlich zählte deren Eigentümer Bernard Arnaud zu den Hauptanteilseignern des virtuellen Modehauses. Auch in Deutschland scheint der Markt allmählich gesättigt. Viele Anleger flüchten aus den Technologiewerten, was den Neuen-Markt-Index Nemax Anfang der Woche weiter abrutschen ließ. In diesem schlechten Umfeld entschloss sich der Messaging-Dienstleister GMX kurzfristig, den für Ende Mai geplanten Börsengang abzublasen - wie zuvor schon der Bertelsmann-Ableger BOL. In Schweden wird das Staatsunternehmen Telia nun zum Discount-Preis an die Börse gebracht, und auch in den USA geht die Konsolidierung weiter. Dort vermeldete Digital Entertainment Network (DEN), ein viel beachtetes Medienprojekt im Internet, seinen Bankrott.