Anlegen werden zunehmend unsicherer:

Börsenstimmung leidet unter weltweiten Krisen

01.06.1984

LEINEN (hr) - Die führenden Aktienbörsen der Welt befinden sich rein äußerlich in einer sehr schlechten Verfassung. Von allen Seiten strömen Krisennachrichten auf sie ein. Die Anleger werden zunehmend unsicherer. Hier und da hat es breits panikhafte Liquidationswellen gegeben, die in einem Zusammenhang mit den offenbar tiefgreifenden Schwierigkeiten amerikanischer Banken, mit der Zuspitzung der kriegerischen Handlungen im und um den Persischen Golf sowie mit der Zinsfurcht stehen. Erschwerend kommt hinzu, daß sowohl am amerikanischen als auch am japanischen Aktienmarkt noch immer sehr hohe spekulative Engagements bestehen.

Der gefährliche Teil dieser Positionen setzt sich aus jenen zusammen, die mit Hilfe von Effektenkrediten aufgebaut wurden. Hier schmilzt die Eigenkapitalbasis der Anleger mit den wachsenden Kursverlusten immer mehr zusammen, so daß bei weiter fallender Tendenz entweder Nachschüsse fällig oder unfreiwillige Liquidationen erforderlich werden.

Doch am dunkelsten ist es stets kurz vor dem Morgengrauen. Mit dieser Erkenntnis versuchen vor allem börsentechnisch orientierte Analytiker die Anleger in Wallstreet zu trösten. Sie erinnern an die gefestigte Erkenntnis, daß ein Aktienmarkt in der Regel inmitten der düstersten Nachrichten einen Boden bildet und damit eine ausgedehnte Aufwärtsbewegung vorbereitet. Zuletzt haben die wichtigsten Aktienmärkte dies im August 1982 bewiesen. Zyklische Kursgipfel entstehen dagegen meist dann, wenn die Nachrichten gar nicht mehr günstiger klingen können. Eine ganze Serie technischer Indikatoren deutet denn auch gerade jetzt auf eine Wende zumindest am amerikanischen Aktienmarkt hin. Offen ist in den Augen erfahrener Börsianer nur noch, ob es sich bei dem vermuteten Aufschwung um eine Zwischenerholung handelt oder ob es das Sogenannte "zweite Bein" der seit knapp zwei Jahren laufenden Hausse sein wird.

Sollte sich die Tendenz in Wallstreet wirklich drehen, werden nach der Überzeugung vieler Börsenexperten auch andere wichtige Märkte mitziehen. Dabei hat man vor allem den japanischen, aber auch den britischen im Auge. Die deutsche Börse dürfte so lange zögern, bis an der Streikfront eine für die Anleger akzeptable Lösung gefunden ist.

Wenn eine Tendenzwende vor allem in Wallstreet bevorsteht, ist mit einem Comeback auch der Technologiewerte zu rechnen. Die Aktien der großen, solide finanzierten Unternehmen dieser Gruppe dürften nach herrschender Meinung ohnehin zu den Spitzenreitern des nächsten Aufschwungs zählen, weil auch dann Qualität eine herausragende Rolle bei den Entscheidungen der erfahrenen, längerfristig denkenden Anleger stehen dürfte. Doch auch die zweitrangigen Papiere dieser Gruppe werden wenigstens vorübergehend hochprozentige Chancen bieten, wie es vielerorts heißt. Sie befinden sich nämlich aus rein börsentechnischer Sicht in einer besonders stark "überverkauften" Situation.