Bluetooth kappt die Kabel

11.05.2001
Von Martin Seiler
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Bluetooth ist da. Nach einigen Verzögerungen präsentieren inzwischen eine ganze Reihe von Herstellern marktreife Lösungen, die das Funkverfahren nutzen. Bis auch Unternehmen von der Technik profitieren können, müssen jedoch noch einige Fragen geklärt werden.

Was lange währt, wird endlich gut - dieses Sprichwort könnte schon bald auch auf die Kurzstreckenfunktechnik Bluetooth zutreffen. Das Verfahren sollte eigentlich schon im letzten Jahr in Produkte umgesetzt auf den Markt kommen. Doch dann bremsten hohe Preise für die benötigten Chips die Serienproduktion, außerdem stießen die in der Special Interest Group (SIG) organisierten Hersteller auf Interoperabilitätsprobleme.

   Als Einsatzgebiete für Bluetooth sieht Arthur Andersen vor allem Transaktionen und Werbung.  
   Als Einsatzgebiete für Bluetooth sieht Arthur Andersen vor allem Transaktionen und Werbung.  

Örjan Johansson, Chairman von Anoto AB und vor vier Jahren bei Ericsson verantwortlich für die Entwicklung von Bluetooth (damals noch unter der Bezeichnung Multi-Communicating Link), erläutert: "Es bestand die Gefahr, dass es Schwierigkeiten mit dem Zusammenspiel von Geräten nach Version 1.0b und der unlängst erschienenen Version 1.1 der Spezifikation geben könnte. Dieses Risiko wollten viele Anbieter natürlich nicht eingehen, und so kamen viele Produkte verspätet haraus." Aus diesem Grund bezeichnet der Manager die Verabschiedung von Version 1.1 des Bluetooth-Standards als einen "wichtigen Schritt" für die Entwicklung der Technik. Er ist sicher, dass nun die Zeit reif ist für die Funktechnik: "Die neue Spezifikation ist sehr gut, die Chipsets stehen zur Verfügung, und die Zertifizierung der Produkte läuft." Johanssons Schätzung zufolge haben bereits mehr als hundert Produkte das Bluetooth-Siegel erhalten. Auf der CeBIT 2001 war eine breite Palette von fertigen Produkten zu sehen: Das Spektrum reichte von kabellosen Headsets über Bluetooth-Module für Laptops und Rechner, Eingabestifte für Palms bis hin zu Servern, die Bluetooth-Geräten den Zugang zum Telefonnetz oder dem Internet ermöglichen.

Bluetooth als Funk-LAN

Das Einsatzgebiet des Verfahrens geht bereits jetzt über den ursprünglich geplanten Ansatz hinaus, die Technik lediglich als Kabelersatz zwischen Peripheriegeräten zu benutzen. Es gibt sogar Stimmen, die in Bluetooth einen Ersatz für Funk-LANs auf Basis des Standards 802.11 des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) sehen. Oliver Weissmann, Diplomingenieur am Institut für Nachrichtenübermittlung der Universität Siegen, betont die Vorzüge von Bluetooth gegenüber Funk-LAN-Netzen. "Bluetooth hat den klaren Vorteil, dass damit ausgestattete Geräte ohne große Probleme gleich miteinander kommunizieren können" Bei Funk-LANs sei hingegen immer ein zentraler Hub beziehungsweise eine Basisstation vonnöten, die dann auch mit einem Rechner und dem Stromnetz verbunden werden müsse. Daher könne dabei nicht von Ad-hoc-Networking gesprochen werden. Weissmann betont außerdem die deutlich geringeren Kosten für Bluetooth, das momentan zwar noch niedrigere Transferraten biete als 802.11, die jedoch für Massenanwendungen gerade im Heimbereich (etwa Spiele) völlig ausreichten.

Anoto-Mann Johansson sieht Bluetooth nicht unbedingt als Ersatz für das drahtlose lokale Netz. Er ist vielmehr überzeugt, dass es langfristig auf eine Koexistenz von Bluetooth und Wireless LAN hinauslaufen wird. Er argumentiert, beide Verfahren eigneten sich für unterschiedliche Szenarien: "Einen Kopfhörer, eine Maus oder eine Tastatur kann man nur schlecht über Funk-LAN mit einem Rechner verbinden. Zudem brauchen Funk-LAN-Geräte eine bestimmte Funkleistung, die kleine Batterien, wie man sie bei Bluetooth hat, nicht erbringen können." Der Manager weist darauf hin, dass hinter Funk-LANs zudem immer die Idee steht, ein Netz aufzubauen, was ein bestimmtes Maß an Konfiguration und Administration erfordert. Sein Fazit lautet daher: "Wireless LAN kann die Kabel ersetzen, die von Zimmer zu Zimmer verlegt werden müssen, und Bluetooth eignet sich dafür, den Zugang zu einem normalen oder einem kabellosen Netz herzustellen."

Version 1.1 der Bluetooth-Spezifikation enthält bereits ein spezielles Profil, das den Zugriff auf lokale Netze beschreibt. Bluetooth-Terminals brauchen dafür einen Local Access Point (LAP), um auf Dienste im Netz zuzugreifen. Sie können mit Hilfe des LAP selbstverständlich auch untereinander kommunizieren. Die Spezifikation sieht vor, dass Bluetooth beim LAN-Zugang das von der Internet Engineering Task Force IETF standardisierte Point-to-Point Protocol (PPP) benutzt. Dieses hat den Vorteil, dass es Verschlüsselungs- und Authentifikations-Mechanismen enthält und für den Transport verschiedener Protokolle wie IP oder IPX geeignet ist. Allerdings ist das LAN-Zugriffs-Profil eingeschränkt. Es beschreibt lediglich, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein einzelnes oder mehrere Bluetooth-Geräte Zugang zu einem lokalen Netz erhalten, außerdem deckt es die Kommunikation von PC zu PC über die Emulation einer seriellen Kabelverbindung ab. Themen wie LAN-Emulation oder Conferencing sind derzeit noch nicht in dem Profil enthalten. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass speziell für diese Szenarien noch eigene Profile erstellt werden.

Probleme im Unternehmensumfeld

Auch wenn Bluetooth nicht als Ersatz für 802.11-Netze genutzt werden soll, so gibt es noch andere Schwierigkeiten, die einem Einsatz im Unternehmensumfeld entgegenstehen. Dazu gehören etwa die Interferenzprobleme, die beim gleichzeitigen Betrieb von Funk-LANs und Bluetooth-Geräten auftreten. Über die Schwere der Störungen ist die Industrie geteilter Meinung: So haben Tests unter anderem von Symbol Technologies und Toshiba gezeigt, dass Bluetooth und Wireless LAN sich gegenseitig nur beeinträchtigen, wenn die Sender sehr nahe beisammen sind (weniger als 50 Zentimeter Zwischenraum). Bei einem Abstand von mehr als drei Metern seien lediglich "geringe Störungen" feststellbar. Demnach seien vor allem Probleme für Laptops oder PCs zu erwarten, die beide Verfahren nutzen wollen.

Das IEEE hingegen stellte in einem 1998 veröffentlichten Bericht fest, bereits ein zur Hälfte ausgelastetes Bluetooth-Piconetz könne die Übertragungsrate eines benachbarten 11-Mbit/s-Funk-LANs auf 6,6 Mbit/s drücken. Anoto-Vertreter Johanssen räumt bei gleichzeitigem Betrieb von Bluetooth-Komponenten und 802.11-Netzen "gewisse Beeinträchtigungen für Funk-LANs" ein, von ernsthaften Problemen könne aber keine Rede sein. Für den Spezialisten steht auf jeden Fall Bluetooth auf der Gewinnerseite, weil das Verfahren wesentlich häufiger die Frequenz wechselt als 802.11: Während Bluetooth 1600 Sprünge pro Sekunde macht, sind es bei Funk-LAN nur 100. "Stark vereinfacht ausgedrückt ist die Wahrscheinlichkeit, dass Bluetooth-Übertragungen im Vergleich zu kabellosen LANs leiden, um den Faktor 16 geringer", fasst Johansson zusammen. Er sieht die Lösung des Konflikts darin, dass Funk-LAN früher oder später schon aus Gründen der Bandbreite den 2,4-Gigahertz-Bereich verlassen und in den Fünf-Gigahertz-Bereich wechseln wird.

Das Problem mit Geräten, die sowohl Bluetooth als auch 802.11 unterstützen sollen, lässt sich aber auch dadurch lösen, den Sender so zu konstruieren, dass er die an einem bestimmten Ort zur Verfügung stehenden Funkverfahren erkennt und entscheidet, welches am besten geeignet ist. Eine solche Lösung hat etwa der Hersteller Mobilian entwickelt. Denkbar wäre auch die Implementierung eines Verfahrens, das immer nur einen der Sender übertragen lässt: Funkt Bluetooth, ist Funk-LAN still und umgekehrt.

Ein weiterer Punkt, der die Nutzung in Unternehmen gefährdet, ist die Integration in Anwendungen. Als einer der Vorzüge von Bluetooth nennen Hersteller immer wieder, dass damit Datenbestände etwa auf PDAs und PCs ohne Zutun des Anwenders synchronisiert werden können. Tatsächlich enthält die Spezifikation auch ein Synchronisationsprofil, doch müssen nun Hersteller wie Lotus oder Microsoft entsprechende Anpassungen für ihre Software schreiben, damit diese von dieser Funktion Gebrauch machen können. Bis das geschehen ist und auch die anderen Unklarheiten beseitigt sind, sollten Unternehmen vorsichtig sein, was den Einsatz von Bluetooth betrifft. In Umgebungen mit Funk-LAN-Netzen empfiehlt es sich, ganz auf eine Mischnutzung zu verzichten. Nicht schaden kann es jedoch, das Verfahren in ausgewählten Bereichen einzusetzen, um damit praktische Erfahrungen zu sammeln.

Eroberung des Heimbereichs

Einer ausgedehnten Verwendung im öffentlichen Bereich steht hingegen nichts im Wege. Bluetooth-Spezialist Johansson glaubt, dass sich in Hotels, an Bahnhöfen oder Flughäfen schnell Anwendungsmöglichkeiten für die Funktechnik ergeben werden.

Dieser Meinung sind auch Anbieter wie Red-M, Ericsson oder Mindloc. Sie haben Zugangs-Server entwickelt, auf die Anwender mittels Bluetooth zugreifen können, um Informationen abzurufen oder ins Internet zu gehen. Höchstwahrscheinlich wird Bluetooth aber auch im Heimbereich seinen Platz finden. Johansson ist sich sicher: "Warum sollte jemand seinen PC und Peripheriegeräte zu Hause via Funk-LAN vernetzen, wenn diese Produkte sowieso schon mit Bluetooth ausgerüstet sind?" Hier sind nun die Anbieter gefordert, diese Voraussetzung zu erfüllen. Zumindest Intel gibt sich zuversichtlich.

In spätestens drei bis fünf Jahren, so Frank Spindler, General Manager der Mobile Platform Group bei dem Chipriesen, werde Bluetooth zur Grundausstattung jedes Notebook-Rechners gehören. Bis dahin werden die Anwender auf Steckkarten von Xircom, Acer oder Toshiba zurückgreifen müssen, um mit ihren Rechnern die Funktechnik nutzen zu können. Speziell im privaten Umfeld bieten sich neben der Vernetzung von Rechnern oder Peripheriegeräten aber viele weitere Einsatzmöglichkeiten an. So könnte Bluetooth etwa die Infrarotverbindung in Fernbedienungen ersetzen. "Technisch ist das überhaupt kein Problem", kommentiert Johansson.

Es wäre aber auch denkbar, den schnurlosen Telefonen auf Basis des Standards Digital Enhanced Cordless Telephony (Dect) mit Bluetooth das Wasser abzugraben. Die Bluetooth-Spezifikation 1.1 enthält bereits ein eigenes Profil speziell für diesen Anwendungsbereich. Die Basisstation, die an das öffentliche Netz angeschlossen wird, fungiert in diesem Zusammenhang dann als Master-Einheit, mit der bis zu sieben Bluetooth-Slaves (Anrufbeantworter, Fax, PC oder schnurloses Telefon) gekoppelt sind. Das Profil sieht aber auch vor, dass Handys via Bluetooth auf eine Festnetz-Basisstation zugreifen. Benutzer könnten so Kosten sparen, da eine teure Mobilfunkverbindung in diesem Szenario nur dann aufgebaut wird, wenn keine Verbindung zu einer Basisstation hergestellt werden kann.

Allerdings ist Dect im Bereich der schnurlosen Telefonie inzwischen sehr gut etabliert. Es sendet in einem speziellen Funkspektrum, ist inzwischen auch billig und - wie etwa der Hersteller Ascom beteuert - abhörsicher. Johansson ist jedoch der Meinung, dass die Dect-Bastion dennoch in ein paar Jahren bröckeln kann: "Wenn immer mehr Bluetooth-Geräte im Haushalt zu finden sind, wird Dect es irgendwann auch im Bereich Telefonie schwer haben." Glaubt man den Analysten der Cahners In-Stat Group, könnte dies schon im Jahr 2005 der Fall sein.

Die Auguren gehen davon aus, dass bis 2005 pro Jahr rund 1,4 Milliarden Bluetooth-taugliche Geräte ausgeliefert werden. Auch Ovum bescheinigt dem Funkverfahren "das Potenzial, die Rolle der kabellosen Vernetzung signifikant zu verändern". Jetzt muss Bluetooth zeigen, ob es diesem Anspruch gerecht werden kann.

So funktioniert Bluetooth

Die nach dem Wikingerkönig Harald Blauzahn benannte Kurzstreckenfunktechnik Bluetooth benutzt das lizenzfreie Industrial-Science-Medical-(ISM-)Band mit 2,4 Gigahertz. Fester Bestandteil des Verfahrens sind Verschlüsselungs- und Authentifizierungsmechanismen. Zusammen mit dem zugrunde liegenden Frequenzsprungverfahren (pro Sekunde wird nach einem Schema, das vor der Übertragung ausgehandelt wird, bis zu 1600-mal die Frequenz gewechselt) soll dies für ausreichend Sicherheit und Abhörschutz sorgen.

Momentan erlaubt Bluetooth wahlweise asynchronen Datenverkehr mit 721 Kbit/s und 57,6 Kbit/s oder synchronen Betrieb mit 432,6 Kbit/s pro Kanal. Außerdem stehen pro Einheit bis zu drei Sprachkanäle à 64 Kbit/s zur Verfügung. Die nächste Version der Bluetooth-Spezifikation ist bereits in Arbeit. Sie könnte Angaben der Special Interest Group zufolge bereits Ende 2001 verabschiedet werden und die Übertragungsgeschwindigkeit der Funktechnik auf bis zu 10 Mbit/s erhöhen.

Das Besondere an Bluetooth ist, das mit dem Verfahren ausgerüstete Geräte sofort miteinander Kontakt aufnehmen können, wenn sie sich nahe genug beieinander befinden. Dabei schließen sich bis zu acht solcher Maschinen automatisch zu einem so genannten Piconetz zusammen, das eine der Einheiten als "Master" kontrolliert. Obwohl immer nur jeweils acht Geräte pro Piconetz gleichzeitig aktiv miteinander kommunizieren können, dürfen sich weit mehr Bluetooth-Geräte darin aufhalten (über 200) - bloß müssen diese sich dann in einem passiven Zustand befinden. Mehrere Piconetze wiederum können Scatternetze bilden.

Ein Vorteil von Bluetooth besteht darin, dass es - im Gegensatz etwa zu Infrarottechniken - keine Sichtverbindungen zwischen den an einer Kommunikation beteiligten Geräten erfordert. Übertragungen (sowohl im Punkt-zu-Multipunkt- als auch im Punkt-zu-Punkt-Modus) funktionieren auch durch festes, nichtmetallisches Material (etwa Wände) hindurch. Außerdem dürfen sich Sender und Empfänger in einer Entfernung von bis zu zehn Metern frei bewegen, während sie kommunizieren. Bis zu hundert Meter sollen möglich sein, wenn man die Ausgangsleistung des Senders entsprechend erhöht.

Die Bluetooth-Module verbrauchen sehr wenig Strom. Nach Angaben des Herstellers Rohde & Schwarz beträgt die Lebensdauer einer Batterie mit 600 Milliamperestunden Leistung im Standby-Modus (Leistungsaufnahme 0.3 Milliampere) etwa drei Monate. Bei Daten- und Sprachübertragungen (Leistungsaufnahme sechs bis zehn Milliampere) reicht der Akku 60 bis 100 Stunden. Im Hold- und Park-Modus, wenn Geräte nicht aktiv an der Kommunikation beteiligt sind, aber innerhalb von zwei Millisekunden Daten übertragen können, soll die Batterie ein Jahr halten.