Der Markt für Dokumenten-Management-Software

Blühende Geschäfte mit dem Chaos

24.09.2004
Von Stefan Ueberhorst
Dokumententechnologien haben für IT-Manager wieder hohe Priorität. Der Markt wächst, und das ist eine Chance für die in Deutschland von nationalen Anbietern geprägte Branche.

Zwei spektakuläre Übernahmen erregten im vergangenen Jahr den Dokumenten-Management-Markt. Selbst für Szenekenner kam es überraschend, als Speicherhersteller EMC die zu den führenden Content-Spezialisten zählende Firma Documentum übernahm. Eine sinnvolle Strategie, wie die folgende Analyse schnell ergab. Neben dem reinen Hardwaregeschäft will EMC auch von margenträchtiger Software profitieren, und was liegt da näher, als Geräte zur physischen Verwaltung von Dokumenten mit Programmen zu kombinieren, mit denen sich auch deren Inhalte kontrollieren lassen. Nur wenige Wochen später setzte die Firma Opentext mit der Übernahme von Ixos den Akquisitionsreigen fort. Hier lag der Fall allerdings insofern anders, als beide Hersteller ihre Systeme auf kollaboratives Dokumenten-Management getrimmt haben und der

Merger deshalb eher als eine Verschmelzung von Marktanteilen zu werten ist. Sollte dies der Auftakt zu der Konsolidierung sein, die Experten dem Content-Management-Lager schon seit Jahren voraussagen?

Die Bewertung der Marktbeobachter ist unterschiedlich, unter dem Strich kommen sie jedoch zum gleichen Ergebnis. Die Marktkonsolidierung sei im Gang, doch die Aufkäufe, die bislang vornehmlich zur Ergänzung eines Technologieportfolios dienten, werden künftig verstärkt zur Erhöhung von Marktanteilen getätigt, so die Meinung von Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der Hamburger Project Consult GmbH.

Im Gegensatz dazu mag Bernhard Zöller, Chef der in Sulzbach/Taunus ansässigen Zöller & Partner GmbH, nicht von einer Konsolidierung sprechen. Die beiden genannten Übernahmen würden den ECM-Markt sicher verändern, doch man beobachte weder ein Verschwinden ganzer Produktpaletten noch eine Reduktion der Herstellerzahl. Denn Tatsache sei auch, und darin sind sich beide Experten einig, dass aus den Randbereichen immer neue Firmen in die von Kampffmeyer als Document Related Technologies bezeichnete Branche vorstoßen. Die Aufgabenstellung "Enterprise Content Management" (ECM) sei zu heterogen, als dass sie wenige Anbieter abbilden könnten.

Auch für kleine Budgets erschwinglich

Dabei war der Markt für Dokumenten- und Content-Management lange Zeit nicht so richtig aus den Startlöchern gekommen. Doch in den letzten Jahren stellen die Experten eine klare Aufwärtsentwicklung fest, einige Anbieter sprechen von zweistelligen Zuwachsraten im Lizenzgeschäft. Grund dafür ist, dass die ehemaligen Kostentreiber wie Repository-Speicher, große Bildschirme und schnelle PCs beziehungsweise Server jetzt eher eine untergeordnete Rolle bei den Investitionen spielen, so dass auch Anwender mit kleineren Budgets ihren Bedarf im Umfeld der elektronischen Dokumentenverwaltung abdecken. Dies hat zur Folge, dass in Deutschland neben den großen internationalen Anbietern wie IBM, Filenet, Opentext und Documentum vor allem die kleineren nationalen Hersteller erfolgreich auftreten. Denn der Nachteil der großen Systeme, die in den letzten Jahren komplett auf Three-Tier-Architekturen umgestellt wurden, liegt in der für den Mittelstand und die Abteilungsebene viel

zu hohen Komplexität und in den damit verbundenen Integrationskosten. Insofern könne man sagen, so Zöller, dass die Modernisierung der Systeme auch dazu geführt hat, dass sich die großen Anbieter eher vom Mittelstand entfernt haben.

Hinsichtlich der Funktionen verfügen viele Produkte heute standardmäßig über einen Umfang, der vor fünf oder zehn Jahren noch den Kauf mehrerer Systeme erfordert hätte. Den derzeitigen Produkttrend bringt Kampffmeyer mit der Formulierung "Anwenderbedürfnisse treiben den Markt" auf den Punkt. Hersteller orientierten sich immer mehr an den realen Anforderungen der Anwender. Nicht mehr leere Produkthülsen, sondern spezialisierte Lösungen für aktuelle Aufgaben seien heute zu finden. Dazu gehörten beispielsweise vorkonfigurierte Out-of-the-Box-Systeme, Produkte zur rechtssicheren Archivierung, virtuelle elektronische Akten sowie Programme zur Entlastung von E-Mail- und ERP-Plattformen. Da sich die Angebote der einzelnen Kategorien funktional kaum mehr unterscheiden, werde die Systemauswahl sehr stark von Faktoren wie

der zu erwartenden Rentabilität und den Kosten für Erwerb und Betrieb bestimmt.

Doch trotz solcher Produktanpassungen stellt sich der Markt für Anwender nach wie vor sehr zersplittert dar. Ob Enterprise- oder Web-Content, Portale oder Collaboration: Rund um das klassische Dokumenten-Management haben sich mittlerweile derart viele Spielarten gruppiert, dass Interessenten zunächst gezielt die wahren Kompetenzen eines Herstellers ermitteln müssen.

Die Qual der Wahl

Selbst wenn man sich dafür nur unter den "Marktführern" der Branche umsehen will, ist das Produktspektrum immer noch groß. Sieht man einmal von Collaboration-Anbietern wie Microsoft und Lotus ab, deren Systeme letztlich auch "Dokumente managen", zählt Zöller zu den großen internationalen, in Deutschland vertretenen Herstellern die Firmen Filenet, IBM, Documentum und die mit der Übernahme von Ixos deutlich gewachsene Opentext. Da es von diesen Unternehmen keine offiziellen Zahlen zu ihren deutschen Umsätzen gibt, lässt sich laut Zöller auch kein seriöses Ranking vornehmen. Als Anhaltspunkt gibt der Berater allerdings einen groben Richtwert, wonach diese Firmen etwa zehn bis 15 Prozent ihres weltweiten Umsatzes in Deutschland tätigen. Demnach könnte das grob geschätzt für Filenet ein deutsches

Geschäft in Höhe von 30 bis 40 Millionen Euro bedeuten, während Documentum im Bereich von 30 bis 45 Millionen Euro läge. Opentext allein käme auf etwa 15 Millionen Euro - Ixos würde dazu weitere 40 Millionen Euro beisteuern, sofern der Hersteller 30 bis 40 Prozent seiner Umsätze in Deutschland einfährt.

Schwer einzuschätzen - die IBM

Als besonders schwer einzuschätzender Kandidat gilt IBM, die ihre Content-Lösungen unter dem Dach des Daten-Managements zusammen mit DB2 und anderen Produkten einordnet. So ist nicht bekannt, inwieweit der Hersteller seine Umsätze mit "DB2 Content Manager", dem eigentlichen ECM-Produkt, und den übrigen Content-orientierten Lösungen etwa aus der Lotus- und Workplace-Plattform in einen Topf wirft. Auch ist nicht veröffentlicht, was der Hersteller in Deutschland im Bereich Content-Management direkt mit Professional Services erwirtschaftet oder was seine Dienstleistungssparte Global Services hier umsetzt.

Bekannt sind dagegen die Zahlen der nationalen Anbieter, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese in einigen Fällen einen wenn auch oft geringen Auslandsanteil enthalten. Beispiele für größere deutsche Hersteller sind SER mit rund 40 Millionen Euro, Easy (15 Millionen Euro), Ceyoniq (14 Millionen Euro), Saperion (zehn Millionen Euro) und Docuware (6,5 Millionen Euro).

Grob geschätzt geht Zöller davon aus, dass die internationalen Anbieter hierzulande etwa 200 Millionen Euro erwirtschaften (Lizenzen, Services und Wartung), während die rund 25 kleineren deutschen Anbieter zusammen genommen einen ähnlichen Umsatz erzielen. Hinzu komme noch das Geschäft mit Sonderprodukten wie AFP-Konverter, OCR/ICR-Lösungen und Scan-Software. Addiert man sämtliche Einnahmen aus Softwarelizenzen, Dienstleistungen, Hardware und die zusätzlichen Erlöse im Partnergeschäft, könnte sich in Deutschland ein Content-Management-Markt in der Größenordnung von einer Milliarde Euro ergeben, so die vorsichtige Vermutung des Beraters.

* Der Autor Stefan Ueberhorst ist Redakteur bei der Computerwoche. [sueberhorst@computerwoche.de]