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Biztalk versus XML.org

15.12.1999
Softwarehersteller lassen die Muskeln spielen

Von CW-Redakteur Frank Niemann

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Experten befürchten, Microsoft könne mit seiner Initiative "Biztalk" die Weiterentwicklung der Extensible Markup Language (XML) zu seinen Gunsten beeinflussen. Einige Konkurrenten des Softwaregiganten wollen lieber nichts dem Zufall überlassen und bündeln ihre Aktivitäten in der Vereinigung Oasis, um die reine XML-Lehre zu wahren. Trotz des Glaubenskrieges droht dem Standard XML keine Gefahr.

Die Fähigkeit der Extensible Markup Language, für einen plattformübergreifenden Datenaustausch zwischen Unternehmen zu sorgen, macht den Standard zum allgemein akzeptierten Format der Zukunft. Auf diese Weise lassen sich auch heterogene Systeme über eine Daten-Schnittstelle koppeln. Während TCP/IP das anerkannte Kommunikationsprotokoll ist und der Web-Browser das bevorzugte Tool zur Anzeige von Inhalten, avanciert XML zum Standard für das Formatieren und Austauschen von Daten.

Einige Experten fürchten jedoch, daß die Auszeichnungssprache in verschiedene Dialekte zerfallen könnte. Grund für ihr Unbehagen ist die von Microsoft gestartete Initiative Biztalk, mit der sich der Softwarekonzern zum Ziel gesetzt hat, für verschiedene Industrien XML-Schemata zu entwerfen. Einer der lautesten Kritiker ist IBM. "Microsofts XML läßt sich nicht anpassen", bemängelt zum Beispiel John Swainson, General Manager für Applications und Middleware in Big Blues Software Solutions Group. Außerdem würden alle XML-Schemata, die in Biztalk definiert werden, zum geistigen Eigentum dieser Initiative.

Microsoft will diese Vorwürfe so nicht stehenlassen. "XML ist grundsätzlich anpaßbar", hält Charles Fitzgerald dagegen. Der Program Manager der Internet Tools and Platforms Division des Softwarekonzerns bezichtigte Big Blue, Unruhe in die XML-Szene zu bringen, um sein eigenes System-Integrationsgeschäft zu schützen.

Selbst Simon Phipps, Chief XML and Java Evangelist bei IBM, relativierte die harsche Kritik des Firmenkollegen in einem Interview mit der COMPUTERWOCHE, kann sich aber dennoch nicht mit dem vom Softwarekonzern eingeschlagenen Weg anfreunden. "Der Vorwurf, Biztalk sei nicht offen, trifft so nicht zu", stellt Phipps fest. "Was am Microsoft-Ansatz jedoch stört, ist der Versuch, Biztalk als Marke für XML zu etablieren." Der Softwarehersteller verwende diese Bezeichnung einerseits für ein seinen Angaben zufolge offenes XML-Framework, andererseits aber auch als Produktnamen für eine proprietäre Server-Software. Sowohl IT-Anbieter als auch Kunden sollten sich nach Meinung des IBM-Managers genau überlegen, ob sie Microsoft dabei helfen wollen, die Marke Biztalk durchzusetzen.

IBM und einige andere Firmen formierten sich in der Initiative XML.org, die von der Organization for the Advancement of Structured Information Standards (Oasis) ins Leben gerufen wurde. Sie wollten einen Gegenpol zu Microsofts Biztalk schaffen. In beiden Lagern versammelten sich daraufhin Hersteller aus der IT-Branche sowie Firmen verschiedener Industriezweige. Während sich neben IBM auch Sun, Oracle, Informix sowie die deutschen Firmen Software AG und Poet Software zu XML.org bekennen, fanden sich Hersteller wie Ariba, Peoplesoft, J.D. Edwards, Baan sowie der Flugzeughersteller Boeing in der Microsoft-Initiative.

Ariba, Hersteller von E-Commerce-Software, stärkte die Position von Microsoft durch die Integration seines speziell für das elektronische Bestellwesen entworfenen Commerce XML (CXML) in das Biztalk-Framework. CXML beschreibt, wie Kunden und Lieferanten ihre Katalogdaten über das Internet austauschen können. Eine Vielzahl von Unternehmen akzeptiert CXML inzwischen als Standard und nimmt Einfluß auf dessen Weiterentwicklung.

Für Verblüffung in der IT-Szene sorgte die Software AG, die seit Jahren eng mit Microsoft zusammenarbeitet, in Sachen XML aber gemeinsame Sache mit den Kontrahenten der Gates-Company macht. "Die Biztalk-Initiative halten wir für nützlich, so lange Microsoft und diese Initiative den offenen XML-Standard unterstützen. Wir sehen aber keine Notwendigkeit, dort aktiv zu werden, da der XML-Standard im World Wide Web Consortium gepflegt wird", meint Peter Mossack, Leiter für Entwicklung und Forschung beim deutschen Softwarehaus.

Einige Softwarefirmen sind sich nicht so schlüssig und tanzen lieber auf beiden Hochzeiten. So sind beispielsweise Ariba-Konkurrent Commerce One und die Walldorfer Softwareschmiede SAP sowohl Mitglied in Microsofts Biztalk-Club als auch bei XML.org von Oasis - die Grenzen zwischen beiden Lagern sind offenbar durchlässig.

Daß beide Fraktionen in Grundsatzfragen nicht so weit auseinanderliegen, bestätigt auch Laura Walker, Executive Director des XML.org-Initiators Oasis. Ihr zufolge tauchen einige XML-Schemata sowohl in Microsofts Biztalk.org als auch in XML.org auf. Allerdings bestätigte Walker, daß Microsoft seine XML-Implementierungen an die eigenen Produkte anpaßt. Doch dies gefährde nicht den Standard an sich. "Jeder wird versuchen, die Entwicklung des XML-Standards in seine Richtung zu beeinflussen. Ich glaube aber, die Sprache ist so klar und präzise definiert, daß es für einzelne Softwarehersteller schwer sein wird, wirklich Einfluß darauf zu nehmen", bemerkt Tim Bray, Co-Autor der XML-Spezifikation.

Wohl aus taktischen Erwägungen trat im Juni dieses Jahres auch Microsoft als passives Mitglied der XML.org bei. Zwar besuchen Vertreter der Firma die Meetings der Organisation, doch wie XML-Produkt-Manager David Turner erläuterte, ist bisher noch nicht entschieden, ob man die Initiative unterstützen wird.

Rückenwind bekam XML.org jüngst durch eine Vereinbarung mit den Vereinten Nationen. Gemeinsam mit dem United Nations Centre for the Facilitation of Procedures and Practices for Administration, Commerce and Transport (UN/Cefact) startete das Industriekonsortium ein weltweites Projekt namens Electronic Business XML (EBXML) zur Standardisierung von Datenformaten im elektronischen Geschäftsverkehr. Unter der Führung von UN/Cefact entstand bereits der internationalen EDI-Standard Edifact. Im Rahmen des nun vorgestellten Projekts soll ein globales Rahmenwerk für den Datenaustausch zwischen Firmen via XML erarbeitet werden. Da wollte wohl auch Microsoft nicht außen vor bleiben und setzte sich auf die Teilnehmerliste.

Zwar lassen die Hersteller in beiden Gremien ihre Muskeln spielen, doch hat keiner von ihnen ein Interesse an einer Fragmentierung des XML-Standards. Somit brauchen Anwender ihre Projekte nicht auf die lange Bank zu schieben. XML hat eine derart breite Unterstützung durch die IT-Industrie, daß es eine große Auswahl an Produkten geben wird und niemand sich in die Abhängigkeit eines Herstellers begeben muß.