Bis auf die Knochen

15.04.1983

Die ersten Messetage bestätigten, was wir vor einer Woche an dieser Stelle andeuteten: CeBIT steht ganz im Zeichen der Mikros. Die neue Generation der Personal Computer (PC), auf Leistung und Kommunikationsfähigkeit getrimmt, verändert alte Ideen über verteilte Datenverarbeitung, das "Distributed Data Processing", wie es im DV-Englisch heißt. Da kommen US-Hersteller wie Corvus oder Tandy mit Konzepten nach Hannover, die die ungeteilte Aufmerksamkeit der deutschen DV-Fachwelt finden: In sogenannten "Backbone Networks", die das Rückgrat transaktionsorientierter Datenverarbeitung in mittleren und großen Organisationen bilden (to the backbone = bis auf die Knochen), nehmen intelligente Mehrplatz-Desktops die Rolle von Arbeitspferden ein. Was Wunder, daß den Herstellern von Mainframehörigen Datenstationen angst und bange wird.

Um den Wandel zu verstehen, muß man ein wenig in der Historie kramen. Der scheußliche Zungenbrecher " Distributed Data Processing" bedeutete doch für viele zunächst nichts anderes als dezentrale Datenerfassung, wenn's hoch kam Remote-Abfrage. Von Vor-Ort-Aktivitäten, die die Bezeichnung "Processing" verdient gehabt hätten, keine Spur. Gar nicht zu denken auch an eine anwendungsunabhängige Von-Rechner-zu-Rechner-Kommunikation innerhalb der unteren Dienstgrade. Der Host, sprich: der Boß, bestimmte, wie die Transaktion zu laufen hatte. IBMs Systems Network Architecture (SNA) stand für dieses Konzept, das keine Fisimatenten auf Benutzer-Ebene zuließ.

Die Zeiten haben sich, wie gesagt, geändert. Eigentlich dürfte den Anbietern von SNA- und SNA-fähigen Datenstationen nicht entgangen sein, daß neuerdings ein Druck von den Endbenutzern ausgeht, Kleincomputer für "persönliches" Informationshandling sowie bestimmte, abgrenzbare Fachbereichsaufgaben einzusetzen, zu anderen Zwecken jedenfalls, als den Mainframe-Rechner mit Futter zu versorgen, um von diesem Wiederkäuer anschließend die Ergebnisse in Form unübersichtlicher Listen oder "endloser" Tabellen zurückzubekommen.

In logische Konsequenz haben die Endbenutzer die Dinge mittlerweile selbst in die Hand genommen, wobei ihnen völlig schnuppe ist, daß sich einige DV-Halbgötter im "fernen" Rechenzentrum gegen diese Art der Emanzipation sperren, weil sie um ihre eigene Existenz fürchten. Nach Auffassung von Experten haben die Gurus in den DV-Abteilungen ohnehin bereits die beste Zeit verpaßt, die Entwicklung in Richtung DDP mit Mikros zum eigenen Vorteil zu beeinflussen. Zu viele schlaue Kleincomputer stehen bereits auf den Schreibtischen der Fachbereichsmanager, als daß das Personal Computing noch zurückgedreht werden könnte.

Freilich, clevere DV/Org.-Chefs wissen, wie weit ihr Arm reicht, haben erkannt, daß sie die Personal-Computer-Flut nicht stoppen können. Sie wollen sie eigentlich auch gar nicht stoppen und sind vielmehr bereit, Hilfestellung zu geben, wenn die Endbenutzer bei der Anwendungsentwicklung mit ihren Mikros auf die Nase fallen.

Es ist klar, daß genau dies passieren wird. Die Endbenutzer täten also gut daran, sich zurückzuhalten. Anstatt die DV-Abteilung abzuschießen, sie eliminieren zu wollen, sollten sie ihre eigene Arbeitsweise mit Blick auf die Möglichkeiten effektiven "Computerns" überprüfen. Die DV-Spezialisten sollten ihrerseits durch Kompromißbereitschaft verhindern, daß die Kluft zur Fachabteilung noch größer wird. Sonst könnte es passieren, daß sie am Ende zwischen den Stühlen sitzen und sich als DV-Dinosaurier gegenüber dem Topmanagement und den Benutzern blamieren - bis auf die Knochen.