Im Großunternehmen erprobte Einsatzmöglichkeiten neuester IuK-Techniken

Binnenmarkt-Wettbewerb zwingt zu Mehrwertdiensten

16.03.1990

"Wie Sand am Meer" gibt es Check-Listen, Hochglanz-Broschüren und Fachbücher, die den Segen der modernen Informations- und Kommunikationsmittel als Wettbewerbsinstrument preisen. Die meisten haben den Nachteil, diese Techniken hochzujubeln, "wie Blinde die Farbe". Die Autoren dieser grundlegenden Artikelserie sind Leute aus der Praxis. Sie haben das, was sie hier systematisch darstellen, im eigenen Hause realisiert oder doch zumindest projektiert.

Mit dem für 1992 geplanten europäischen Binnenmarkt stellt sich für viele Unternehmen die Frage, wie sie sich den veränderten Wettbewerbsbedingungen stellen sollen. Es ist erklärtes Ziel der politischen Gremien, mit dem Binnenmarkt dem Wettbewerb Impulse zu verleihen, um gegenüber den Vereinigten Staaten und Japan bestehen zu können.

Zentrale Bedeutung kommt der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologie zu, und zwar hinsichtlich der Verbesserung der Kostenstruktur vor dem Hintergrund der Produktivitätsdiskussion von teuren Personal beziehungsweise Know-how und als unternehmensstrategischer Wettbewerbsfaktor.

Besonders gilt es, staatliche Hemmnisse abzubauen. Dabei ist der Liberalisierung der Deutschen Bundespost hohe Priorität beizumessen. Gerade durch die Zulassung des Wettbewerbs im Bereich der Telekommunikations-Dienste kann unterstellt werden, daß kreative Anwendungen sowohl für das betriebswirtschaftliche Informations-Management als auch für die bundesdeutsche Volkswirtschaft wesentlich zur Stärkung im europäischen und internationalen Wettbewerb beitragen. Die Freigabe des Marktes, für Telekommunikations-Dienste erlaubt es Netzwerkanbietern, frei von beschränkenden Auflagen, wie Zusammenschaltungs- und Vermittlungsverboten, zukunftsweisende Mehrwertdienste zu entwickeln.

Neben den mehr volkswirtschaftlichen Faktoren bewirken technische Entwicklungen eine zusätzliche Dynamik. ISDN, das Breitband-ISDN, die neuen Möglichkeiten in der Medienbranche einschließlich der privaten Fernsehanstalten und die Erfolge in den Standardisierungsbemühungen (ISO, CCITT etc.) mit dem Ziel von OSI, lassen eine ganz neue Dimension von Anwendungen entstehen.

Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, eine Fülle verschiedener Telekommunikations-Anwendungen darzustellen, die vor allem als produktivitäts- und wettbewerbsstrategischer Faktor im Rahmen eines Informations-Managements von Bedeutung sind. Es wird die Auffassung vertreten, daß ohne eine barrierefreie Kommunikationsinfrastruktur eine effektive Generierung von Informationen und deren strategischer Einsatz nicht möglich sind.

Verhältnis Mitarbeiter zu Terminal 1: 1

Die Durchdringung von Großunternehmen mit DV-Anwendungen ist sehr weit fortgeschritten. Das Verhältnis Mitarbeiter/Terminal ist teilweise recht hoch und nähert sich dem Wert 1:1.

Seit einigen Jahren kann man die Entwicklung feststellen, daß in einer arbeitsteiligen, auf verstärkten Wettbewerb ausgerichteten Wirtschaft, der Inhouse-Host mit seinen gegebenenfalls angebundenen PCs und Abteilungsrechnern sein unternehmensinternes Inseldasein ablegen muß. Die Bedeutung der Rechner liegt nicht mehr in ihrer Abgeschiedenheit von der Außenwelt, sondern in der Verbindung mit anderen Systemen und in einem ungehinderten Datenaustausch.

Im Zuge wachsender Vernetzung mit dezentralen Rechnern müssen Kommunikationsstandards (Protokolle und Schnittstellen) rechnerunabhängig werden. Client-Server-Konfigurationen, die immer häufiger implementiert werden, beschleunigen diesen Prozeß. Die Unterstellung homogener Rechnerumwelten ist bei der wachsenden Anzahl von Anwendungen kaum noch aufrechtzuerhalten. Der Entwicklung offener Kommunikationssysteme (OSI) kommt unter wirtschaftlich-technischen Gesichtspunkten zentrale Bedeutung zu.

Trotzdem wird zunächst die eigentliche Datenkommunikation im Mittelpunkt des Interesses stehen. Das Modell eines zentralen Verarbeitungsrechners mit zahlreichen angebundenen intelligenten und unintelligenten Ein- und Ausgabegeräten, die national und international lokalisiert sein können, soll bemüht werden. Mit fortschreitender Terminalinstallierung und wachsender Anwendungsentwicklung steigt das Kommunikationsaufkommen progressiv an. Heute noch gängige Kommunikationsverbindungen, die von der Deutschen Bundespost Telekom zur Verfügung gestellt werden, beispielsweise Standleitungen mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 9,6 Kbit/s, reichen für die Belange durchorganisierter Großunternehmen mit stark frequentierten Verbindungen nicht mehr aus. Zusätzliche Verbindungen werden notwendig.

Nachweisbar ist, daß mit der Ausweitung der Bandbreite einer Verbindung zwischen zwei Orten mit großem Kommunikationsaufkommen die Übertragungskosten stark ansteigen. Während eine 9,6-Kbit/s-Verbindung zwischen Köln und München zirka 5000 Mark kostet, verdoppeln sich die Kosten bei zwei Leitungen.

Dies ist keine Entwicklung eines spezifischen Unternehmens. Auf der Basis wirtschaftlicher Maßstäbe muß die Frage gestellt werden, ob es nicht sinnvoller ist, wenn mehrere Unternehmen mit ähnlichem Entwicklungstrend gemeinsam ein Netz - ein Corporate Network - betreiben beziehungsweise die Dienste eines privaten Netzbetreibers in Anspruch nehmen. Wird unterstellt, daß vier Unternehmen je eine 9,6-Kbit/s-Verbindung zwischen Köln und München unterhalten, und somit jedes einzelne Unternehmen 5000 Mark pro Monat an die Deutsche Bundespost zu entrichten hat, rechnet sich eine Verbindung mit der nächst höheren Bandbreite, nämlich mit 64 Kbit/s. Die Bedürfnisse mehrerer Unternehmen würden gedeckt. In eine 64-Kbit/s-Verbindung lassen sich fünf bis sechs Verbindungen a 9,6 Kbit/s unterbringen, wobei eine 64-Kbit/s-Verbindung lediglich 2,4mal so teuer ist wie eine 9,6-Kbit/s-Verbindung, nämlich zirka 12 000 Mark kostet.

Unterstellt man des weiteren, daß es sich um Unternehmen handelt, die ein weit verbreitetes Datenfernübertragungs-Netz in der Bundesrepublik Deutschland unterhalten, so lassen sich über diesen Mengenrabatt (Kapazitätsarbitrage) erhebliche Einsparungen erwirtschaften.

Dies um so mehr, als sich bei einer noch größeren Zahl von Unternehmen, die dieses Corporate Network nutzen, ab einem bestimmten Umfang 2-Mbit/s-Verbindungen rechnen, die, bezogen auf das obige Beispiel, 120000 Mark kosten. 200 9,6-Kbit/s-Leitungen könnten über eine 2-Mbit/s-Verbindung abgewickelt werden, wobei der Break-even-Point bereits bei einer Teilnehmerzahl von 24 erreicht wird (Bild 1).

Ein weiterer wirtschaftlicher Aspekt läßt sich unter dem Begriff "Entfernungsarbitrage" darstellen. Hat ein privater Netzbetreiber einmal ein Netz aufgebaut, lassen sich die Möglichkeiten einer entfernungsbezogenen Tarifierung nutzen. Dies soll an folgendem Beispiel dokumentiert werden:

In einem Netz, das die Orte Köln, Hamburg und München verbindet, könnte eine Leitung Köln-Lübeck integriert werden. Der Netzbetreiber müßte nur noch die Verbindung Hamburg-Lübeck herstellen und das gesamte Netz entsprechend dimensionieren. Der Anwender hätte dann die Verbindung Köln-Lübeck zu bezahlen.

Für den Anwender ergeben sich bei Wählverbindungen wirtschaftliche Vorteile. Hier sind die Preise nach Entfernungen gestaffelt. Je größer die Entfernung, desto höher die Gebühren. Eine Datenübertragungs-Verbindung über das Fernsprech-Modem zwischen Köln und Hamburg würde normalerweise in 20 Sekunden 0,23 Mark kosten. Über das oben angesprochene Dreiecksnetz kostet eine Verbindung im Ortsnetz für acht Minuten 0,23 Mark.

Eventuell sind auf beiden Seiten Ortsverbindungen notwendig, so daß 0,46 Mark für acht Minuten aufgewendet werden.

Jedenfalls ergibt sich ein Kostenreduktionsfaktor von 1:12 (Bild 2).

Allein das Abstellen auf die Wirtschaftlichkeit ist für den Betrieb privater Netze zu wenig, da der öffentliche Netzbetreiber aufgrund seiner Monopolstellung über eine Veränderung der Gebührenstruktur die Tarifarbitrage aufheben könnte.

Der wirtschaftliche Aspekt aufgrund der Tarifarbitrage darf nicht der einzige Grund für die Gründung und Nutzung von Corporate Networks sein. Darüber hinaus gibt es genügend technische und anwendungsbezogene Gründe, die für ein gemeinsam betriebenes Netz mit interessanten Diensten sprechen.

Anwenderunternehmen sollten sich die Frage stellen, ob vor dem Hintergrund wachsenden Wettbewerbsdrucks für bisher intern erbrachte Dienstleistungen nicht besser spezialisierte externe Anbieter (zum Beispiel Carrier) zu beauftragen sind, um sich so intensiver dem eigentlichen Geschäftsziel zuwenden zu können. Nach dem Prinzip der Arbeitsteilung kann so gewährleistet werden, daß trotz Einsatz hoher Investitionsmittel für neue technische Einrichtungen eine wirtschaftlich optimale Lösung realisierbar ist. Es geht mithin um die Erschließung von "economies of scale".

Um dies zu spezifizieren, sei zunächst die technisch-anwendungsbezogene Unterscheidung in Value-added-Network-Services (VANS) und Value-added-Services (VAS) getroffen. VANS sind vor allem im Zusammenhang mit der technischen Ausgestaltung und netznahen Services zu sehen. Demgegenüber stehen VAS vor allem für Anwendungen, die den Enduser direkt unterstützen.

(wird fortgesetzt)