Bindels: Alle Funktionen an jeder Netzstelle realisieren

10.06.1977

Was sind die zwingenden Gründe für einen EDV-Hersteller, eine Gesamtkonzeption für "Distributed Processing" vorlegen zu müssen?

Der eigentliche Grund liegt darin, daß Distributed Systems (DS) für Hersteller und Benutzer nicht nur Vorteile in Form von kostengünstigen Möglichkeiten bieten. Die Kehrseite der Medaille ist, daß sie eine Problemvielfalt mit sich bringen, die im Rahmen des "Centralized Processing" - zumindest für den Benutzer - nicht existiert. Das wird am besten klar, wenn man sich vor Augen führt, daß Informationsverarbeitung grundsätzlich - wenn auch in unterschiedlicher Komplexität - in die drei Elementar-Funktionen Datenmanagement, Datenverarbeitung und Netzwerksteuerung zerfällt. Da man davon ausgehen kann, daß längerfristig kaum noch Computer ohne TerminaIs installiert werden, ist die dritte Komponente auch im Rahmen des Centralized Processing immer gegeben, wenn man die Installation von Terminals zur Direktverarbeitung als einfachste Form eines Netzes definiert. Der große Vorteil für den Benutzer im Centralized Processing besteht darin, daß die drei Komponenten der Informationsverarbeitung mehr oder minder optimal aufeinander abgestimmt sind, da alle drei Elementar-Funktionen im zentralen Rechner vorgenommen werden.

Komplexe Strukturen

Der große Nachteil von Distributed Systems - bei allen bekannten Vorteilen gegenüber dem Centralized Processing - liegt nun darin, daß ex definitione für jede Art der Informationsverarbeitung immer ein Netzwerk entsteht, das sich wesentlich komplexer darstellt. Ist es doch im Rahmen der Distibuted Systems möglich, an jede Stelle des Netzes - hierarchisch, horizontal, hybrid, vermascht - Intelligenz und Speicherkapazität hinzubringen, so daß Datenmanagement, Datenverarbeitung und Netzwerksteuerung in beliebiger Tiefe realisiert werden können. Dies ist auf den ersten Blick ein Vorteil. Es erweist sich aber ohne Vorliegen eines Gesamtkonzeptes als Stolperstein, da die Problematik der Abstufung der Intelligenz exponentiell zunimmt, wenn man - wie im Rahmen der Distributed Systems möglich - an jeder Stelle des Netzes beliebige Tiefen der drei Komponenten der Informationsverarbeitung realisieren kann.

Wer sagt nun dem Benutzer, an welcher Stelle er was in welcher Tiefe in der Informationsverarbeitung tun soll, und wer garantiert dem Benutzer, daß er die einzelnen Stellen des Netzwerkes, den wechselnden Anforderungen entsprechend, mit bestehenden oder zukünftigen Produkten erweitern oder reduzieren kann, ohne in Probleme hineinzulaufen?

Einheitliches Architekturprinzip

Ein Blick auf die komplexen Netzwerkstrukturen - angefangen von der einfachen hierarchischen bis hin zu der vermaschten Netzstruktur - verdeutlicht, daß die technische Realisierung dieser Netzwerke im Rahmen des Distributed Processing umfangreiche Probleme hinsichtlich der Netzwerkarchitektur mit sich bringt. Und dabei ist die einheitliche Netzwerkarchitektur nur ein Baustein eines DP-Gesamt-Konzeptes, da sie lediglich einen kleinen Teilbereich der Möglichkeiten und Problematiken darstellt. Die eigentlichen Möglichkeiten und die daraus sich ableitenden Problematiken liegen bei den Distributed Systems - wie gesagt - darin, daß es möglich sein muß, an jeder Stelle des Netzes die drei Elementar-Funktionen der Informationsverarbeitung in beliebiger Kombination und Tiefe zu realisieren.

Daraus leitet sich. .. die Zielsetzung ab, daß in Netzen mit Distributed Systems-Charakter an jeder Stelle des Netzes die drei Elementar-Funktionen der Informationsverarbeitung in beliebiger Kombination und Tiefe mit Standard-Produkten (Hardware, Software, Methoden, Dienstleistungen) weitgehend abgedeckt werden können.

Aus dieser Vielfalt von Möglichkeiten und den sich daraus ableitenden Problematiken ist unschwer zu erkennen, daß das Konzept der Distributed Systems unweigerlich in die Sackgasse gerät, wenn nicht heutige und zukünftige Produkte eines Herstellers streng im Rahmen einer Gesamtkonzeption entwickelt werden, wie sie Honeywell Bull neuerdings mit DSE (Distributed Systems Environment) hat (siehe S. 17).