Bill Gates und die "collective mania" Ueber den Information-Highway zum digitalen "Global Village"

08.04.1994

Von CW-Redakteur Gerhard Holzwart

MUENCHEN - Gross war der Katzenjammer, aber kurz. Die Rede ist vom Scheitern der geplanten Uebernahme des Kabelfernsehsenders TCI durch die Telefongesellschaft Bell Atlantic, das vor wenigen Wochen so manchen US-amerikanischen Information-Highway- Enthusiasten Truebsal blasen liess. Doch die Multimedia-Euphorie jenseits des Atlantiks haelt an; das Karussell der Allianzen zwischen Medienkonzernen, Netzbetreibern und DV-Herstellern dreht sich weiter - und ein Name ist dabei immer oefter in aller Munde: der des Softwareriesen Microsoft.

Es war eine fuer viele Beobachter voellig neue und ungewohnte Rolle, in die Microsoft-Chef Bill Gates waehrend einer Rundreise durch Fernost, Australien und Europa in den vergangenen Wochen schluepfte, naemlich in die des einsamen Rufers in der Wueste. Die ganze stattfindende Information-Highway-Diskussion duerfe, wie Gates in zahlreichen Vortraegen und Symposien seiner erstaunten Zuhoererschaft fast gebetsmuehlenhaft einhaemmerte, nicht zu einer "collective mania" fuehren - einer Art Multimedia-Wahn, dessen Opfer sich mehr oder weniger ausschliesslich auf den Unterhaltungsbereich konzentrieren. Tendenzen dieser Art koennten sich, so der Gruender der Redmonder Erfolgs-Company, schnell als Weg in die Sackgasse erweisen, wenn nicht zuerst die Entwicklung weitaus wichtigerer kommerzieller Multimedia-Anwendungen in Angriff genommen werde.

Nachdenkliche Worte wie diese standen denn auch bis vor kurzem im Gegensatz zu der von US-Praesident Bill Clinton und vor allem von seinem Vize Al Gore vorangetriebenen neuen Medien- und TK-Politik. Erst der nicht zustandegekommene, voreilig schon als Firmenuebernahme des Jahrhunderts gepriesene Merger zwischen der Baby-Bell-Company Bell Atlantic und dem Kabelfernsehnetzbetreiber TCI wirbelte die Multimedia-Visionen vieler Experten kurzzeitig wie ein Hurrikan durcheinander. Zumindest nahm man vielerorts schon stillschweigend Abschied vom Traum eines allumfassenden elektronischen Schlaraffenlandes, das allen beteiligten Herstellern, Netzbetreibern und Anbietern von Programminhalten astronomische Wachstumsmaerkte versprach.

Doch seit sich vor drei Wochen der Medienkonzern Viacom fuer zehn Milliarden Dollar die Paramount-Hollywood-Studios unter den Nagel riss, ist die Welt der meisten Multimedia-Euphoriker wieder in Ordnung. Die selbstverordnete Denkpause derer, die das US- amerikanische Uebernahme-Karussel staendig antreiben, war jedenfalls kurz. So gut wie niemand spricht mehr von der von Bill Gates skizzierten Gefahr, dass der zukuenftige digitale Information- Highway am Ende zu einer Art Einbahnstrasse fuer Dienste wie Video on demand oder interaktives Fernsehen degenerieren koennte. Dies um so weniger, als sich mit Ex-Apple-Chef John Sculley (der auch im von der Clinton-Administration eingerichteten Advisory-Board fuer die sogenannte "National Information Infrastructure" sitzt) bereits ein neuer Experte fand, der der Multimedia-Branche allein in den USA bis zur Jahrtausendwende Umsaetze von mehr als drei Billionen Dollar prophezeit.

Aber auch die Gates-Company hat, wie es scheint, ihr Pulver in Sachen zukuenftige Informationsgesellschaft laengst noch nicht verschossen. Schon seit geraumer Zeit schien klar, was die Strategen in Redmond bei ihrem Multimedia-Engagement im Schilde fuehren. Der Quasi-Monopolstellung im PC-Software-Markt soll auf Dauer ein vergleichbares Standing im kuenftigen Business- Multimedia-Marktsegment entsprechen; und dabei gilt es, Konkurrenten wie etwa den Datenbankhersteller Oracle, aber auch den Workstation-Spezialisten Silicon Graphics, mit dessen Simulationsrechner Hollywood-Streifen wie "Jurassic Park" inszeniert wurden, an den Rand zu draengen.

Schon vor Monaten hatte der ehrgeizige Microsoft-Chef angekuendigt, pro Jahr mehr als 100 Millionen Dollar in das Multimedia-Abenteuer zu investieren mit dem Ziel, dass sowohl bei den spaeteren Endgeraeten als auch bei den Daten-Servern im Hintergrund - sei es bei grossen Anwenderunternehmen oder bei den Netzbetreibern - nichts mehr ohne die Software aus Redmond geht. Rein auf den Consumer-Markt abzielende Dienste wie Video on Demand bezeichnete Gates dabei geringschaetzig als Abfallprodukt entsprechender Projektarbeiten - was sein Unternehmen jedoch nicht daran hindert, naechstes Jahr mit dem von Bell Atlantic verschmaehten Kabelfernsehsender TCI, mit dem uebrigens auch der deutsche Medienriese Bertelsmann zarte Bande geknuepft hat, in den US- Grossstaedten Seattle und Denver ein gemeinsam entwickeltes System fuer interaktives Fernsehen auszuprobieren. Entscheidend fuer den PC-Software-Guru ist dabei nur eines: Der PC oder eine spaetere Kombination aus PC und Fernsehgeraet muss, in welchem Anwendungsszenario auch immer, die alleinige Multimedia- Schaltzentrale bleiben.

Doch damit nicht genug. Im Gegensatz zu seinem vehementen Plaedoyer fuer die Forcierung von Business-Multimedia ueberraschte der Microsoft-Chef vor wenigen Tagen mit der Ankuendigung, auch im weltweiten Geschaeft mit mobiler Kommunikation beziehungsweise Satellitenfunk mitmischen zu wollen.

Joint-venture bei Kommunikationssatelliten

So beteiligt sich Microsoft mit 30 Millionen Dollar am US- Wireless-Network-Spezialisten Mtel, der schon seit laengerem an einem Zukunftsprojekt namens "Skytelevision" bastelt und auf das Software-Know-how der Microsoft-Entwickler offenbar dringend angewiesen ist.

Weitaus groessere Broetchen will Gates aber mit seinem Freund Elroy McCaw backen, der sein gleichnamiges Mobilfunkunternehmen vor Jahresfrist fuer rund zwoelf Milliarden Dollar an den TK-Giganten AT&T verkaufte und mit dem Erloes nun seinen Traum vom "Global Village" realisieren will. Ob McCaw den Microsoft-Chef, der eigentlich als kuehler Rechner bekannt ist, mit seinen Phantastereien angesteckt hat, ist fraglich; jedenfalls hat sich Gates mit 30 Prozent an dessen neuer Firma Teledesic 840 beteiligt. Beide Partner wollen, wie das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sueffisant zusammenfasste, "kuehlschrankgrosse" Satelliten in die Erdaufumlaufbahn schiessen, die aus rund 700 Kilometer Hoehe ganze Kontinente mit Multimedia- Diensten, insbesondere auch mit 500 Fernsehkanaelen versorgen koennen.

Das Abenteuer im Orbit soll rund neun Milliarden Dollar kosten und riesige Investitionen in puncto Glasfaser bis zum Endkunden ueberfluessig machen. Was der digital erreichbare Privat- oder Business-Mann dann nur noch benoetigt, ist nach Angaben der neuen Himmelsstuermer eine Antenne beziehungsweise Satellitenschuessel sowie ein Empfangsgeraet im Telefonbuchformat - mit vorkonfigurierter Software aus Redmond, versteht sich. Die Begeisterung in der Branche haelt sich, was diese Plaene angeht, allerdings in Grenzen. Einhelliger Tenor: Absurd - oder wie ein Marktforscher von der Bostoner Yankee Group vernichtend urteilte: "Eine Dritte-Welt-Loesung zu einem Erste-Welt-Preis, mit der zudem niemand etwas anfangen kann."

Interaktive Dienste in Grossbritannien

Nutzniesser realer Multimedia-Angebote sollen indes demnaechst die Kunden von British Telecom (BT) werden, die auf der Insel in mehreren Pilotversuchen zumindest an den Vorlaeufer eines kuenftigen Information-Highways angeschlossen werden. Zusammen mit dem Datenbankspezialisten Oracle, der den Prototyp einer zentralen Multimedia-Datenbank fuer die Verarbeitung von Stand- und Bewegtbildern, Ton, Tabellen- und Textdateien liefert, will der Londoner Carrier interaktive Dienste ueber das bestehende Telefonnetz und spaeter auch ueber vereinzelte Glasfaserstrecken einem Massenpublikum anbieten.

Im Gegensatz zu Microsoft-Chef Bill Gates, der neben dem Satellitenfunk auch grosse Hoffnungen auf die Bereitschaft der globalen Netzbetreiber setzt, in neue Techniken wie ISDN und ATM zu investieren, geht man in London - und nicht nur dort - jedoch weitaus pragmatischer vor. Bei einem der zahlreichen Vortraege, die Gates auf seiner Tournee durch mehrere Kontinente hielt, meldete sich mit BT-Chef Ian Vallance auch einer der zahlreichen Zuhoerer zu Wort. Multimedia-Traeumereien stellen sich, so dessen direkte Antwort auf Gates, anders dar, "wenn man Milliarden Dollar in Form von Kupferleitungen im Boden vergraben hat".