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Bill Gates tritt zurück

14.01.2000
Steve Ballmer wird Microsoft-Chef

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Bill Gates hat gestern - 25 Jahre nach der Gründung von Microsoft - sein Amt als CEO (Chief Executive Officer) niedergelegt. Er wird dem Software-Unternehmen jedoch als Chairman und in der neu geschaffenen Position des "Chief Software Architect" erhalten bleiben. Die Leitung des operativen Geschäfts gab Gates an President Steve Ballmer ab.

Kaum wurde die Nachricht vom Rücktritt bekannt, kursierten Spekulationen darüber, ob der gewählte Zeitpunkt in Zusammenhang mit dem laufenden Kartellverfahren gegen Microsoft stehe. Nur einen Tag zuvor waren Gerüchte um die Absicht des US-Justizministeriums laut geworden, den Softwarekonzern in drei kleinere Unternehmen aufspalten zu wollen (CW Infonet berichtete). Auf der gestrigen Pressekonferenz im Microsoft-Hauptsitz in Redmond, Washington, wies Gates diese Spekulationen jedoch vehement zurück und erklärte, es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen dem Antitrust-Verfahren und seinem Ausscheiden als CEO. Sein Rückzug aus dem operativen Geschäft sei seit langem geplant. Er habe diesen Schritt zum gestrigen Zeitpunkt erklärt, weil er der Veröffentlichung der nächsten Microsoft-Ergebnisse, die am 18. Januar 2000 stattfinden soll, zuvorkommen wollte. Zum Kartellverfahren selbst bemerkte der neue Chef Ballmer getreu der hinlänglich bekannten Microsoft-Argumentationsweise, jeder Versuch, das Software-Unternehmen zu zerschlagen, wäre "absolut leichtsinnig und verantwortungslos". "Es wäre der schlechteste Dienst, den man den Verbrauchern in diesem Land überhaupt erweisen könnte," fügte er hinzu.

Ob der Rücktritt von Gates den Ausgang des Kartellverfahrens beeinflussen wird, ist fraglich. Dem Ansehen des Unternehmens könnte der Management-Wechsel dennoch durchaus nutzen, spekuliert die amerikanische Zeitung "Wall Street Journal". Während Gates ein Ruf als unnachgiebiger Geschäftsmann mit aggressiver Persönlichkeit anhafte, habe sich Ballmer auch in den härtesten Verkaufskampagnen mit seinem freundlichen und kollegialen Führungsstil vor allem bei Unternehmenskunden beliebt gemacht. Einige Marktexperten glauben deshalb, die Reorganisation werde den Prozess aus Microsoft-Sicht positiv beeinflussen. Der Konzern sei nun nicht mehr so eng an die Persönlichkeit Bill Gates gebunden; das könne letztendlich Einfluss auf die Entscheidung von Richter Thomas Jackson im Kartellverfahren haben.

Gates wird künftig nur noch zu technologischen Aspekten in der Öffentlichkeit Stellung nehmen. Als oberster Software-Architekt von Microsoft will er sich der Weiterentwicklung von Software- und Internet-Systemen widmen. Endlich könne er nun auf dem Nachhauseweg an Datenbanken und Benutzerschnittstellen denken statt wie bisher an Geschäftsmodelle und Kostenrechnungen. "Ich könnte damit drohen, einen Softwarecode zu schreiben. Das habe ich lange schon nicht mehr getan," fügte er hinzu.

In seiner neuen Rolle als Chef von Microsoft stellte Ballmer die neue Geschäftsstrategie des Softwarekonzerns vor. Derzeit werde eine neuartige Plattform entwickelt, mit der Client, Server und Websites integriert werden können. Dieses Internet-Betriebssystem mit dem Codenamen "Next Generation Windows Services" (NGWS) basiere auf Microsofts Technologien und Tools und werde auf der hauseigenen Konferenz "Forum 2000" im April demonstriert.

Angesichts der nach wie vor Microsoft-zentristischen Ausrichtung bezweifeln einige Analysten, ob sich mit dem Führungswechsel wirklich soviel ändern werde. Matt Nordan, Marktforscher bei Forrester Research, sagte gegenüber dem Brancheninformationsdienst "Computergram", einen Stein in der Microsoft-Mauer gegen einen anderen auszutauschen, mache keinen Unterschied. "Sie haben alle dieselbe DNA," fügte er hinzu.

Eric Raymond, überzeugter Open-Source-Verfechter und langjähriger Gegner der Gates-Company, hegt laut "Computergram" einen weitaus finstereren Verdacht. "Gates weiß, dass Microsoft den Bach runtergehen wird. Was dem Unternehmen das Genick brechen wird, ist die Tatsache, dass der Umsatz in jedem Quartal steigen muss, auch wenn die Hardware-Preise fallen. Wenn die Einnahmen nicht mehr steigen, steigt auch der Aktienkurs nicht mehr, und wenn der Aktienkurs fällt, können sie den Laden dicht machen, weil ihnen die Leute davonlaufen." Zwar könnte Microsoft versuchen, diese Einbußen durch den Verkauf von mehr Software wettzumachen, doch dafür sei die Marktexpansion nicht groß genug. Seiner Meinung nach machen auch die OEMs (Original Equipment Manufacturers) nicht mehr lange mit. Raymond rechnet damit, dass der Softwarekonzern in Kürze zusammenbrechen wird. "Vielleicht schon im ersten Quartal 2001. Gates hat sich so verhalten, als wüsste er genau, was kommt. Er hat seine Aktivitäten auf Bereiche außerhalb des Computergeschäftes verlagert. Einigen Insiderberichten zufolge hat Microsoft bereits einen Linux-Port für Office entwickelt," fügte er hinzu.